Zürich - Hochsteuerländer wie Deutschland prangern "wettbewerbsfeindliche Steueroasen" an, die ihnen viele Milliarden an notwendigen Einnahmen entziehen. Die Eidgenossen verklären dies zum elementaren Schutz des Bürgers vor einem allzu (neu-)gierigen Staat.

Das Bankgeheimnis gehört zur Schweiz wie Emmentaler Käse. Mit allen Tricks und Kniffen verteidigen die Eidgenossen dieses einträgliche Geschäftsmodell. Denn der bequeme Reichtum steht auf dem Spiel. Dass sich die helvetischen Schlaumeier gerne als verfolgte Unschuld geben, gehört zur Abwehrstrategie.

"Was ist schon der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" So lässt Bert Brecht in der "Dreigroschenoper" spöttisch fragen - und man weiß nicht, ob der deutsche Dramatiker bei der Uraufführung 1928 in Berlin die Schweiz im Blick hatte. Denkbar wäre es. Denn schon der siechenden Weimarer Republik waren die helvetischen Vermögensabwerber ein Dorn im Auge. Berlin schickte damals sogar Zivilfahnder vor Züricher Banken, um deutsche Steuerflüchtlinge abzuschrecken und den bedrohlichen Kapitalabfluss zu stoppen. Dies empörte die Schweizer so sehr wie heute der Ankauf einer Steuerhinterzieher-CD durch deutsche Finanzbehörden. Bern reagiert trotzig - und erließ 1933 ein "Gesetz gegen Steuerspionage". Damit war das Bankgeheimnis offiziell zum nationalen Heiligtum erklärt.

Daran hat sich bis heute wenig geändert: Was Hochsteuerländer wie Deutschland als "wettbewerbsfeindliche Steueroase" anprangern, die ihnen viele Milliarden an notwendigen Einnahmen entzieht, verklären die Eidgenossen zum elementare Schutz des Bürgers vor einem allzu (neu-)gierigen Staat. In der Tradition des Freisinnigen wird das Bankgeheimnis zum Grundstein der Demokratie. Tenor: "Bei uns wird die Privatsphäre eben geachtet. Hier ist der Steuerbürger noch König." Zudem sorge dieser Steuerwettbewerb dafür, dass sich die Finanzminister in Berlin, Paris oder Rom in ihrer Abgabenwut zügeln müssten. Also verdiene die Schweiz keine Kritik, sondern Lob.

Dass sich diese Form des Bürgerschutzes auch rechnet, wird nur ungern eingeräumt. Lange pflegte man die Mär, das Bankgeheimnis sei zum Schutz jüdischen Eigentums vor den Nazi-Schergen geschaffen worden. Dieser Anspruch ist nicht nur historisch widerlegt. Er wurde spätestens Ende der achtziger Jahre zur moralischen Last, als die lukrativen Geschäfte mit namenlosen Konten jüdischer NS-Opfer nicht mehr zu verheimlichen waren. Seither weiß die Welt, dass sich auch das weiße Kreuz im Zweiten Weltkrieg mit Schuld befleckt hat. Das gerne gepflegte Selbstbild als fleißiges, neutrales Land, das ob seiner urigen Behäbigkeit zu Bösem gar nicht fähig ist, hat seither tiefe Kratzer bekommen. Die Misswirtschaft bei der Großbank UBS und der Zwangsverkauf der Fluglinie Swissair ausgerechnet an die deutsche Lufthansa hat die gemütlichen Schweizer in ihrem Nationalstolz nicht minder tief verletzt.

Manche leiten daraus eine "Identitätskrise" ab, die man mit Zumutungen wie dem Ankauf von "illegal erworbenen Bankdaten" nicht noch befeuern sollte. "Peitschen-Steinbrück", wie der deutsche SPD-Finanzminister 2009 gallig genannt wurde, habe schließlich schon genug Porzellan zerschlagen. Doch auch dieser David-Goliath-Komplex gehört zum Schweizer Schutzrepertoire: Immer, wenn die Kernkompetenz des eignen Finanzwesens, nämlich das Verstecken und Verschieben fremder Gelder, ernsthaft in Gefahr gerät, kehrt man die Schutzbedürftigkeit der kleinen Basisdemokratie nach außen. Gegen die Deutschen wird dann besonders ausfallend gefaucht und gezischt. An ihnen, allesamt "Sauschwaben" genannt, darf man sich selbst im sittsamen Helvetien ungestraft abreagieren und profilieren. Schaumkronen der Wut treiben über den Züricher See. In anderen Ländern würde man derlei Ausfälle Rassismus und Ausländerfeindlichkeit nennen.

