Der Brief von Christian Appenzeller nach Rötenberg. Foto: Morgenstern

Der erste Brief nach der Reise: Ein seltenes Dokument der Auswanderung nach den USA im 19. Jahrhundert ist jetzt Teil des Schiltacher Stadtarchivs.

Am 22. Januar 1869 berichtete Auswanderer Christian Appenzeller an seinen Vater. Gelebt hat die Familie zuvor in Rötenberg. Die Vorfahren von Ehefrau Christina stammen aus Hinterlehengericht.

Der sechsseitige Brief in die Heimat schildert eindrücklich den Weg in die Fremde. Über Hausach, Mannheim, Köln ging es nach Bremen. Hohe Kosten hatten sich schon bis dorthin angesammelt.

„Newiorg“ und „Schigago“ als Ortsnamen

Dort „schwirrten“ die „Makler“, welche die Reisen in die USA organisieren. Um Wildwuchs zu vermeiden, mussten sie beim Bremer Senat gemeldet sein. Appenzeller suchte aber einen vorausgewählten Makler auf. Die Tour wurde gründlich vorbereitet. Dennoch wurde das Geld für die Tickets so knapp, dass er nur mit Mühe verhindern konnte, seinen Sohn Andreas als Pfand zurücklassen zu müssen.

In Bremerhaven bestiegen sie das Schiff. Appenzeller lobte die Versorgung mit morgens Kaffee und Weißbrot, mittags Hering oder Fleisch, Erbsen, Reis und nachmittags Kaffee und Zwieback. Die Seekrankheit erwischt die Reisenden aber rasch. In den zwei Wochen auf See erleben sie auch „viele Stürme“, die sich aber „gottlob und dank glücklich“ überstehen. An Land gehen sie in „Newiorg“. Nach zwei Tagen geht es weiter mit der Bahn. Eine Woche später erreichen sie „Schigago“. Die eigentümliche Schreibweise deutet an, dass die Metropolen noch nicht besonders bekannt waren.

Auch der Name Wolber war verbreitet

Ziel war Sterling/Illinois. 1834 wurde hier im Mittleren Westen der USA das erste Gebäude errichtet. In den 1860er Jahren wuchs die Bevölkerungszahl von 2400 auf fast 4000 Einwohner. Die Familie wurde mit einem Frühstück erwartet, danach „sind wir zu der Marie. Bey ihr haben wir Mittag gegessen“. In der Gemeinde finden sie viele Menschen aus der Region; Namen wie „Wolber“ sind weit verbreitet. Sogar Geld wird über den Atlantik geschickt – 11 Gulden gehen noch nach Lehengericht.

Es gibt manches Wiedersehen und viel Unterstützung zum Start (unter anderem Stühle und ein Tisch von einem Kirgis, aber auch Weizen). Dabei sind die Häuser „weit von einander wie auf den vierundzwanzig Höffen“.

Appenzeller arbeitete bei einem Bauern, der ein kleines Haus für die Familie gebaut hat. Die fehlenden „Thaler“ (Dollar) für die Abzahlung der Reisekosten haben sie laut Brief bald zusammen. Ihr Fazit: „Für uns ist hier besser als draußen auf dem armen Rötenberg“.

Viele Ursprünge aus Baden-Württemberg

Gekauft hatten sie schon ein Pferd, bald sollte eine Kuh folgen. Der 15-jährige Sohn Andreas ging noch zur Schule, soll aber bald für den Farmer arbeiten. Mit Staunen wurde von dessen „gepflanzte sehr viel Maltzkorn“ und den vielen Weidetieren erzählt.

Appenzeller dankt dem Vater dafür, „daß ihr uns hierin geholfen habt“. Angedeutet wird die Sehnsucht nach der Heimat, wenn Grüße übermittelt und nach Nachrichten gefragt wird. Ansonsten schreibt man aber lieber über die neue Heimat, ihre Besonderheiten und das Wetter. Gefühle haben keinen Raum. Allein die Zeile „nach Amerika reisen mit Kindern, daß ist schwer“ deutet Strapazen und Sorgen an.

Christian Appenzeller wird 1883, seine Frau Christina 1901, in Sterling begraben. Ihr Sohn Andreas heiratet später eine Elizabeth Bristle (wohl ehemals Brüstle). Der badisch-württembergische Ursprung vieler Einwohner der 15 000-Einwohner-Gemeinde ist noch heute bei einem Blick ins Telefonbuch unübersehbar.