Glaubt, dass es keinen erfüllenderen Beruf gibt als in der Medizin, macht sich jedoch um den Nachwuchs Sorgen: der Sprecher der Ärzte im Landkreis Calw, Bernd Walz. Foto: Kneißler Foto: Schwarzwälder-Bote

Ärzte im Kreis Calw werden immer älter / Nachfolger schwer zu finden / Verwaltungsaufwand für Praxen immens / Langsames Umdenken

Von Jessica Kneißler Wildberg. "Die Zuwendung zum Menschen spielt fast keine Rolle mehr" – darin sieht Bernd Walz, Sprecher der Ärzte im Kreis Calw, eines der größten Probleme bei der Suche nach Nachwuchs-Hausärzten. Doch ein Umdenken finde statt."Es gibt keinen erfüllenderen Beruf in der Medizin": Für Bernd Walz, der sich in Wildberg eine Gemeinschaftspraxis mit seiner Frau teilt, ist der Hausarztberuf ein Traumjob.

Allerdings habe sich in den vergangenen Jahren vieles verändert – und zwar zum Schlechten. "Wir ertrinken in Verwaltungsaufwand", klagt Walz. Jedes Wehwehchen hat inzwischen eine Nummer, so genannte ICD-10 Schlüssel, die der Arzt erst einmal in einem dicken Katalog suchen und elektronisch dann an die Krankenkassen weiterleiten muss.

K35 – dahinter verbirgt sich zum Beispiel die Blinddarmentzündung; wer J30 diagnostiziert bekommt, dem läuft schlicht die Nase. Für Diabetes-Erkrankungen gibt es allein 143 verschiedene Klassifizierungen. Früher gab es Tagespauschalen, "300 Mark pro Tag waren es mal". Heute muss jeder Fall einzeln aufgelistet werden; diese werden dann entsprechend vergütet.

Für einen Hausbesuch bekommt Walz pro Patient eine Pauschale von 55 Euro – im Quartal: "Das würde vielleicht für einen Besuch in drei Monaten reichen." Seine regelmäßigen Visiten im Altersheim bezeichnet er deshalb als Hobby: Er mache es gerne. Und umsonst. Dazu kommt die auf dem Land überproportional hohe Zahl an Notdiensten; je nach Versorgungsgebiet in bis zu jeder dritten Nacht. Kein Wunder sei also, dass sich viele Jungmediziner heute gegen den Hausarztberuf auf dem Land entscheiden. Obwohl er eigentlich "wunderschön" sei. Denn, so Walz: "Nirgendwo sonst bekommt man einen so tiefen Einblick in das Leben der Menschen." Oft kenne man Familien über Generationen hinweg, deren Probleme, deren Besonderheiten.

Doch mit dem immer höheren Verwaltungsaufwand und dem Druck, möglichst viele "Pauschalen" abrechnen zu müssen, könne man sich längst nicht mehr die Zeit nehmen wie früher. Dafür werde alles, was mit Technik zu tun habe, immer höher bewertet. Entscheidet sich ein Mediziner für den Beruf des Kardiologen, der als Herzspezialist viel mit Technik arbeiten muss, bekommt er dafür auch mehr Geld – so sieht es das System der Kassen vor. "Die soziale Komponente bleibt bei diesen Entwicklungen außen vor", so Walz.

Immer mehr Verwaltung, immer weniger Anerkennung: Das sei auch ein Grund, warum immer mehr Ärzte vorzeitig in den Ruhestand gehen. Im Jahr 1998 waren es hier noch 15,6 Prozent, für 2010 stieg die Zahl der Vorruheständler auf 37 Prozent – mehr als das Doppelte. Immer mehr Ärzte kommen im Kreis Calw ins Rentenalter, die Suche nach Nachfolgern gestaltet sich oft schwierig. In Freudenstadt stehen beispielsweise sieben Praxen leer.

Allerdings: "Langsam findet ein Umdenken statt, sowohl in der Politik als auch unter den Ärzten." Doch was kann man konkret tun? Bundesgesundheitsminister Rösler will Ärzte mit finanziellen Zuwendungen und "besseren Arbeitsbedingungen" in ländliche Regionen locken – etwa mehr Teilzeitarbeit, auch angesichts der wachsenden Anzahl weiblicher Medizinerinnen. Die noch im Verhandlungsstadium befindlichen Regelungen des sogenannten Ärztegesetzes sollen 2012 in Kraft treten.

Vor Ort hat man ebenfalls Maßnahmen ergriffen. "Wir haben 2009 eine Notdienstpraxis gegründet, die von den Ärzten im Umkreis abwechselnd besetzt wird. Durch diese Zentralisierung fallen weniger Dienste für den Einzelnen an", erklärt Walz. Ein so genannter "Weiterbildungsverbund" soll ebenfalls als Lockmittel dienen. Er garantiert jungen Ärzten, dass sie ihre Ausbildung (die sowohl in Kliniken als auch bei niedergelassenen Ärzten erfolgen muss) hier in fünf Jahren absolvieren können.

Aber auch die Kommunen müssten sich in Sachen sozialer und kultureller Infrastruktur anstrengen, um dem "kaum abwendbaren" Ärztemangel abzumildern.