So sah Gustav Essig sich selbst (links). Rechts oben seine Frau Anna, darunter das Bild Gemälde "Familie Darboven im Park" und rechts eine Auftragsarbeit, das Portrait des Tübinger Theologieprofessors Karl Fezer. Fotos: Städtische Kunstsammlung Murrhardt Foto: Schwarzwälder-Bote

Hermann und Gustav Essig waren bedeutende Künstler – und hätten womöglich noch größere sein können

Von Martin Kistner

Albstadt-Truchtelfingen. In Murrhardt im Schwäbischen Wald dokumentiert derzeit eine Sonderausstellung der Städtischen Kunstsammlung das Schaffen des Malers Gustav Essig, der seine letzten 32 Lebensjahre in Murrhardt verbrachte. Geboren war er anderswo: in Truchtelfingen.

Sowohl Gustav Essig als auch sein zwei Jahre älterer Bruder, der Schriftsteller Hermann Essig, waren gebürtige Truchtelfinger – sie kamen 1878 beziehungsweise 1880 zur Welt. Doch obwohl sie es in ihren Metiers durchaus zur Meisterschaft und temporärem Ruhm brachten, sind in Truchtelfingen keine Straßen nach ihnen benannt, und ihre Namen dürften den wenigsten Truchtelfingern etwas sagen.

Das mag daran liegen, dass sie nicht lange genug im Talgang lebten: Sie waren die Söhne eines Pfarrers, der irgendwann nach Schorndorf versetzt wurde, gingen in Weinsberg zur Schule und machten in Heilbronn Abitur. Sie behielten zwar die Erinnerung an ihre erste Heimat, aber Spuren haben sie dort nicht hinterlassen.

Indes würden die Truchtelfinger das Andenken ihrer beiden nicht unbedeutenden Söhne sicher hoch halten, wenn deren Erfolg groß und langlebig gewesen wäre. Doch das war er nicht. Hermann und Gustav Essig haben in der Literatur- und Kunstgeschichte ihren festen Platz, aber keinen Logenplatz. Hermann Essig erhielt zwar gleich zweimal, 1913 und 1914, den Kleist-Preis, der in der Weimarer Zeit zu Deutschlands bedeutendstem Literaturpreis avancieren sollte.

Allerdings zeigte sich, dass seine bissig sozialkritischen und oft sexuell anstößigen Dramen, Romane und Satiren – sie waren sowohl vom Naturalismus eines Gerhard Hauptmann als auch vom Berliner Expressionismus der Vorkriegszeit inspiriert – , etwas zuviel Zeitgeist für eine nachhaltige literarische Wirkung atmeten. Der expressionistische Furor besaß nur begrenzte Halbwertszeit, und den Beweis, dass sein Talent noch andere, bis dahin verborgen gebliebene Facetten zu bieten hatte, konnte Hermann Essig nicht mehr antreten: Er erlag bereits 1918 einer Lungenkrankheit, zwei Monate vor seinem 40. Geburtstag.

Kunstsschüler beim "Malerfürsten"

Sein Bruder Gustav wurde mehr als doppelt so alt. Genau wie sein Bruder hatte er nach dem Abitur ein Studium an der Technischen Hochschule in Stuttgart absolviert; 1904 ging er nach München und wurde dort ein Schüler des "Malerfürsten" Franz von Stuck, bei dem sich kurz zuvor Wassily Kandinsky und Paul Klee akademische Sporen erworben hatten.

Im Gegensatz zu diesen beiden blieb er jedoch zeitlebens der Gegenständlichkeit verhaftet, pflegte einen "kleinen Grenzverkehr" zwischen Impressionismus und einem Realismus mit aufgehellter Palette – in den 1920-er Jahren und auch später scheint die Neue Sachlichkeit nicht weit entfernt zu sein. Seinen Lebensunterhalt finanzierte er vor allem mit Portraits. 1930 verließ er München ohne Wehmut und zog nach Murrhardt, wo er 1962 starb.

Wer sich für sein Œuvre interessiert, kann es noch bis zum 16. Dezember in der Städtischen Kunstsammlung in Murrhardt studieren – und wird sich vielleicht fragen, ob dieser Künstler nicht mehr vermocht hätte, ob hier nicht einer genügsamer war, als es seinem Talent entsprach, ob hier nicht Möglichkeiten ungenutzt geblieben sind.

Bei Hermann Essig, der das Schwabenalter um 70 Tage verfehlte, scheint die Antwort auf der Hand zu liegen: Nicht von ungefähr spricht sein Enkel Rolf-Bernhard Essig von einem "uneingelösten Versprechen" – hier liegt der nicht ganz seltene Fall des Genius vor, der übers Genialische nicht hinauskam. Wer weiß, was geworden wäre, hätte Hermann Essig eine robustere Lunge besessen. Vielleicht gäbe es heute doch eine Essig-Straße in Truchtelfingen.

Weitere Informationen: Die Ausstellung "Gustav Essig – Carl Obenland" in der Städtischen Kunstsammlung Murrhardt ist bis zum 16 Dezember donnerstags und freitags von 16. bis 18.30 Uhr, samstags und sonntags von 14 bis 17 Uhr geöffnet.