Stefan Herre steht im Wahlkreisbüro der AfD. Von Weilstetten aus bombardiert der Abgeordnete die Ministerien in Stuttgart mit Kleinen Anfragen. Foto: Maier

Landtagsabgeordneter Stefan Herre fragt Ministerien nach Gott und der Welt.

Zollernalbkreis - Die Alternative für Deutschland (AfD) ist im Wahlkreis Balingen mittlerweile "arbeitsfähig", wie es der Landtagsabgeordnete Stefan Herre nennt. Geht es nach den Kleinen Anfragen, gehört Herre zu den fleißigsten Arbeitern des Landtags – die Frage ist indes, wie vernünftig er mit diesem Instrument umgeht.

Rund 17 Quadratmeter ist das Wahlkreisbüro groß, das Herre eingerichtet hat. Untergebracht ist es in dem Haus, in dem Herre heute wohnt und in dem früher seine Großeltern lebten. Das heutige Büro war einst ein Schlafzimmer. Ruhig geht es dort heute aber nicht zu, im Gegenteil.

Zwei Arbeitsplätze sind eingerichtet, auf den Schreibtischen stehen sechs Bildschirme, an denen der 24-jährige Herre und sein neu angestellter Mitarbeiter ihrer Arbeit nachgehen. Dieser will namentlich nicht genannt werden, es handelt sich um einen früheren Landtags- und Bundestagswahlkandidaten der Linken; er leitet auch Herres Büro in Stuttgart.

Dass er das Wahlkreisbüro bei ihm zuhause eingerichtet hat, begründet Herre auch damit, dass die Suche nach geeigneten Räumen anderswo leider ergebnislos verlaufen sei. Potentielle Vermieter hätten davor zurückgeschreckt, mit ihm, dem AfD-Mann, ins Geschäft zu kommen. Die jetzige Lösung ruft Kritiker auf den Plan, die meinen, dass er die Miete nun an sich selbst zahle. Dazu indes muss man wissen, dass alle Landtagsabgeordneten monatlich eine Pauschale für ein Büro erhalten – unabhängig davon, ob sie eines unterhalten oder nicht. Beispiele dafür, dass Abgeordnete Büros bei sich zuhause einrichten, gibt es genug – im hiesigen Wahlkreis war das etwa beim früheren SPD-Abgeordneten Hans-Martin Haller der Fall.

Herre hat den Eindruck, dass er selbst, dass seine Partei, die AfD, stärker und kritischer beäugt werden als andere Politiker und Parteien. Oft treffe er auf Widerstand, werde bei öffentlichen Anlässen ignoriert. Dabei sei ihm indes auch klar, dass sich die AfD als vergleichsweise junge Partei erst noch das Standing, die Reputation aufbauen müsse.

Nicht eben hilfreich sei dabei die Fraktionsspaltung im Stuttgarter Landtag gewesen – das habe "Kraft gekostet", sagt Herre. Dass die innerparteilichen Auseinandersetzungen mit der Vereinigung Ende Oktober nicht vorbei waren, bekam er selbst zu spüren: Zwischen ihm und seinem Fraktionskollegen Stefan Räpple, Abgeordneter aus der Ortenau, soll es Anfang November nach einer verbalen auch zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen sein. Die Rangelei zwischen Herre und Räpple kann man als Zeichen des Richtungsstreits lesen, der derzeit innerhalb der AfD schwelt. Räpple zählt zum rechtsnationalen Flügel, Herre beschreibt sich als Vertreter des konservativ-bürgerlichen Lagers. Räpple soll Herre als "Pisser" beschimpft haben. Herre will sich dazu nicht äußern.

Viel lieber redet der Balinger über seine tägliche Arbeit, die er als Abgeordneter des Wahlkreises Balingen leistet, insbesondere die vielen Kleinen Anfragen. Fast 200 solcher Anfragen sind von der AfD seit Beginn der Legislaturperiode im Frühsommer an die Landesregierung gestellt worden – allein Herre hat rund 70 verfasst.

Jede Anfrage setzt einen großen Apparat in Bewegung

Die umfangreiche Liste, dokumentiert auf drei DIN-A-4-Seiten, soll zeigen, dass sich Herre kümmert, dass er auf vielen Ebenen engagiert ist, dass er, wie er sagt, eine "sachliche Arbeit" anstrebt. Wichtig ist ihm zu betonen, dass nur zwei dieser Kleinen Anfragen sich explizit mit dem Thema Flüchtlinge beschäftigen. Herre stellt Fragen zu Gott und der Welt, beispielsweise nach dem Breitbandausbau, der Entwicklung der ökologischen Landwirtschaft, dem Hausärztemangel, der Landestourismuskonzeption, den Weinexporten in die USA, der Einwanderung von Wölfen und den damit zu erwartenden Folgen für Mensch und Tier, zur Altersarmut, zu Maßnahmen zur Verhinderung von Geisterfahrern im Land, und, und, und.

Die umfangreiche Liste zeigt indes auch, dass Herre die Landesministerien in vielen Fällen beschäftigt, in denen das eigentlich nicht notwendig wäre. Beispiele: Die Pflegesituation im Zollernalbkreis, die Entwicklungen der Geburten im Zollernalbkreis, die Grundbucheinsichtnahmen bei den Notariaten im Zollernalbkreis, die Radwege im Zollernalbkreis, der Zustand der Brücken im Zollernalbkreis, das Müllaufkommen im, genau: Zollernalbkreis, oder auch die Frage, ob der Landesregierung bekannt ist, wie viele öffentliche Freibäder es im Zollernalbkreis und in Baden-Württemberg gibt.

In all diesen Fällen ist die Landesregierung zur Beantwortung verpflichtet. Jede Kleine Anfrage setzt den Apparat in Bewegung, es müssen Antworten bei Regierungspräsidien, Landratsämtern und Kommunen eingeholt werden.

Ein Kritiker dieser ausufernden Kleinen Anfragen ist Landrat Günther-Martin Pauli, früher selbst Landtagsabgeordneter der CDU. Grundsätzlich müssten Parlamentarier dieses Instrument "sorgsam" einsetzen – und sich fragen lassen, ob sie es um der Sache wegen oder als "Tätigkeitsnachweis" nutzen. Leider, so Pauli, das wisse er aus Erfahrung, werde es oft zur "Schaumschlägerei" verwendet.

Er habe Herre bereits angeboten, dass er sich mit Fragen speziell zu Themen des Zollernalbkreises jederzeit gerne an ihn und die Mitarbeiter des Landratsamts wenden könne. In einigen Fällen könnte so wohl vermieden werden, dass Ressourcen in Stuttgart vergeudet werden – "die Beamten dort haben oft Wichtigeres zu tun". Das habe er Herre ebenso deutlich gemacht, so Pauli.

Diesen Impuls hat der AfD-Mann offenbar flugs aufgegriffen. Eine seiner vielen Kleinen Anfragen soll klären helfen, ob durch die Vielzahl Kleiner Anfragen und deren Beantwortung möglicherweise Steuergeld verschwendet wird.