Üblicherweise bauen die Mitarbeiter des Unternehmens Getränke Biesinger aus Albstadt Festzelte auf – nun errichten sie auf dem Balinger Klinik-Gelände ein Behandlungszelt. Mitte nächster Woche soll es den Betrieb aufnehmen, dort werden Patienten durchgechekt, ehe sie in diesen heiklen Corona-Zeiten ins Krankenhaus eingelassen werden. Foto: Maier

Krankenhaus-Chef rechnet bis 6. April mit 270 Intensivpatienten - bei derzeit nur 13 Plätzen.

Zollernalbkreis - Mit einem eindringlichen Appell wendet sich Gerhard Hinger, Chef des Zollernalb-Klinikums, an die Menschen im Kreis: "Bleiben Sie Zuhause, meiden Sie Kontakte zu Mitmenschen." Selbst wenn es ab sofort zu keinen Neuinfizierungen mit dem Coronavirus komme, werde in den nächsten 14 Tagen die Zahl der Betroffenen massiv ansteigen – vor allem auch derjenigen, die intensive medizinische Betreuung bräuchten.

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Hinger sagte am Mittwoch, es gebe in der Bevölkerung immer noch eine große Unsicherheit und viele Unklarheiten, was das Coronavirus betreffe. Viele nähmen die Infektionsgefahr nicht ernst genug, weil es noch an der persönlichen Betroffenheit fehle und im näheren persönlichen Umfeld bisher niemand an dem neuartigen Erreger erkrankt sei. Das aber werde sich, so Hinger weiter, definitiv ändern. Die von der Landes- und Bundesregierung getroffenen einschränkenden Maßnahmen seien sinnvoll und angesichts der Bedrohung durch das Virus auch nicht übertrieben.

Wie etwa in China und Italien, so verdoppelt sich die Zahl der bekannten Corona-Infektionen in Deutschland und im Zollernalbkreis derzeit etwa alle drei Tage. Jeder Infizierte, so Hinger, stecke im Schnitt 2,7 weitere Personen an. Die Ausbreitung der Pandemie könne also nur dadurch wirksam eingedämmt werden, indem man Kontakt zu Mitmenschen meide. "Kein Kontakt – keine Infektion", so Hinger.

"Enorme Dynamik"

Die bisherigen Hochrechnungen, ausgehend von der Entwicklung der Fallzahlen und der Infektionsrate, hätten sich bis dato leider bewahrheitet, so Hinger. Das Virus zeige eine "enorme Dynamik". Die Inkubationszeit – also der Zeitraum zwischen Infektion und dem Auftreten der ersten Symptome – betrage beim Coronavirus etwa 14 Tage. Das bedeutet für den Zollernalbkreis, dass recht verlässlich gesagt werden könne, dass sich die Zahl der Infizierten bis zum 6. April auf rund 5400 erhöhen werde – selbst wenn sich nun alle konsequent an die Anordnungen halten und Kontakte meiden. "Viele sind schon infiziert, merken es nur noch nicht – und geben das Virus weiter", so Hinger.

Er rate deshalb dringend dazu, sich zu isolieren, nur noch in kleinsten Gruppen – die eigene, enge Familie – zusammenzukommen; bereits der Kontakt zu Eltern und Großeltern könne eine Gefahr sein, weil bei Älteren das besonders hohe Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs bestehe.

Wieder abgeleitet von den Erfahrungen in anderen Ländern könne man davon ausgehen, dass der Krankheitsverlauf bei rund 80 Prozent der Infizierten recht milde verlaufe, so Hinger: Fieber, trockener Husten, Gliederschmerzen und, bei Corona im Vergleich zu Influenze besonders auffällig, eine Geschmacksstörung. 15 Prozent der Fälle würden aller Voraussicht nach einen schweren Verlauf nehmen und die Behandlung im Krankenhaus notwendig machen – fünf Prozent der Erkrankten benötigten intensivmedizinische Maßnahmen, vor allem, weil es zu Lungenversagen komme. Etwa die Hälfte dieser "kritischen" Patienten werde wohl sterben, so Hinger.

"Massiv unter Druck"

Heruntergerechnet auf den Zollernalbkreis würde das tatsächlich den medizinischen Ernstfall bedeuten: Von den rund 5400 Infizierten am 6. April müssten rund 1100 ins Krankenhaus – deutlich mehr, als das Zollernalb-Klinikum an Betten vorhalten könne. Etwa 270 davon benötigten intensivmedizinische Versorgung – bei derzeit 13 verfügbaren intensivmedizinischen Plätzen.

Diese Lücke zwischen den vorhandenen Betten und den erwarteten Fällen sei vielen einfach noch nicht bewusst. Selbst wenn, etwa aufgrund der besonderen gesundheitlichen Robustheit der Zollernälbler, die Zahl der Intensivfälle nur halb so hoch sei wie anderswo, wären es immer noch etwa 135. Hinger sagt, dass das Gesundheitswesen im Zollernalbkreis und auch anderswo "massiv unter Druck" geraten werde – und das scheint angesichts dieser Zahlen noch untertrieben.

Derweil bereitet sich das Zollernalb-Klinikum nach Kräften auf diesen Ausnahmefall vor: Die Zahl der Intensivplätze soll auf 35 erhöht werden; die entsprechenden Geräte seien bestellt, so Hinger, ob sie rechtzeitig kommen, stehe auf einem anderen Blatt. Die Bevorratung etwa an Medikamenten sei intensiv hochgefahren worden. Es gebe Überlegungen, Corona-Fälle bald nur noch in Balingen aufzunehmen und alle anderen Patienten – abgesehen von Müttern, denen eine Geburt bevorsteht – im Ebinger Krankenhaus. Zudem gebe es, so Hinger weiter, gespräche mit der Albstädter Acura-klinik: Diese könnte Fälle des Zollernalb-Klinikums übernehmen; etwa könnten Patienten, wenn sie nach einer Operation aus dem Gröbsten heraus seien, dorthin verlegt werden.

Zugang wird kontrolliert

Der Schutz des Klinikums selbst und des Personals werde in den nächsten Tagen noch einmal verstärkt, sagte Hinger. Für alle Bereiche würden derzeit Krisenpläne erstellt. Bisher schon galten Einschränkungen für Besucher, nun werde das Zollernalb-Klinikum quasi komplett nach außen hin abgesperrt. Ende dieser Woche gehe vor dem Haupteingang in Balingen ein so genanntes Akkreditierungszelt in Betrieb – wer ins Krankenhaus wolle, müsse dort durch. Neben Klinik-Personal werde auch ein Sicherheitsdienst vor Ort sein. Denn klar sei, so Hinger: Es werde zu Konflikten kommen. Besucher dürften jetzt nur noch in absoluten Ausnahmefällen ins Haus – der Vater, der sein Neugeborenes begrüßen will, gehört nicht zwingend zu diesem Kreis.

Mitte nächster Woche werde zudem ein Behandlungszelt den Betrieb aufnehmen, das seit Mittwoch auf einem Parkplatz auf dem Balinger Klinik-Gelände aufgebaut wird. Platz ist darin für rund 30 Patienten, sie sollen darin von Ärzten vorab durchgecheckt werden, ob eine Aufnahme im Krankenhaus überhaupt notwendig ist. "Wir wollen vermeiden", so Hinger, "dass Kranke in dieser besonderen Situation ungeprüft ins Innere des Krankenhauses kommen".