Der Widerstand gegen den Bau eines weiteren Parkhauses am Nägelesgraben wird massiver: Für den Mittwoch zur entscheidenden Gemeinderatssitzung ist unter dem Titel "Spielplatz statt Parkhaus" eine Demo angekündigt. Und am Wochenende startete über die sozialen Netzwerke eine groß angelegte Unterschriftenaktion gegen das Projekt.
Rottweil - Stadt und Verkehrsplaner sehen den Bau eines weiteren Parkhauses als unabdingbare Lösung an, um mit Blick auf die Landesgartenschau und die Besucherströme zur künftigen Hängebrücke den nötigen Parkraum zu schaffen. Doch damit haben sie die Rechnung ohne die Bürger gemacht: Viele sehen den Bau angesichts zahlreicher weiterer Parkmöglichkeiten für unnötig an und zudem völlig konträr zum Klimaschutzgedanken stehend. Dass ein beliebter und gut funktionierender Spielplatz dem Parkhaus weichen müsste, sorgt zusätzlich für Entrüstung.
Im Gemeinderat haben sich auch Grüne und SPD+FFR schon früh klar gegen die Pläne positioniert. Dementsprechend knapp war vergangene Woche die Abstimmung im Bauausschuss ausgefallen (wir berichteten). Kann das Projekt angesichts des aufbrausenden Sturms also noch gekippt werden?
Das hoffen sowohl zahlreiche Institutionen in Rottweil, die zur Demo aufrufen, als auch die Verfasser eines offenen Briefs an den Gemeinderat, für den nun digital weitere Unterschriften gesammelt werden. Unterzeichnet ist das Schreiben, das am Wochenende hundertfach geteilt wurde, von Savio Banholzer, Hannes Soballa und Carl Soballa.
Sie sprechen sich deutlich gegen den Bau eines Parkhauses im Nägelesgraben aus. "Wir bitten in diesem Zuge alle Mitglieder des Gemeinderats vor der anstehenden Abstimmung ihre Position noch einmal zu überdenken", schreiben sie.
Weiter heißt es: "Die Entscheidung für oder gegen ein Parkhaus am Nägelesgraben beinhaltet weit mehr als die Abstimmung über ein paar Parkplätze für Anwohner:innen und Tourist:innen. Die Abstimmung ist ein Sinnbild für die Ausrichtung hinsichtlich der Zukunft der kommunalen Politik. Aus diesem Grund wollen wir uns in diesem Brief nicht auf konkrete Maßnahmen oder alternative Mobilitätskonzepte fokussieren. Viele der Lösungsansätze liegen auf der Hand und genauso gibt es auch andere Städte mit vergleichbarer Struktur die erfolgreich zeigen, dass es auch andere Wege gibt Mobilität zu gestalten."
Sie richten den Blick in die Zukunft und fragen: "Was sind die Auswirkungen einer solchen Entscheidung, die schließlich langfristig einen Mehrwert für Rottweiler Bürger:innen und Tourist:innen bringen soll? Dieser Mehrwert sollte insbesondere auch für die Jahrzehnte nach der Fertigstellung gewährleistet sein. Eine langfristige und nachhaltige Planung geht schließlich über die Landesgartenschau hinaus, sie sollte ebenso eine Investition und keine Belastung für die Jahre nach 2030 sein. Ein Zeitraum, in dem eine führende Industrienation wie wir es in Deutschland sind und insbesondere ein Innovationsstandort wie Baden-Württemberg, nach allen Forderungen der Wissenschaft nicht mehr weit von der Klimaneutralität entfernt sein sollte."
