Geschäftsführerin Nadja Keucher (rechts) zeigt den Gästen, was in der Neckarwerkstatt produziert wird. Foto: Steinmetz

Tagung: Teilnehmer diskutieren in der Neckarwerkstatt über Gemeinwohlökonomie

Sulz. Ist Gemeinwohlökonomie die Alternative zum schrankenlosen Kapitalismus? Mit dieser Frage setzten sich die rund 20 Teilnehmer einer Tagung am Samstag in Sulz auseinander. Die SPD-Kreisverbände Rottweil, Schwarzwald-Baar und Tuttlingen hatten zusammen mit der Neckarwerkstatt dazu eingeladen.

Gemeinwohl hat mit Werten zu tun. Es geht um Menschenwürde, soziale Gerechtigkeit, Transparenz, Mitbestimmung und ökologische Nachhaltigkeit. "Es macht Sinn, sich Gedanken zu machen, wie die Gesellschaft weiterentwickelt werden kann", sagte der Rottweiler SPD-Kreisvorsitzende Mirko Witkowski.

Allmende als Beispiel

Ob die Gemeinwohlökonomie das richtige Modell dafür ist, wurde während der Tagung kontrovers diskutiert. Zwei Vorträge pro und contra von Josef Mikus von der "Denkwende" in Konstanz sowie von Diplom-Kaufmann Klaus Eisenhardt, früherer SPD-Vorsitzender im Kreis Rottweil, bildeten die Diskussionsgrundlage.

Warum soll etwas verändert werden? Mikus blickte zurück auf den Mauerfall. Vor 1990, sagte er, seien die "bösen Roten" die Alternative gewesen, danach habe es nur noch den Neoliberalismus mit Privatisierungen und Sozialabbau gegeben. Vollbeschäftigung sei nicht gewünscht gewesen, denn sonst hätte die Arbeitnehmerschaft zu viel Macht erhalten und durch Lohnerhöhungen die Inflation vorangetrieben. Die Auffassung, dass die Konkurrenz zum Wohl aller führt und der Wohlstand wächst, wenn die Unternehmen investieren, hat sich für Mikus nicht bewahrheitet. Wenn die klassische Volkswirtschaft behaupte, der Markt funktioniere über den Preis, dann werde nicht der Ressourcenverbrauch und die Umweltzerstörung in die Rechnung mit einbezogen.

Der Referent zeigte Beispiele auf, wie in der Vergangenheit Gemeinwohlökonomie praktiziert wurde. Er nannte die Allmendefischerei am Bodensee. Die Fischer hätten dem See nur so viele Fische entnommen, wie nachwachsen konnten. In den Dörfern kannte man die Allmende – den Gemeinnutz. Bürger hatten ein Nutzungsrecht für den Gemeindewald oder die gemeindeeigenen Weiden. "Die Allmende funktionierte ganz gut", stellte Mikus fest.

Er betonte, dass es nicht darum gehe, die Marktwirtschaft abzuschaffen. Gemeinwohlökonomie sei auch nicht gegen die Verfassung gerichtet, im Gegenteil. Dort stehe, dass Eigentum dem Gemeinwohl zu dienen habe. Unternehmen, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen, achten auf Nachhaltigkeit, Mitwirkung der Beschäftigten, Mitbestimmung und Menschenrechte. Hierbei sei das Lieferkettengesetz ein kleiner, aber wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Ideen für konkrete Projekte

Klaus Eisenhardt, der den Gegenpart übernommen hatte, schaute sich die Kriterien der Gemeinwohlökonomie näher an. Er zog dabei eine Parallele zur Biolandwirtschaft, die keine andere Wahl habe, als sich an die vorgegebenen Richtlinien zu halten.

Eisenhardt glaubt, dass auch die Gemeinwohlökonomie schnell an ihre Grenzen stößt und als geschlossenes System, wie die Biolandwirtschaft, nur eine Nische ausfüllt. Ein Mehrwert könnte geschaffen werden, wenn einzelne Teile der Gemeinwohlökonomie in die Politik eingebracht und in bestehenden Controlling-Instrumenten integriert würden.

Die Teilnehmer hatten mit den Vorträgen genug Stoff für die anschließende Gruppenarbeit. Heiß diskutiert war die Frage, ob es gelingt, Wachstum zu beschränken, ohne den Fortschritt abzuwürgen. Reicht es möglicherweise aus, die soziale Marktwirtschaft nur zu reformieren? Ansatzpunkte wurden gesehen, die Gemeinwohlökonomie auf kommunaler Ebene, im Landratsamt und in den Kommunalverwaltungen, anzusiedeln und die Betriebsabläufe nach den Matrix-Kriterien auszurichten.

Ein Projekt könnte sein, dass Schulküchen nur regionale Lebensmitteln verwenden. Wer nachhaltig produziere und dadurch Wettbewerbsnachteile habe, solle steuerlich begünstigt werden. Wachstum auf Kosten der Natur dürfe nicht sein.

Neues Treffen geplant

Auf keinen Fall soll die Gemeinwohlökonomie lediglich eine Nische besetzen. Sie solle vielmehr auf breitem Weg in die Gesellschaft hineinwirken, fasste Klaus Schätzle das Ergebnis zusammen. Am Ende der Tagung stand der Wunsch, sich in einem halben Jahr wieder zu treffen und einen Betrieb einzuladen, der bereits gemeinwohl-zertifiziert ist.

Moderiert hatte die SPD-Veranstaltung der frühere Oberbürgermeister von Schramberg und Ministerialdirektor a. D. im Innenministerium Stuttgart, Herbert O. Zinell. Geschäftsführerin Nadja Keucher informierte die Tagungsteilnehmer über die Neckarwerkstatt mit ihren derzeit mehr als 40 Beschäftigten und zeigte ihnen die Produktionsräume, in denen Menschen mit Handicaps arbeiten.