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In elegantem Betongrau ragt die schlanke Nadel des Fernsehturms in den Stuttgarter Himmel. Ums Haar hätte das Wahrzeichen ganz anders ausgesehen. Rotweiß geringelt.

Stuttgart - In elegantem Betongrau ragt die schlanke Nadel des Fernsehturms in den Stuttgarter Himmel. Ums Haar hätte das Wahrzeichen ganz anders ausgesehen. Rotweiß geringelt. Wie ein Leuchtturm. Oder, wie man damals spottete, eine Samba-Socke. Das hat der Architekt Erwin Heinle verhindert.

Mit dem weltweit ersten Fernsehturm wird immer ein Name in einem Atemzug genannt: Fritz Leonhardt. Zu Recht, denn der geniale Stuttgarter Bauingenieur (1909 bis 1999) und Brückenbauer hat mit Entwurf und Konstruktion Wegweisendes gewagt und geschaffen. Im seinem Schatten gerät ein Mann in den Hintergrund, der "maßgeblich an der Gestaltung des Fernsehturms beteiligt war", wie der Stuttgarter Architekt und Bauingenieur Jörg Schlaich würdigt: "Der bedeutende deutsche Architekt Erwin Heinle." Auf keiner Gedenktafel im und am Turm wird auf ihn hingewiesen und dass er nicht einmal erwähnt wurde, als vor kurzem der Turm anlässlich des 100. Geburtstages von Fritz Leonhardt zum "Historischen Wahrzeichen der Bauingenieurkunst" ernannt wurde, schmerzt vor allem einen Menschen in Stuttgart: Gisela Heinle, die Witwe des 2002 gestorbenen Erwin Heinle.

Den Fernsehturm hat sie von ihrem Haus am Killesberg aus immer im Blick. Und durch die riesigen Glasfronten eine herrliche Aussicht auf ganz Stuttgart, denn für sein eigenes Domizil verwirklichte Heinle die gleiche Ästhetik, die auch einen seiner schönsten Bauten, das Landtagsgebäude, zeitlos gültig macht. Mann.

Sie wolle nicht, wie die Schwaben sagen, ehrenkäsig sein, betont die gebürtige Rheinländerin. "Aber es tut mir weh, wenn die Leistung meines Mannes vergessen wird." Darum hat sie sich zu Wort gemeldet: "Das bin ich ihm auch schuldig." Heinle, 1917 in Vaihingen geboren, konnte erst nach dem Krieg sein Studium an der Technischen Hochschule Stuttgart absolvieren und arbeitete dann als Assistent am Lehrstuhl für Entwerfen und Baukonstruktion. Als der Süddeutsche Rundfunk Anfang der 50er Jahre den Bau eines Fernsehturms plante, wurde Heinle auf Vorschlag von Professor Rolf Gutbrod mit der künstlerischen, technischen und geschäftlichen Oberleitung des gesamten Bauvorhabens betraut. Seine Frau, seit 1946 mit ihm verheiratet, hat Wachsen und Werden der 217 Meter hohen Betonnadel hautnah miterlebt. "Ich habe oft Angst um meinen Mann gehabt", bekennt sie. Aber wirklich "gebibbert" habe sie, als ihr Mann die vier Jahre alte Tochter Eva in der "Margarinekiste", einem Außenaufzug für die Arbeiter, mit nach oben genommen habe. "Hast Du keine Angst gehabt", habe sie ihr Kind nach der glücklichen Rückkehr gefragt. "Ja, schon", meinte die Kleine, "aber ich habe ja gewusst, dass Du unten stehst und betest." Und dann die Nacht vor der Einweihung am 5. Februar 1956, als ein Anruf in aller Herrgottsfrühe aufschreckte: Bei minus 30 Grad waren Wasserrohre im Turm geplatzt. "Aber der Schaden konnte noch behoben werden." Und das Turmrestaurant, geleitet von Fedor Radmann, wurde zum Treffpunkt fröhlicher Geselligkeit: "Da oben wurde viel gefeiert." Vor sich hat Frau Heinle Ordner und Bücher von und über ihren Mann ausgebreitet, und beim Blättern fallen ihr immer wieder neue Geschichten ein: Wie gut ihr Mann zeichnen konnte! Und dass ihm das schon sein ehemaliger Mathematiklehrer vom Friedrich-Eugens-Gymnasium bescheinigt habe: "Zeichnen kannst Du, aber in Mathe bist Du eine Niete!" Umso mehr habe sich der Lehrer gewundert, seinen Schüler als Architekt auf der Turm-Baustelle zu entdecken.

Erwin Heinle gründete 1962 zusammen mit Robert Wischer ein Architekturbüro, das unter anderem für den Funktionsneubau des Katharinenhospitals, das Krebsforschungszentrum in Heidelberg und das olympische Dorf in München verantwortlich zeichnete, wo gleichzeitig Leonhardt mit Günther Behnisch das berühmten Dach des Olympiastadions baut.

Leonhardt und Heinle haben sich immer gesiezt. Aber offenbar in freundschaftlichster Verbundenheit, denn "es wurde jeden Samstag bei uns oder im Haus von Robert Wischer gemeinsam gefrühstückt"." Vielleicht entstand dabei die Idee zu dem großartigen Buch "Türme aller Zeiten und Kulturen", mit dem Heinle und Leonhardt ihre Faszination für himmelstürmende Bauwerke ausdrückten.

Dabei hätte die Zusammenarbeit am Stuttgarter Turm beinahe geendet, ehe sie richtig begann, weil die Flugsicherung die Bemalung mit zehn Meter breiten roten Streifen gefordert hatte. "Mein Vater war entsetzt und hätte beinahe alles hingeschmissen", erzählt Thomas Heinle, auch Architekt, im Film über den Turmbau. Als der Rundfunk-Journalist Uli Reichert den Ausdruck Samba-Socke prägte, konnte Heinle mit seinem Argument, dass rotierende Xenonlampen effektiver seien, das drohende Gespött abwenden. Diese bunt geringelten Strümpfe waren damals der modische Hit. Jetzt sind sie natürlich schon längst out. Das kann unserem Fernsehturm nicht passieren. Dank Erwin Heinle.