Die Bürger dürfen – ja sie sollen sogar: mitreden, wenn es um die Zukunft ihrer Stadt Albstadt geht. Foto: Penck

Albstädter definieren die größten Baustellen. Bürgerwerkstätte nehmen in Frühjahr Arbeit auf.

Albstadt-Tailfingen - "Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben." Albstädter, die das sehen wie Albert Einstein, waren zum Auftakt des "Stadtentwicklungskonzepts 2030" eingeladen – und rund 110 sind gekommen.

"Heute ist ein besonderer Tag", freute sich Baubürgermeister Udo Hollauer, "denn heute fällt der Startschuss für ein Projekt, das sich vor allem mit der Frage beschäftigen wird: Wo wollen wir als Stadt Albstadt in Zukunft hin?" Hollauer blickte in ein zu zwei Dritteln besetztes Foyer der Zollernalbhalle. Im Publikum: zwei Drittel Männer, zwei Drittel der Zuhörer über 50 Jahre alt. Zwei freilich fehlten: Oberbürgermeister Klaus Konzelmann und Finanzbürgermeister Anton Reger vertraten die Stadt bei der Hauptversammlung des Städtetags.

Dafür hatte Hollauer sich Verstärkung vom Institut für Stadt- und Regionalentwicklung an der Hochschule Nürtingen-Geislingen (IfSR) mitgebracht, die das Projekt "Stadtentwicklungskonzept 2030" betreuen, das kleinere Einzelkonzepte verzahnen und bündeln soll, damit Albstadt sich Herausforderungen wie "Integration und Migration, demografischer Wandel, generationengerechter Haushalt, Klimawandel und Globalisierung" stellen könne, wie Hollauer sagte.

Dass es im Kleinen, in einer Stadt, oft leichter sei, gemeinsam Herausforderungen anzupacken und zu meistern – und "dass es sich lohnt, da mit zu machen" –, betonte Alfred Ruther-Mehlis vom IfSR, der mit seinem Team schon weit über 100 Städte betreut und schon etliche Pluspunkte an Albstadt entdeckt hat: die Vielfalt der Stadtteile, die Möglichkeit, preisgünstiges Wohnen und "spannende Arbeitsplätze" zu verbinden, sowie die Freizeit, Sport-, Kunst- und Kulturangebote, die früher "weiche" gewesen und heute "knallharte Standortfaktoren" seien, wenn es darum gehe, Fachkräfte zu gewinnen. "Albstadt ist keine Stadt für nur einen kurzen Blick", kommentierte Ruther-Mehlis und rief alle Bürger auf, zu den fünf Bürgerwerkstätten im Frühjahr in fünf Stadtteilen zu gehen und sich einzubringen.

Denn wenngleich die Stadt durch die Innenstadt-Neugestaltung in Ebingen und Tailfingen "auf dem besten Weg in die Zukunft" sei, "müssen wir weiterarbeiten", meinte Gerhard Penck, Leiter des Stadtplanungsamtes: die Stadtstruktur, also Wohnen, Gewerbe und Verkehr neu gliedern, Prioritäten setzen, damit der Gemeinderat wisse, was die Bürger wollten und was zuerst angepackt werden müsse. Für das beschließende Gremium sei das Stadtentwicklungskonzept die "fachliche und politische Zielvorgabe für die Zukunft", und je mehr Bürger daran mitarbeiteten, so Ruther-Mehlis, desto breiter seien die Schultern, auf denen es getragen werde.

An sechs Thementischen sammelten Mitarbeiter der Stadt sowie Alfred Ruther-Mehlis, Heidrun Fischer, Katharina Nickel und Michael Weber vom IfSR anschließend Stimmen der Bürger.

Einkaufen: Die Bürger beklagen die Konzentration der Verbrauchermärkte in Randlagen, die zu geringe Zahl attraktiver Läden für den Bummel in der Innenstadt, die Erreichbarkeit mittels ÖPNV und zentrumsnaher Parkplätze, zu kurze Öffnungszeiten, zu wenig Zusammenarbeit der Einzelhändler und die zu einseitige Branchenstruktur.

Wohnen mit Kindern und Jugendlichen: Bürger stört das Fehlen von Grünanlagen und Spielplätzen, Jugendtreffs, wohnortnahen Schulen, Bildungsangeboten für Hochbegabte und Berufsschüler, fehlende Sicherheit auf Schulwegen und die "Vermüllung der Landschaft". Sie wünschen sich den Erhalt von Sportstätten in den Stadtteilen, bezahlbaren Wohnraum für junge Familien und innenstadtnahes Wohnen mittels gefördertem Abbruch von Altbauten.

Senioren: Barrierefreies, zentrumsnahes Wohnen, Mehrgenerationen-Häuser, soziale Treffpunkte, wohnortnahe Betreuung und medizinische Versorgung sind den älteren Albstädtern wichtig – ebenso wie Barrierefreiheit im öffentlich Raum und der Erhalt des Krankenhauses.

Arbeiten: Breitband-Versorgung, gute Verkehrsanbindung, eine stärkere Einbindung der Hochschule in Stadt, Bildungs- und Wirtschaftslandschaft, dezentrale Arbeitsplätze in allen Stadtteilen, zu wenig freie Gewerbeflächen, zu viele Gewerbebrachen, die schlechten ÖPNV-Anbindungen für Arbeitnehmer, vor allem zu Schichtzeiten, das Fehlen von Business-Hotels und hochwertigen Mietwohnungen für Fachkräfte treibt Bürger um.

Mobilität: Bessere ÖPNV-Angebote und -Vertaktung, Auto-Sharing, E-Tankstellen, durchgängige Fahrradwege, die Reaktivierung der Talgang-Bahn, eine bessere überregionale Anbindung auf Schiene und Straße sowie verkehrsfreie Innenstadtbereiche wünschen sich die Albstädter.

Sport, Erholung, Kultur: Länger offene Einrichtungen und Lokale, mehr Angebote für junge Leute, eine "Kulturfabrik", bessere Jugendförderung im Sport, die Verzahnung von Sportentwicklungskonzept und Vereinen, mehr und besser erhaltene Sport- und Kulturstätten, urbane Gärten und die Verknüpfung von Traufgängen und Kultur sind Hauptthemen der Bürger.

Was die Albstädter an ihrer Heimat lieben, durften sie auch niederschreiben und nannten vor allem die Menschen und die schöne Natur – die es zu erhalten gelte.

Im Frühjahr geht der Bürgerbeteiligungsprozess in fünf Bürgerwerkstätten weiter – und schon in wenigen Tagen auf der Internetseite der Stadt Albstadt. Dort melden sich dann vielleicht auch die rund 44 400 Einwohner zu Wort, die am Mittwochabend ihre Chance nicht genutzt haben.