Warten vor einer Notunterkunft: Flüchtlinge in Deutschland Foto: dpa

Die EU findet keinen Ausweg aus der Flüchtlingskrise. Wien handelt auf eigene Faust, Athen ruft seine Botschafterin zurück und Berlin verschärft das Asylrecht. Hoffnungen richten sich nun auf die Nato.

Brüssel - Es war der Tag, an dem die Flüchtlingskrise aus dem Ruder lief. Schon kurz vor dem Treffen der 28 Innen- und Migrationsminister der EU in Brüssel klangen die Analysen denkbar skeptisch: „Wir haben keine Linie mehr, wir steuern irgendwie in die Anarchie hinein“, klagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn und zitierte Goethes Faust: „Mir graut’s.“

Österreichs Innenressortchefin Johanna Mickl-Leitner giftete: „Griechenland sagt immer, es könne die Außengrenzen nicht schützen. Das ist das beste Argument dafür, dass andere handeln müssen.“ Ihr griechischer Ressortkollege Ioannis Mouzalas konterte: „Zu einseitigen Aktionen ist auch Griechenland fähig“; ein stiller Hinweis auf die Nacht vor dem Treffen in Brüssel. In der hatte Mouzalas Kabinettschef Alexis Tsipras gedroht, ohne Beistand der Allianz werde er vorerst alle EU-Beschlüsse blockieren. Am gestrigen Nachmittag wurde die griechische Botschafterin aus Wien zur Berichterstattung nach Athen zurückgerufen.

Deutschlands Bundesinnenminister Thomas de Maizière bemühte sich derweil, die Situation nicht völlig eskalieren zu lassen: „Keine nationalen Alleingänge, wir brauchen eine europäische Lösung“. Es sei ein gutes Zeichen, dass in der Nacht zum Donnerstag Griechen und Türken eine Verständigung über die Bewachung der Seegrenze durch Nato-Einheiten erzielt und den Nato-Marineverband SNMG 2 in der Agäis ab dem heutigen Freitag Anker hatten lichten lassen: „Jetzt kommt es darauf an, dass die Zahl der Flüchtlinge, die nach Griechenland kommen, erheblich zurückgeht“, sagte der CDU-Politiker.

Zumal im deutschen Bundestag genau dafür weitere Weichen gestellt worden waren: Die Parlamentarier verabschiedeten das sogenannte Asylpaket II. Es sieht vor, Flüchtlinge künftig schnell aus Deutschland abzuschieben. Das Gesetz sieht auch vor, für bestimmte Flüchtlingsgruppen das Anerkennungsverfahren in Registrierzentren zügiger abzuschließen und den Familiennachzug einzuschränken. 429 Abgeordnete votierten mit Ja, 147 mit Nein.

Zur Entspannung beim EU-Gipfel trug das deutsche Votum jedoch nicht bei. Denn auf den hellenischen Inseln trafen 7000 neue Flüchtlinge ein. In den vergangenen Tagen hatten weitere 12 000 Vertriebene griechische Strände erreicht. Eine Zahl, bei der sogar die Wienerin Mickl-Leitner erkannte: „Natürlich braucht Griechenland die Unterstützung der Partner.“ Um dann ganz auf Krawall gebürstet festzustellen, die EU habe bis 2013 bereits 318 Millionen Euro an Athen gezahlt, um die Probleme vor Ort zu beheben. Bis 2020 summiere sich die Unterstützung sogar auf 800 Millionen Euro.

Zwar will die Griechenlands Premier Tsipras das Geld auch dazu nutzen, Flüchtlinge wieder zurück in die Türkei zu bringen, von wo viele nach Europa übersetzen. Das aber funktioniert derzeit nicht, obwohl Ankara genau dies bereits der EU zusicherte. Mehr noch: Es ist völlig offen, wie sich die Türkei verhält, wenn die vier Nato-Schiffe, unter ihnen auch die türkische Fregatte „TCS Barbaros“, voller Flüchtlinge die Häfen des Landes anlaufen, um die Menschen dort wieder an Land zu bringen.

Eine Frage, die Bundesinnenminister den Schweiß auf die Stirn treibt: „Wie verhalten wir uns, wenn ein Land die EU-Außengrenze nicht aus eigener Kraft schützen kann, aber auch keine Hilfe annehmen will?“

Bis zum EU-Türkei-Gipfel am 7. März gehören die Verhandlungstische und stillen Ecken in Brüssel jetzt die Diplomaten, um diese Frage zu klären. Eine Vorstellung davon, wie sie Druck auf die Türkei ausüben können, haben sie freilich nicht.