Klimakatastrophen zeigen aktuell die Brisanz des Themas
Gerade aktuelle Klimakatastrophen wie die extremen Hochwasser in Deutschland, oder die Hitzewellen im Nordwesten Amerikas zeigen die Brisanz, betonen die Unterzeichner. "Genauso zeigen aktuelle Klimaszenarien für den Landkreis Rottweil, welche erst vor wenigen Wochen vom Helmholtz-Zentrum veröffentlicht wurden, dass Wetterextreme mit Hitzewellen und Starkregen auch in unserer Stadt in Zukunft zur Realität gehören können." Der Ausstoß von Treibhausgasen und der daraus resultierende globale Temperaturanstieg bringe weltweit Ökosysteme und Klimaphänomene aus der Balance. "Die Entscheidung für oder gegen ein Parkhaus für sich gesehen wird nicht die Welt retten, doch ist sie eben mehr als nur die Entscheidung über ein paar Parkplätze."
Das Argument, dass das neue Parkhaus mit Blick auf das Gesamtkonzept für die Stadt nötig sei, zeige zudem eine der Kernproblematiken von Mobilitätskonzepten auf: die Frage nach Ursache und Wirkung. "Unabhängig davon, wie viele Parkplätze im Umkreis des Nägelesgrabens aktuell leer stehen und wie viele Parkplätze im Rahmen der Umgestaltung wegfallen werden, wird man durch das Schaffen von mehr Parkplätzen tendenziell auch mehr Verkehr verursachen", sind die Unterzeichner überzeugt. Natürlich sei es auch für kommende Generationen von Interesse, Rottweil als attraktiven Standort für Einzelhandel, Industrie und Tourismus und den damit einhergehenden Wohlstand zu erhalten. "Doch ist die Förderung von Individualverkehr der Schlüssel zum Erfolg?" Der jüngeren Generationen werde immer deutlicher, wie ungerecht und teuer Individualverkehr häufig ist.
Im Brief wird deshalb gefordert, dass die Stadt den Fokus ihrer zukunftsweisenden Investitionen auf die Alternativen zum privaten Pkw lenken und ein "Gesamtkonzept zum Wohle aller Bürger:innen" anstreben sollte.
Der Ausbau einer guten Nahversorgung, von mobilem Arbeiten, Naherholung und Freizeitangeboten in Kombination mit alternativer Mobilität wie Rad-und Fußverkehr sowie Carsharing als Ergänzung des ÖPNV biete reichlich Handlungsmöglichkeiten, um einen echten Mehrwert zu schaffen.
Selbst bei einem temporären Anstieg des Parkplatzbedarfs müsse das Ziel sein, die vorhandenen Kapazitäten besser zu nutzen und damit Emissionen, Ressourcen und Geld einzusparen.
Beim Klimaschutz gehe es um das Überleben zukünftiger Generationen.
An den Gemeinderat ergeht der Appell: "Bitte stellen Sie sich alle die Frage, welchen positiven Einfluss der Bau des Parkhauses wirklich auf die Attraktivität der Stadt für Tourist:innen und insbesondere für Bürger:innen Rottweils haben wird. Nehmen Sie ihre Verantwortung ernst und entscheiden Sie im Sinne aller Generationen und Bürger:innen von Rottweil!"
Ein sichtbares Zeichen des Widerstands gegen das Projekt soll den Gemeinderäten außerdem direkt vor der Sitzung am Mittwoch, 21. Juli, vor Augen geführt werden: Die von zahlreichen Interessengruppen und -verbänden sowie den Grünen, SPD und Forum für Rottweil unterstützte Fahrraddemo unter dem Titel "Spielplatz statt Parkhaus – Öffentliche Räume fairteilen!" startet am 16 Uhr am Alten Rathaus in Rottweil und geht dann mit einer Demo um 16.30 Uhr vor der Mehrzweckhalle Göllsdorf weiter.
Ab 17 Uhr tagt der Gemeinderat. Das Parkhaus steht unter dem Gesamtthema "Multimodaler Knoten am Nägelesgraben" auf Punkt drei der Tagesordnung. Ob angesichts dieses Widerstands überhaupt eine Entscheidung gefällt wird? Es wird spannend.