Der Schauspieler Walter Sittler und die Liedermacherin Laura Braun feiern im Renitenztheater mit einer neuen Reihe die „Sternstunden des Kabaretts“. Doch nicht alles an dem Programm kommt beim Publikum gut an.
Wann fängt Kabarett an, wo hört es auf? Dies ist eine akademische Diskussion, die manche ganz simpel beenden: Im Kabarett wird das Publikum gesiezt, in der Comedy geduzt. So gesehen ist die Lage am ersten Abend der neuen vierteiligen Reihe im Renitenztheater nicht nur wegen des Namens „Sternstunden des Kabaretts“ eindeutig, denn im ausverkauften Haus hat sich ein recht gereiftes Publikum eingefunden, um mit dem Schauspieler Walter Sittler und der 40 Jahre jüngeren Liedermacherin Laura Braun eine Reise in die Historie dieser Form der Kleinkunst zu unternehmen.
Die Sternstunden „von Valentin bis Ringelnatz“ unter der Regie von Nikolaus Büchel beginnen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als sich auch auf Münchner Bühnen erste Wortakrobaten versuchten. Zum Auftakt mit dem „Wettlauf“ von Joachim Ringelnatz, dessen Stakkatoverse – „Jetzt laufen – 10 000 Mark – wochenlang saufen – wenn’s glückt – Schulden bezahlen“ – Walter Sittler atemlos vorträgt, ist gar nicht so klar: Ist das noch oder war das schon Kabarett? Denn nach der strengen Definition werden weniger gesellschaftspolitische Zustände kritisiert, sondern eher komische Alltagskonflikte thematisiert, was ein Kennzeichen neuzeitlicher Comedy wäre.
Laura Braun stellt mit eigenen Liedern aktuelle Bezüge her
Auch Klassiker von Ringelnatz wie „Die Ameisen“ oder „Bumerang“ sind zwar sehr humoristisch, aber ebenso wenig politisch wie die komische Lyrik von Christian Morgenstern, die im Renitenztheater viele Lacher einbringen. Aber trotz solch vermeintlich harmloser Heiterkeiten, die schon früh ihre Wirkung auf den Bühnen erzielten, ist der Abend eben doch eine Sternstunde des Kabaretts. Meist im Wechsel und manchmal im Duett mit Walter Sittler, der gelegentlich am rudimentären Schlagzeugset sitzt, um Passagen zu akzentuieren, stellt Laura Braun am Flügel mit eigenen Liedern aktuelle Bezüge her. Auf Karl Valentins groteske Spinnerei „Die Fremden“ – „Fragt ein Fremder in einer fremden Stadt einen Fremden um irgendetwas, was ihm fremd ist, so sagt der Fremde zum Fremden, das ist mir leider fremd, ich bin nämlich selbst fremd“ – folgt ihre gefühlvolle Ballade „Ein Fremder“ mit der bitteren Bestandsaufnahme: „Ein Fremder ist ein Feind, den du noch nicht kennst.“
Beim Homöopathiebashing verlassen Zuschauer den Saal
Weniger gelungen ist die persönliche Weiterführung von Eugen Roths „Neue Heilmethoden“. Zumindest wirkt das lustig gemeinte Lied „Kügelchen“ mit seinem Homöopathiebashing unnötig spaltend und führt dazu, dass drei Zuschauer den Saal verlassen und ein paar weitere nach der Pause nicht zurückkommen. Dabei schreibt doch der Renitenztheater-Intendant Roland Mahr im Vorwort zum Programm: „Wir vermissen ,Sternstunden der Gemeinschaft’, bei denen wir die Worte abrüsten, eine demokratische Bandbreite aushalten und andere Meinungen akzeptieren bzw. bereit sind, darüber zu diskutieren.“ Dies soll wohl für die da oben auf der Bühne genauso wie für die da unten im Publikum gelten. Mit Hans Sahl („Das Megaphon“), Erika Mann („Frau X“) und dem nicht ganz so lupenreinen Demokraten Ludwig Thoma („Der Krieg“) wird es mit neu interpretierbaren Themen wie Propaganda, Opportunismus und Kriegsbegeisterung dann doch noch ziemlich politisch.
Auf eines können sich alle einigen: die Probleme mit der Bahn, welche die Kabarettisten schon damals erkannten. So dichtete Eugen Roth 1935 über „Das Kursbuch“ nach vorgetäuschter Bewunderung: „Und ganz versteckt steht irgendwo, Zug fährt täglich außer Mo.“ 2024 singt Laura Braun dann nur noch von einem „Gleis, wo jeder weiß: Der Zug ist abgefahren“.
Die Reise im Renitenztheater zu den „Sternstunden“ aber geht weiter: nach Wien „von Karl Kraus bis Karl Farkas“ (2. Juni), nach Berlin „von Claire Waldoff bis Kurt Tucholsky“ (8. September) bis zum Finale „von Georg Kreisler bis Hanns-Dieter Hüsch“ (17. Dezember).