,Hamlets Onkel heiratet seine Mutter und sein bester Freund Horatio agiert als Marionettenspieler, um den Mörder von Hamlets Vater zu überführen.  Foto: Eyrich

Wenn Freiluft-Theater trotz monsunartigen Regens nicht ins Wasser fällt, dann spricht das vor allem für drei Dinge: das Können, das Durchhaltevermögen und die Leidenschaft der Schauspieler. Spielen oder nicht spielen – das war keine Frage.

Burg Hohenzollern - Eine "Castle-Tour" mit William Shakespeares bekanntestem Stück – was für eine großartige Idee des TNT Theatre Britain und der American Drama Group Europe. Nur zweimal macht "Hamlet", der Prinz von Dänemark, Station in seinem Heimatland, ganze 27 Mal in Deutschland, und zwischen dem Heidelberger Schloss und Hohenschwangau, der Residenz Würzburg und dem Wasserschloss Mespelbrunn durfte eine Burg natürlich nicht fehlen: die am zweithäufigsten besuchte Sehenswürdigkeit Deutschlands, die Burg Hohenzollern.

Dass die hundsmiserable Wetterprognose die Akteure angesichts dieser Kulisse nicht verleiten konnte, in die Stadthalle Hechingen umzuziehen: Wer will’s ihnen verdenken? Ihr eigener Applaus galt daher vor Beginn den Mutigen, die nach so langer kultureller Fastenzeit wacker – und wie Schopenhauer sagte: ruchlos optimistisch – den Weg in den Burghof angetreten hatten, wo Gartenstühle, Regen-Ponchos und gut gelaunte Schauspieler auf sie warteten.

Die verströmten Spielfreude aus jeder Pore – allen voran Dan Wilder, der 2008 bei TNT Theatre Britain als Hamlet debütiert hatte und es inzwischen zum König gebracht hat: dem aktuellen, Claudius, und dem von Claudius ermordeten, der seinem Sohn Hamlet als Geist erscheint und Rache fordert. Prinz Hamlets Unrast, seine Verstörung über die Vermählung seiner Mutter Gertrude mit dem hinterhältigen Onkel lässt Alistair Hoyle in jeder ungestümen Geste und jedem Flackern seiner irren Blicke leben.

Die Statur des Mimen entspricht seinem Spiel: Drahtig und hager agiert er puristisch und gibt ungebremst den Blick frei auf Prinz Hamlets verletzte Seele. Ein Übriges tut die spärliche Kulisse, vor der Julianne Kasprziks dezent elegante Kostüme schöne optische Akzente setzen – und dem Regen erstaunlich gut standhalten: Ophelias zartes rosa Kleid ebenso wie die samtenen Gewänder des Königspaares.

Auch die Rollen der Unterstützer sind perfekt besetzt

Perfekt besetzt sind auch die vermeintlichen Nebenrollen – in diesem Fall ist der englische Begriff "supporting role" (unterstützende Rolle) besser angebracht: Horatio gibt Roger Parkins kraftvoll als treuen, verlässlichen und einsatzfreudigen Freund Hamlets. Großartig: Sein Auftritt als Marionettenspieler im Stück "Die Ermordung des Gonzago", dessen Aufführung mit versteckter Botschaft das wahre Gesicht des Claudius ans Licht bringen soll.

Polonius, dem Berater des Königs, verleiht Glyn Connop mit gesetzter Gestik und Mimik die Würde und Weisheit der ehrlichen Haut. Andrew Cusack agiert als dessen Sohn Laertes ungestüm und temperamentvoll, spiegelt alle Facetten jener Verschlagenheit wider, mit der Laertes sich von Claudius benutzen lässt, um Hamlet zu beseitigen, und bringt dennoch auch seine Aufrichtigkeit bei der Versöhnung der beiden am Schluss glaubwürdig rüber.

"Schwachheit, dein Name ist Weib!" Airlie Scott ist die Rolle der kühlen, berechnenden und unmoralisch handelnden Gertrude wie auf den Leib geschrieben. Ihre eisblauen Augen zeugen von Herzlosigkeit. Kalt, unmoralisch und nur vermeintlich würdevoll – Scott beherrscht alle Aspekte des königlichen Charakters mit schlafwandlerischer Sicherheit und Präzision.

Und dann wäre da noch sie: Ophelia, die ihrem Vater Polonius und ihrem Bruder Laertes mehr gehorcht als ihrem Herzen und Prinz Hamlet abblitzen lässt. Ihre Unsicherheit und Gefügigkeit zelebriert Birte Widmann als einzige Deutsche im Ensemble, das Paul Stebbings mit sicherer Hand durch eine hervorragend choreographierte Inszenierung führt. Für die sich Produzent Grantly Marshall bestimmt besseres Wetter gewünscht hatte: Kaum hatten alle Zuschauer sich erwartungsfroh in ihre Gartenstühle versenkt, kündigte der Himmel mit grollendem Donner ein Gewitter an, das dem geplanten Angriff des norwegischen Prinzen Fortinbras auf Polen im Stück in nichts nachstand.

Für eine Viertelstunde öffnete der Himmel seine Schleusen so weit, dass selbst die tapferen Darsteller keinen Weg mehr vorbei an einer Pause erkennen konnten. Dass – und mit welcher Standfestigkeit – sie danach weiterspielten, während ein Teil der Zuschauer sich unter das Dach des Hauptaufgangs geflüchtet hatte und stehend, aber trocken den Rest verfolgte, zeichnet die Akteure als echte Überzeugungstäter aus. Wer pudelnass spielen kann, als seien die Bedingungen optimal, beherrscht seine Kunst wahrhaft.

Ophelias Ertrinkungstod wirkt bei anhaltender Nässe von oben himmlisch natürlich und konsequent. Und die Präzision, mit der sich Hamlet und Laertes im fünften Akt ihr Fechtduell liefern, verrät in keiner Sekunde den schlüpfrig nassen Zustand des Bühnenbodens. Der Rest ist Applaus. Und der ist in jeder Hinsicht verdient.