Die heftige Rhetorik verfolgt das Ziel der Schuldumkehr: Skrupellose Hehler sind deutsche Amtsträger, die Steuergelder für "Diebesgut" ausgeben. Sie seien die "modernen Bankräuber", ätzen Politiker aus dem konservativen Lager. Dass in Wahrheit "das Bankgeheimnis der staatliche Schutz von Hehlerei und Hehlern ist", wie selbst der Schweizer Publizist Frank A. Meyer seinen Landsleuten ins Stammbuch schreibt, wird vom politisch-ökonomischen Establishment heftigst bestritten. Zu dumm nur, dass auch das schwerste Abwehrgeschütz zum Rohrkrepierer wird: Mitten in der hitzigen Ablenkungsdebatte wurde bekannt, dass auch helvetische Steuerbehörden illegal erlangte Informationen verwenden dürfen. Dies hat das Schweizer Bundesgericht erst im Oktober 2007 festgeschrieben. Damit hat Bern auch keine Handhabe mehr, den verhassten Deutschen die Amtshilfe zu verweigern, wie Finanzminister Merz angedroht hat. Also muss die Schweiz die Namen der Steuerhinterzieher nennen, so wie sie es gegenüber der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zusagt. Theroretisch jedenfalls.

Damit aber würden die fest verriegelten Tresorpaläste zu windschiefen Hütten. Denn mit dem "Bankgeheimnis ist der Lebensnerv des Finanzplatzes Schweiz" bedroht, wie der hoch angesehene St. Gallener Privatbankier Konrad Hummler in seltener Offenheit zugibt. Die Aufweichung "gefährdet mehr als ein Drittel der in der Schweiz verwalteten Vermögen", gesteht auch der Genfer Privatbankier Ivan Pictet ein. Allein Ausländer haben in Depots geschätzt über 2000 Milliarden Euro gehortet. Mit Versicherungen und anderen Anlagen wird das "Steuerfluchtpotenzial" auf über 4000 Milliarden Euro geschätzt. Gut 200 Milliarden sollen Deutsche versteckt haben.

Den Schweizern nutzt die Steuerflucht

Der in St. Gallen lehrende Ökonom Manfred Gärtner hat errechnet, wie sehr das Bankgeheimnis den Schweizern nutzt und den anderen europäischen Ländern schadet. Das Ergebnis: Dank der Steuerflucht zahlen die Eidgenossen 50 Prozent weniger Einkommensteuer, bekommen 17 Prozent höhere Löhne und Renten, und ihr Kapitaleinkommen steigt um 19 Prozent. Die Zeche berappen jene Länder, deren Reiche und gut verdienende Unternehmen in die Alpenrepublik umsiedeln. Gärtner ist wohl einer jener Professoren aus Deutschland, denen die rechtsnationale Volkspartei (SVP) derzeit vorhält, sich in den "Chefetagen breitzumachen", um die Einheimischen von lukrativen Führungspositionen fernzuhalten. Die geifernde Kampagne zielt auf die 250 000 deutschen Residenten, denen man in der Krise indirekt Parasitentum unterstellt. Dass sie als Forscher, Ärzte und Manager auf produktive Weise genauso zum Wohlstand der Schweizer beitragen wie die Steuerverlagerer Boris Becker, Michael Schumacher oder Metro-Inhaber Otto Beisheim, wird mittlerweile allerdings auch diskutiert.

Diese neue Selbstkritik ist gewiss Viktor Parma und Werner Vontobel zuzuschreiben. Im vergangenen Jahr brachten sie - im deutschen Bertelsmann-Verlag - ein provozierendes Buch auf den Markt: "Schurkenstaat Schweiz?" lautet der Titel. Auf 223 Seiten mit vielen Zahlen, Belegen und Tabellenbeschreiben die Wirtschaftsjournalisten, wie "sich der grüßte Bankenstaat der Welt als Eldorado für Steuerflüchtlinge selbst korrumpiert und die Weltwirtschaft durch Steuerdumping und Anleitung zur Steuerhinterziehung schwächt und destabilisiert". Denn: "Je mehr hohe Einkommen und Unternehmensgewinne, die etwa in Deutschland durch Lohndumping immens gestiegen sind, der Besteuerung entzogen werden, desto höher werden die Steuersätze für den Rest der Bevölkerung und zugleich zum Anreiz für Steuervermeidung."

So schließt sich der Kreis: Mit dem Bankgeheimnis werden aus aller Welt viele Tausend Milliarden in die helvetischen Tresore gelockt und von der üppig entlohnten Finanzindustrie verwaltet. Jeder Berater erwirtschaftet angeblich 2,4 Millionen Franken pro Jahr. Gerade dieser Gewinn ermöglicht der Schweiz das Steuerdumping, das auch unter den 26 Kantonen erbittert ausgetragen wird. Gekoppelt an unternehmensfreundliche Holding-Konstruktionen, wird so sogar das Hochpreisland Schweiz zur attraktiven Konzernadresse. An die 13000 Dachgesellschaften sollen sich dort mittlerweile angesiedelt haben, allein 6000 im Kanton Zug, der sich unter den Steueroasen wiederum als Dumpingparadies hervortut. So zahlen selbst gut verdienende Konzerne lächerliche geringe Steuern.

Diese Gier nach billigem Reichtum führt mittlerweile auch zu Verwerfungen in der Schweiz selbst. Große Vermögen verklumpen sich in den Steueroasen; dies treibt die Preise und vertreibt die Normalverdiener, die es in der Schweiz auch gibt, in die "ärmeren" Kantone. So sehen die Autoren Parma und Vontobel im eigenen Land, was sie mit Sorge in der Welt drum herum beobachten: dass das Schweizer Finanzgebaren nur wenigen nützt, aber vielen schadet.