Sascha Geršak hat sich auf die Rolle gut vorbereitet. Foto: Maier

Film beleuchtet Situation der Gefangenen im US-Lager Guantánamo. Schauspieler Sascha Geršak spielt Murat Kurnaz.

Balingen/Berlin - Der Film hat auch seine komischen Momente. Etwa den, als eine kleine Echse sich durch ein Abflussrohr in die Zelle von Murat Kurnaz verirrt, der Gefangene das Tier mit Brotkrumen füttert – und sein Mithäftling ihn warnt: "Vorsicht – ein amerikanischer Spion!" Es sind Sekunden, während denen die Zuschauer lächeln, sich kurz entspannen können – ehe die Erheiterung dem Entsetzen weicht: Wie pervers muss diese Haftsituation sein, dass sie in einem Gefangenen eine solche Paranoia auslöst?

Am Donnerstag nächster Woche feiert ein Film in Berlin Deutschland-Premiere, der genau dieser Frage nachgeht. »Fünf Jahre Leben«, der Diplomfilm von Autor und Regisseur Stefan Schaller an der Filmakademie Baden-Württemberg, basiert auf der Geschichte von Murat Kurnaz, der eben diese lange Zeit in dem US-Lager Guantánamo auf Kuba inhaftiert war. Dargestellt wird Kurnaz von dem aus Balingen (Zollernalbkreis) stammenden Schauspieler Sascha Geršak.

Für den 37-jährigen Balinger ist es die erste Hauptrolle in einem Kinofilm. Einem breiteren Publikum ist Geršak als Darsteller in der ARD-Serie "Im Angesicht des Verbrechens" sowie zuletzt durch seine Rolle im Münchner Tatort »Macht und Ohnmacht« am Ostermontagabend bekannt. Geršak mimt darin den zerrissenen, hilflosen, bösen Streifenpolizisten Georg Zimmermann, der am Ende von den Kommissaren Batic und Leitmayr als Mörder überführt wird. 9,3 Millionen Zuschauer sahen die Tatort-Folge, es war die fast größtmögliche deutsche Bühne für den Schauspieler Geršak. Mit "Fünf Jahre Leben" und der Rolle als Murat Kurnaz wird es nun international.

Im Mittelpunkt stehen das System der Folter sowie das Verhältnis zwischen dem Häftling und dem Wachpersonal.
Murat Kurnaz ist in Bremen geboren und türkischer Staatsbürger; er ist der Mann, der im Oktober des Jahres 2001, wenige Wochen nach den verheerenden Flugzeuganschlägen von Al Kaida in den USA, nach Pakistan ging, um, wie er sagte, mehr über den Koran zu erfahren und eine Pilgerreise zu unternehmen. Dort wurde er im November von pakistanischen Sicherheitskräften festgenommen und gegen ein Kopfgeld den US-Streitkräften in Afghanistan übergeben.

Fünf Jahre unschuldig im Gefängnis

Die Amerikaner stuften ihn als »feindlichen Kämpfer« ein. Im Januar 2002 wurde Kurnaz nach Guantánamo verlegt. Dort war er bis August 2006 inhaftiert – und das, obwohl die Amerikaner eigentlich recht schnell zur Auffassung gelangten, dass Kurnaz nie terroristisch tätig, sondern eben nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen sei. So kam er für fünf Jahre nach Guantánamo – unschuldig.

Der Fall Kurnaz hielt die deutsche Öffentlichkeit lange in Atem, auch wenn ihn offizielle Stellen am liebsten totgeschwiegen hätten. Es ging und geht um die Frage, ob sich die deutsche Regierung zu wenig um seine Freilassung und seine Rückkehr nach Deutschland eingesetzt hat, ob deutsche Ermittler ihn während Befragungen in Guantánamo misshandelt haben, wie Kurnaz sagt. Der Fall beschäftigte zwei Untersuchungsausschüsse des Bundestags. Fest steht nach Aussagen von Kurnaz, dass er in Guantánamo während der gesamten Zeit der Inhaftierung immer wieder gefoltert wurde – durch Schläge, Schlafentzug, das sogenannte Waterboarding (simuliertes Ertränken also), die üblichen US-Methoden eben.

»Fünf Jahre Leben« lautet der Titel des Films von Regisseur Stefan Schaller. Darin geht es, wie Hauptdarsteller Geršak sagt, weniger um die politischen Hintergründe, weniger um die Umstände der Festnahme Kurnaz’ in Pakistan. Der Film konzentriert sich auf das System Guantánamo, das System der Folter, das Verhältnis zwischen dem Gefangenen und dem Haftpersonal und dem Verhörspezialisten Holford (dargestellt von Ben Miles) – und vor allem auf die Person Kurnaz: Wie erlebt er die Gefangenschaft, die Folter? Was gibt ihm Kraft? Wie schafft er es, diese fast fünf Jahre dauernde Pein seelisch fast unbeschadet zu überstehen?

"Ich glaube, Kurnaz ist der stärkste Mann in Deutschland"

Dass Kurnaz genau das geschafft hat, davon ist Sascha Geršak am meisten beeindruckt: "Ich glaube, Kurnaz ist der stärkste Mann in Deutschland." Kurnaz lebt heute wieder in Bremen, er ist verheiratet, hat zwei Kinder. Guantánamo hat er überstanden, er habe keine Alpträume, sagte er in einem Interview. Geholfen habe ihm der Islam: "Ich bin Gott dankbar, dass es mir gut geht."
17 Tage lang nichts gegessen, nur Tee getrunken, um den Hungerstreik nachzuempfinden

Sascha Geršak hat Kurnaz mehrmals getroffen, er hat den Koran gelesen, er hat geboxt wie Kurnaz, und er hat gehungert, 17 Tage lang nichts gegessen, nur Tee getrunken, weil er den Hungerstreik der Guantánamo-Häftlinge nachempfinden wollte, er hat sich, kurz gesagt, mit Leib und Seele auf die Rolle vorbereitet. Geršak wollte seine Sache gut machen, er sah es als besondere Herausforderung: Schließlich spielt er nicht eine Rolle, die sich jemand ausgedacht hat – es gibt diesen Mann, den er darstellt, ja wirklich.

Der Film, der bereits auf Festivals gezeigt wurde und mehrere Preise erhielt, kommt zu einer Zeit, in der die seit elf Jahren andauernde "Situation" in Guantánamo einmal wieder Schlagzeilen auslöst.

Anfang des Jahres traten Gefangene in den Hungerstreik, um gegen ihre Lage – keine Chance auf Entlassung, aber auch kein Prozess – zu protestieren. US-Präsident Barack Obama, der nach seiner Wahl im Jahr 2009 versprochen hatte, das Lager schließen zu wollen, sagte angesichts des Protests, dass es nicht durchzuhalten sei, 100 Männer auf ewig im Niemandsland festzuhalten.
Im Gespräch mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" sagte Kurnaz, er befürchte, dass der aktuelle Hungerstreik für viele Gefangene der letzte sein werde, dass viele gesundheitlich durch die lange Haft so angeschlagen seien, dass sie "dabei draufgehen" würden. Kurnaz kennt einige Häftlinge, er weiß, wovon er spricht, auch er war im Hungerstreik, wurde zwangsernährt.

Kurnaz sagt, er sei mit der Darstellung der Guantánamo-Situation und seiner eigenen zufrieden – obwohl er die Darstellung mitunter »zu soft« finde. Der Film zeige nicht alles, was ihm die Foltersspezialisten angetan hätten. Schauspieler Sascha Geršak warnt dennoch vor:"Der Film ist nichts für schwache Nerven."