Andreas Englisch kennt alle Gründe, warum die Kurie vor Papst Franziskus Angst hat – und weiß fesselnd davon zu erzählen. Foto: Eyrich Foto: Schwarzwälder-Bote

Päpstliche Revolution: Autor Andreas Englisch lässt sein Publikum hinter die Kulissen des Vatikan blicken

Von Karina Eyrich

Kein anderer Kardinal habe so viel Ärger mit der Kirche gehabt, sagt Andreas Englisch über Jorge Mario Bergoglio, und wäre der nicht im März 2013 Papst geworden, hätte man ihn im Juni in den Ruhestand geschickt. Warum? Der Vatikan-Korrespondent weiß es.

Balingen. Eigentlich sei Andreas Englisch, Westfale und Journalist in Hamburg, 1987 nur nach Rom gegangen, um Italienisch zu lernen, verrät Ursula Grau, Leiterin der katholischen Erwachsenenbildung im Zollernalbkreis, die den Abend mit dem Chef des Springer-Auslandsbüros in Rom in die Heilig-Geist-Kirche verlegen musste – so viele wollen ihm zuhören. Die 4000 D-Mark, die er dabei hatte, waren schnell aufgebraucht – und Englisch brauchte einen Job. Heute gilt der Schnellsprecher als einer der profundesten Kenner des Vatikan und weiß entsprechend Spannendes zu berichten über Papst Franziskus, der seine Amtszeit mit mehreren "Kriegserklärungen" an die Kurie begonnen habe.

"Die sollen selbst lernen, ihre Unterhosen auszuwaschen"

"In ein so protziges Auto steige ich nicht – ich fahre mit dem Bus, aber als Papst will ich vorne sitzen" – Äußerungen, die den Sturkopf im Heiligen Vater verraten. Schon als Kardinal habe er den Einsatz von Ordensfrauen zu seiner Hilfe abgelehnt, so Englisch. "Wozu sind die Ordensfrauen geworden, wenn sie nichts anderes tun als einem Kardinal das Auto sauber und das Schnitzel warm zu machen? Die Kardinäle sollen selbst lernen, wie man seine Unterhosen auswäscht – das tue ich schließlich auch."

Bei solchen Äußerungen ließ der Krach mit dem päpstlichen Nuntius nicht auf sich warten, und so hörte Bergoglio kurz vor seinem 75. Geburtstag: "Sie brauchen kein Rücktrittsgesuch einreichen" – bei Kardinälen in diesem Alter üblich, ebenso wie die päpstliche Ablehnung desselben. "Wir nehmen es an."

Jenen Claudio Kardinal Hummes, der als Chef aller katholischen Priester das Zölibat abgelehnt und nach einer Demütigung "die Brocken hingeworfen" hatte, habe Franziskus bei seinem ersten Auftritt als Papst mit auf den Balkon genommen, den Ratzinger-Kritiker Walter Kardinal Kasper über den grünen Klee gelobt, die Wohnung im apostolischen Palast verweigert, Servicepersonal abgelehnt, Sekretäre und den Präfekten entmachtet, so dass schon am ersten Tag klar gewesen sei: "Dieser Mann will wirklich Ärger", sagt Englisch, der sich wie ein kleiner Junge über all diese Veränderungen freut.

In einem "alten Fetzen" von Priestergewand statt in rotem Samt habe Franziskus einen Ostergottesdienst zelebriert – "Ich bin der Papst und nicht der Weihnachtsmann" – und mit Kelvin Felix einen Verbündeten der Armen zum Kardinal gemacht. Mehr noch: zum Chef der Kontrollkommission der Konten des Vatikan. Für Englisch ist diese Entscheidung "meine Lieblingsveränderung". Nicht nur, weil er und der Erzbischof von Castries in der Karibik alte Freunde sind, sondern weil dieser für ihn ein Held ist: "Alle reden über Leute wie Tebartz-van Elst", den prunksüchtigen Ex-Bischof von Limburg, "aber niemand über Leute wie Kelvin Felix."

Tausend solcher Geschichten hat Andreas Englisch auf Lager und sie in seinem neuen Buch "Der Kämpfer im Vatikan" versammelt, weil er sie in Heilig-Geist unmöglich alle erzählen kann, obwohl er anderthalb Stunden ohne Punkt und Komma zum gebannt lauschenden Publikum spricht.

Die Botschaft bei der Standparty: Geht hinaus aus den Kirchen

Ein paar ganz schöne haben freilich Platz: die von der Heiligsprechung Johannes XXIII. und Johannes Pauls II. zum Beispiel, als Franziskus – wider jedes staatliche Protokoll – den Petersplatz verlassen und auf der Via della Conciliazione, also auf italienischem Staatsgebiet, die Menschen begeistert habe. Oder die vom Weltjugendtag 2013, der auf Wunsch des Papstes zur "Standparty" an der Copacabana wurde, mit der Andreas Englisch ein unter den jüngsten drei Päpsten bestens bekanntes Erlebnis in Boxershorts verbindet. Und natürlich die seines Sohnes Leonardo, in den Johannes Paul II. vernarrt war und dem der Papst kurz vor seinem Tod hatte ausrichten lassen: "Opa Papst kann nicht mehr."

Der Autor hat auch Botschaften mitgebracht: "Ein Papst hat nur eine Chance, eine Revolte gegen die Kurie anzuzetteln: wenn er die ganz normalen Leute hinter sich weiß, also Sie", ruft er dem Publikum zu. Den Jugendlichen in Rio habe Franziskus gesagt: "Ich kann die Welt nicht verbessern, aber Ihr könnt sie verbessern. Geht hinaus aus den Kirchen – dann wird Gott bei Euch sein." Und mit Blick auf die Ökumene: "Wäre der Papst hier, würde er sagen: ›Was Katholiken und evangelische Christen verbindet, ist viel wichtiger als das, was sie trennt. Ihr müsst zusammenstehen, denn Ihr werdet gebraucht.‹"

(key). Fragen der Zuhörer betrafen aktuelle Themen der katholischen Kirche. Andreas Englischs Antworten:   Zum Zölibat: Schon jetzt müsse die katholische Kirche in Deutschland Priester aus dem Ausland holen – eigenen Priesternachwuchs habe sie kaum noch. Bleibe das Zölibat bestehen, sei sie "existenziell gefährdet".

  Zur Ökumene: "Franziskus sagt: ›Gott ist größer als die Regeln einer Kirche.‹ Und Gott ist nicht katholisch."  Zur Frauenordination: "Seine Kernbotschaft ›Ich bin auferstanden‹ hat Jesus zuerst einer Frau, Maria von Magdala, gesagt. Das ist das, was die Jungs bis heute nicht verstehen: Ohne Frauen wird die katholische Kirche in Deutschland nicht überleben. Die Zeit, in der Frauen nur die Drecksarbeit in der Kirche machen dürfen, muss vorbei sein."  Zur Homosexualität: "Es gibt in den Evangelien keine einzige Aussage gegen Homosexualität."

  Zu wiederverheirateten Geschiedenen: Eine Frau, die ihren Mann erschieße und ihre Tat bereue, dürfe als Witwe wieder heiraten und zu den Sakramenten gehen – eine Frau, die sich friedlich von ihrem Mann trenne und wieder heirate, jedoch nicht. Das habe Walter Kardinal Kasper kritisiert – zurecht.