„Wenn man weint, atmet dies Seele auf!“ Die Anwesenden erleben einen sehr berührenden Abend mit Ulla Reyle in Sulz im Haus der Betreuung und Pflege. Foto: Weber

Gerontologin Ulla Reyle aus Tübingen hielt im Haus der Betreuung und Pflege „Am Stockenberg“ in Sulz den Vortrag „Maikäfer flieg, Dein Vater ist im Krieg…“

Was ist die Alzheimer-Initiative des Landkreises Rottweil? Sie ist eine Kooperation zwischen Pflegediensten, Tagesstätten, Krankenhäusern, Heimen, Ärzten, Vertretern der Kreisverwaltung und der Kranken-und Pflegekassen mit dem Ziel, die Situation von Demenzerkrankten und deren Angehörigen zu verbessern.

Dabei soll durch die Bündelung von Fachkompetenz den Erkrankten, deren Angehörigen und Pflegenden eine möglichst umfassende medizinische, therapeutische, pflegerische und soziale Unterstützung im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten erschlossen werden.

Reise in die Vergangenheit

Eine übersichtliche Teilnehmerzahl ließ sich in den Bann von Ulla Reyle ziehen. Es begann eine spannende Reise in die Vergangenheit, es wurden die verschiedenen Generationen und Kohorten beleuchtet und dargestellt. Ganz klar, die NS-Zeit hat viele verändert, vor allem die paramilitärischen Kriegshandlungen direkt ausgesetzt waren und direkt miterlebt haben. Es mussten viele Herausforderungen der Kriegskinder gemeistert werden, es war eine vaterlose Gesellschaft, weil die Väter im Krieg, Gefangenschaft oder im schlimmsten Fall gefallen waren.

Neben Kinderverschickungen und Evakuierung konnten die Eltern auf vielen Ebnen, ihre Kinder nicht beschützen. Viele Erfahrungen wurden dem Nachwuchs nicht erspart, vor allen nicht Hunger, Kälte, Einsamkeit und allgemein bedrohliche Erfahrungen.

Sich nie Ängsten gestellt

Wie ging man also mit dem Krieg um, wie stemmte man diese riesige, nie endende Aufgabe? Alle Energien wurden verwendet, um nach vorne zu schauen. Mit dem Ergebnis, dass diese Generationen sich nie Gefühlen und Ängsten stellen konnten oder gar durften. Dies erzeugte Phänomene wie das ständige Lüften von Räumen oder das leichte Erschrecken der Menschen.

Auch verursachte dies eine sehr hohe, ständige Anspannung in der Muskulatur. In der Zeit des Angriffes musste man ständig auf der Hut sein. Dies ging in Fleisch und Blut über. Ein Leben lang. Von diesen Erfahrungen kommt man schnell zur Hospizarbeit, wo man klar feststellt, dass man am Lebensende versöhnt sein sollte, mit allem und jeden.

Alte Traumata

Darum ist es wichtig, ein Angebot zu machen, trauern zu dürfen, alte Traumata zu besprechen und aussprechen zu dürfen. Um diesen Panzer zu durchbrechen, empfiehlt man mindestens 60 Minuten Gespräch.

Man kennt dies von der älteren Generation, wiederholende Geschichten. Es wird berichtet, obwohl Kinder, Enkel oder gar Urenkel die Geschichte bereits sehr oft hören durften. Ulla Reyle erklärte, dies sei wie ein Helikopter, der einen Landeplatz suche, die Rotorblätter drehten sich ständig, als Symbolbild für die wiederholenden Geschichten. Es werde ein Landeplatz gesucht für das schwer beladene Fluggerät. Doch er landet einfach nicht.

Der Helikopter darf landen

Der Umkehrschluss ist das Versöhnte, was endlich versöhnt werden wolle. Des Rätsel Lösung sei das Gefühl, was in diesem Helikopter stecke, es möchte erzählt oder erhört werden. Ist es ausgesprochen, bekomme es eine andere Bedeutung, und der Landeplatz könne endlich angesteuert werden. Dies werde oft als Erleichterung empfunden.

Es ist wichtig, dass vor allem Kriegskinder die eigene Bedürftigkeit erkennen und zulassen dürfen. Die Frage muss man zulassen, nach den eigenen Gefühlen und Ressourcen zu fragen.

„Wenn man weint, atmet dies Seele auf“

„Wenn man weint, atmet dies Seele auf!“ Mit diesen rührenden Worten wurde das Mikrofon zwei Zuhörerinnen überreicht, die ihrer Vergangenheit einen Raum gaben, spannend auch zu hören, was direkt erlebt und gefühlt wurde.

So still war es im Veranstaltungsraum nur selten, alle Zuhörer wurden direkt gefesselt und mit in die Vergangenheit genommen. Das Leid war spürbar, und man bekam einen Kloß im Hals, es fühlte sich sehr schwer an. Im Anschluss nahm sich Ulla Reyle Zeit, um Fragen ausführliche Antworten zu geben. Ein gelungener und sehr erfüllender Abend, bei einem sehr aufwühlenden Thema.