Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, spricht auf der ersten Regierungspressekonferenz nach den Sommerferien im Landtag zu Journalisten. Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Bereits zum zweiten Mal in wenigen Tage wird in der grün-schwarzen Regierung der Koalitionsvertrag zitiert. Nicht nur im Streit um einen Wechsel auf dem Chefposten wird auf jedes Wort gepocht. Der Vertrag soll auch beim Disput um den Nationalpark wörtlich genommen werden.

Im Streit um die im Koalitionsvertrag vereinbarte Erweiterung des Nationalparks Schwarzwald hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein Machtwort gesprochen und seinen Forstminister Peter Hauk öffentlich gerüffelt. "Ich rate nochmal allen Ministern, auch dem Minister Hauk, solche Debatten nicht öffentlich zu führen. Das ist der Sache nicht dienlich", sagte Kretschmann und ergänzte später: "Das ist nicht professionell." Der CDU-Forstminister hatte sich bei einem Besuch im Nordschwarzwald gegen eine größere Erweiterung des Nationalparks ausgesprochen und sich damit dem grünen Koalitionspartner entgegengestellt.

Im Koalitionsvertrag sei eindeutig vereinbart worden, dass der Nationalpark erweitert und weiter entwickelt werde, sagte Kretschmann. "Und genau das wird gemacht. Das hat für mich eine sehr hohe Priorität." Das Land müsse zudem im Rahmen einer angestrebten Erweiterung verhandeln. "In allen Fragen, wo man Verhandlungen führt und wo es auch um Preise geht, sollte man extrem zurückhaltend sein", mahnte der Regierungschef. Es gebe bei der Waldpolitik aber "keine relevanten Differenzen" mit Hauk, betonte Kretschmann.

Der Forstminister sorgt seit dem Wochenende für Schlagzeilen, weil er nach eigener Aussage am liebsten keine oder höchstens eine minimale Erweiterung des Nationalparks will. Die "Badische Zeitung" hatte Hauk mit den Worten zitiert: "Ich will netto eigentlich gar nicht mehr. Das, was netto in der Lücke dazu kommt, muss irgendwo an den Rändern wieder weg." Er sei vertragstreu, sagte der Minister dem Bericht zufolge weiter. Aber: "Für mich heißt erweitern, wir beginnen mal mit einem Hektar netto mehr."

Den Nationalpark gibt es seit 2014. Hier wird der Wald sich selbst überlassen und nicht bewirtschaftet; Totholz bleibt beispielsweise liegen. Das Schutzgebiet ist rund 10 000 Hektar groß und besteht aus zwei Teilen, die zusammengeführt werden sollen. Dafür müssen Wald- und Grundbesitzern die dazwischen liegenden Gebiete abgekauft werden.

Auch der Naturschutzbund Nabu mahnte in der Debatte Vertragstreue an. Es gehe laut Koalitionsvertrag um mehr Qualität und mehr Quantität, also um einen Flächenzuwachs. "Das bedeutet eben gerade nicht, dass die Fläche, die in der Mitte dazukommt, an den Rändern wieder abgeschnitten wird", sagte Nabu-Landeschef Johannes Enssle der Deutschen Presse-Agentur. Im Nationalpark Schwarzwald müsse zusammenwachsen, was zusammengehöre. "Was der Minister persönlich will oder nicht will, ist dabei unerheblich", sagte Enssle.

Hauk und sein Ministerium hatten in der Debatte um die Parkgröße auch mit dem Klimawandel argumentiert: Flächen für den Nationalpark würden nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt. Das sei vor dem Hintergrund der Klimaerwärmung und der Speicherung von Kohlenstoffdioxid (CO2) in Holzprodukten kritisch zu hinterfragen, erklärte ein Sprecher. "CO2 muss nämlich nicht nur während des Lebens der Bäume, sondern auch nach deren "Tod" möglichst lange gespeichert werden." Dafür müsse man Wälder bewirtschaften und das Holz nutzen.

Fachleute sehen das anders. So heißt es in einem Beitrag der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg zur Diskussion um die Nutzung von Wäldern im Spannungsfeld von Holzproduktion, ihrem Beitrag zum Klimaschutz und der Verpflichtung zum Schutz der Biodiversität von Waldökosystemen: "In dieser Debatte werden sogar Klimaschutzargumente bemüht, um Anliegen des Biodiversitätsschutzes zu diskreditieren. Manche Argumente basieren auch auf einer fragwürdigen Datenbasis und -interpretation."

Nationalparke sind "im Prinzip Großlabore"

Der Beitrag, den die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg auf der Seite "waldwissen.net" veröffentlicht hat, verweist auf Artikel einer Autorengruppe um Professor Rainer Luick von der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg. Sie hat die Datenbasis jener Studie überprüft, der zufolge Urwälder und Naturwälder nachteilig für den Klimaschutz sind. Die Autoren kommen zu dem Schluss: "Das Argument, nur ein genutzter Wald sei für den Klimaschutz ein guter Wald, ist faktisch nicht belegbar."

Auch Kretschmann betonte, Zonen wie Nationalparke seien von enormer Bedeutung. "Sie sind im Prinzip Großlabore dafür, was eigentlich passiert, wenn man die Natur weitgehend sich selber überlässt", sagte er am Dienstag. Außerdem habe die Fläche des Nationalparks in Baden-Württemberg einen Anteil von 0,7 Prozent an der gesamten Waldfläche im Land. "Klimawandel ist ein globales Problem und die Nationalparkfläche hat darauf keinen Einfluss", sagte der Grünen-Politiker.