Derya Türk-Nachbaur hilft ihrem Sohn Gabriel bei den Hausaufgaben. Manchmal hilft der Junge aber auch bereits seiner Mama auf die Sprünge – beispielsweise, wenn er in Anlehnung an den Mindestlohn die Einführung des Mindesttaschengeldes fordert. Foto: Spitz

Bei Familie Türk-Nachbaur springt politischer Funke über. "Wir schaffen es sogar, das Wetter zu politisieren."

Bad Dürrheim - Taschengeldverhandlungen in einer sozialdemokratischen Familie können schon mal damit enden, dass der Siebenjährige die Einführung des Mindesttaschengeldes fordert. Am anderen Ende des Verhandlungstisches: Mama Derya Türk-Nachbaur, eine Politikerin aus Leidenschaft.

"Wir schaffen es sogar, das Wetter zu politisieren", sagt die 46-Jährige und lacht. Sie ist nicht nur Ehefrau und Mutter von vier Kindern, sondern auch Politikerin. Und das merkt man: Beim Abendbrot im beschaulichen Bad Dürrheim (Schwarzwald-Baar-Kreis), wo die Familie wohnt, herrscht quirliges Durcheinander – die Nachrichten des Tages werden mal wieder zerpflückt. Tochter Ilayda (18) ärgert sich wie so oft über die große Koalition. "Vielleicht geh’ ich ja doch zur Linken", sagt sie mit einem provokanten Seitenblick auf Mama Derya und grinst. Doch dann besinnt sie sich: "Ach nee, die sind ja auch gegen Europa, das geht also auch nicht."

Mutter Derya Türk-Nachbaur hat ihre Erfahrungen mit links schon gemacht. Als Jugendliche, erzählt sie, sei sie einmal "eine ganz kurze Zeit" für die Antifa aktiv gewesen – aber ich bin nie eingetreten, weil ich mit vielem nicht einverstanden war. Bei den Sozialdemokraten war das anders – nicht nur, weil Derya Türk-Nachbaur 1973 in Paderborn in eine ur-sozialdemokratische Familie mit türkischen Wurzeln hineingeboren wurde – die Familie war in der CHP, der türkischen Schwesterpartei der Sozialdemokraten.

Sie selbst habe in Westfalen zwar schon mit vier Jahren Nelken auf Demos am 1. Mai ausgegeben und gemeinsam mit ihrem Vater früh Fähnchen und Prospekte verteilt, aber Mitglied der SPD wurde sie erst 2013. In Bad Dürrheim, einem kleinen Ortsverein, "wo es an Mitgliedern mangelte und Ideen willkommen waren", erzählt sie lächelnd. Mittlerweile ist sie Vorsitzende dieses Ortsvereins, Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten im Gemeinderat, stellvertretende Kreisvorsitzende der SPD im Schwarzwald-Baar-Kreis und sogar Mitglied des Landesvorstandes der Partei. Und ihre SPD ist nun doch Teil der großen Koalition, die sie mit ihrem Parteieintritt 2013 eigentlich zu verhindern helfen wollte. Ihr Mann war konsequent und trat aus, sie selbst blieb trotzdem dabei: "Diese Couchmotzerei ist nicht meins." In ihrem roten Herzen ist Derya Türk-Nachbaur nämlich vor allem eines: Politikerin durch und durch. Und das steckt offenbar auch den Nachwuchs an.

Von Politikverdrossenheit kann selbst bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Hause Türk-Nachbaur keine Rede sein. Im Gegenteil: Bereits der erst siebenjährige Gabriel diskutiert schon eifrig mit. Er kennt die Minister mit Bild und Namen und meint mitunter naseweis: "Vielleicht sollten wir doch mal aus der großen Koalition raus..."

Woher das kommt? "Wir leben ganz viel vor", meint die Familienfrau nachdenklich. Während der Flüchtlingswelle lud sie immer wieder Asylbewerber mit ihren Familien nach Hause ein, feierte sogar drei Weihnachtsfeste mit christlichen Flüchtlingsfamilien. "Meine Kinder haben gelernt, vor Flüchtlingen muss man keine Angst haben." Stattdessen halfen ihre Kinder den ausländischen Kindern, Anschluss in Vereinen zu finden, oder ganz simpel bei der Erledigung der Hausaufgaben.

Dann und wann stehen auch Demo-Teilnahmen an - samt Kindern

Zudem sind die Kinder im Hause Türk-Nachbaur recht umweltbewusst, lobt ihre Mutter. Strom verschwenden oder das Wasser unnötig laufen lassen? So was kommt hier eigentlich nicht vor. Klar, dass bei den "Ursozis", wie Derya Türk-Nachbaur ihre Familie gerne umschreibt, dann und wann auch eine Demo auf dem Plan steht – inklusive Nachwuchs, versteht sich. "Ja, meine Kinder waren schon ganz oft mit auf Demos – Friedens- und Klimademos beispielsweise, überall, wo ich weiß, es geht bunt und lustig zu", sagt sie. Das "Küssen gegen rechts" blieb indes auch bei den Türk-Nachbaurs eine reine Erwachsenensache.

Angst, dass ihre Kinder politisch einmal in extreme Richtungen abdriften, hat die Bad Dürrheimerin übrigens nicht. "Ich könnte meinen Hintern dafür ins Feuer tun, dass sie es nicht tun", sagt sie und freut sich, dass Tochter Ilayda mittlerweile stellvertretende Juso-Vorsitzende im Schwarzwald-Baar-Kreis ist. Denn, dass Frauen und Politik super zusammenpassen, auch in einer türkischen Familie, versteht sich für sie von selbst. "Wir sind Aleviten, progressive Demokratie-Hüter, da war es klar, dass die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau herrscht."

Worüber hierzulande heute kaum mehr jemand nachdenkt, wurde früher eifrig diskutiert. Als Schüler bekamen Derya Türk-Nachbaur und ihre drei Geschwister das im Pelizaeus-Gymnasium in Paderborn auch mit Blick auf ihre türkischen Wurzeln durchaus zu spüren. "Wir waren zeitweise die einzigen vier Türken in dieser Schule", die von über 1000 Schülern besucht wurde. Ihr Vater habe sich oft kräftig auf die Hinterbeine stellen müssen, um für seine Kinder eine gute Basis zu schaffen und ihre Studiengänge zu ermöglichen. "Er hat immer gesagt, er hat so viel erhalten von dieser Demokratie – wenn er geht, möchte er auch etwas zurückgegeben haben", erinnert sich Derya Türk-Nachbaur, während das Erbe ihres Vaters um sie herum putzmunter am Familientisch debattiert.

Und mittendrin der siebenjährige Gabriel, der zwar nicht das Mindesttaschengeld für seine Generation, aber immerhin den wöchentlichen Euro für sich selbst durchgesetzt hat. Für Muffins und Donuts gibt er dieses gerne aus und teilt dann mitunter auch mit seinen Kameraden, die sich die Leckereien vielleicht nicht leisten können...

Am Sonntag, 26. Mai, finden die Kommunalwahlen statt. In unserer Serie behandeln wir in loser Reihenfolge diverse Themen rund um die Politik vor Ort. Dies geschieht beispielhaft an Personen und Organisationen aus dem gesamten Südwesten.