Petra Wagner studiert aus persönlicher Faszination Textil- und Bekleidungsmanagement an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen Foto: Stadt Mannheim/Robin Eichelsheimer

Betritt man die Hörsäle von Universitäten und Hochschulen, dürfte sich manch einer wundern: Würden viele hier doch ausschließlich junge Menschen in ihren Zwanzigern vermuten, sitzen dort auch einige Studierende im "höheren Alter", etwa ab 60 Jahren. Doch was bewegt Menschen gesetzten Alters dazu, noch ein Studium aufzunehmen? Wir haben nachgefragt.

Oberndorf - Studierende im höheren Alter sind vielleicht nicht der Regelfall in Hörsälen, aber auch keine Seltenheit. An der Universität Tübingen sind im Wintersemester 2021/22 beispielsweise 25.989 Studierende eingeschrieben, 75 davon sind laut Angaben der Universität 60 Jahre oder älter.

Einer dieser Studierenden ist Kurt Gohmert. Der 71-Jährige studiert mit Begeisterung Klassische Archäologie und Kunstgeschichte. Mit dieser Kombination befindet er sich in guter Gesellschaft. Denn Kunstgeschichte zählt neben Fächern wie Ur- und Frühgeschichte, Archäologie des Mittelalters, Philosophie und Rechtswissenschaft zu den beliebtesten Studiengängen unter Studierenden ab 60 Jahren in Tübingen.

Neuorientierung im Ruhestand

Dabei blickt Kurt Gohmert auf eine lange berufliche Karriere zurück. Nach seinem ersten Studium in jungen Jahren (damals Mineralogie an der Uni Köln), war er in der Computerindustrie als Entwickler und Vertriebler tätig. Später betreute er Großkunden in der Automobilindustrie. Als er in den frühzeitigen Ruhestand ging und sich erstmal auf den Jakobsweg machte, kam ihm seine lebenslange Faszination für Kunst wieder ins Bewusstsein. "Das Thema hat mich immer im Leben begleitet. Und auf dem Jakobsweg mit all den Kirchen und Klöstern dachte ich mir dann: Das musst du mal vertiefen", erzählt der Holzgerlinger. Nach einigen Vorlesungen als Gasthörer an der Uni Tübingen entschied er sich schließlich dazu, sich einzuschreiben und sogar einen Bachelor-Abschluss anzustreben.

Alter als Vorteil im Studium

Sein Alter nimmt Gohmert als Vorteil wahr. So kann er seinen Stundenplan mit solchen Veranstaltungen füllen, die ihn ganz besonders interessieren. "Das Tolle ist, dass ich es mir erlauben kann, über den Tellerrand hinauszuschauen. Studierende, die vom BAfög abhängig sind, können sich gar nicht leisten, noch Nebenschauplätze im Studium aufzumachen", erklärt der 71-Jährige. Sein Antrieb für das Studium sei der Wunsch, zu verstehen, wie Geschichte und Gegenwart miteinander verknüpft sind.

Im Alltag schätze er besonders den Austausch mit den jüngeren Studierenden: "Die fragen mich dann auch mal nach der Vergangenheit, zum Beispiel: 'Wie war das denn damals?' Das finde ich sehr spannend", sagt Gohmert. Neben seinem Studium hat Kurt Gohmert mittlerweile auch vier Enkelkinder. "Das ist zusammen ein richtiger Full-Time-Job. Wie man im Ruhestand Langeweile haben kann, ist für mich ein echtes Rätsel", scherzt er.

Es geht nicht um berufliche Veränderung, sondern um Faszination

Ältere Studierende finden sich aber auch an Hochschulen für angewandte Wissenschaften. "Da gab es diese eine Sache, die wollte ich immer mal machen", sagt Petra Wagner und lacht. Die 56-Jährige macht derzeit ihren Master im Studiengang Textil- und Bekleidungsmanagement an der Hochschule Albstadt-Sigmaringen. Beruflich ist die promovierte Soziologin seit über 20 Jahren in der Stadtentwicklung in Mannheim tätig. Als 2020 die Corona-Pandemie von heute auf morgen den digitalen Remote-Betrieb bei Unternehmen und Hochschulen nötig machte, erkannte Wagner eine Chance, sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen.

Die passionierte Hobby-Schneiderin wollte ihre "verrückte Leidenschaft" für Mode mit ihren wissenschaftlichen Ambitionen verbinden und Textil- und Bekleidungsmanagement studieren, wie sie erzählt. "Es ging mir nicht um berufliche Veränderung, sondern um persönliche Faszination." Da kam ihr die pandemiebedingte Online-Lehre sehr gelegen. 

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Vollzeit-Job und Studium parallel

Also verband sie ihren Vollzeit-Job im Home-Office mit virtuellen Vorlesungen und Seminaren. "Ich bin dann zwischen geschäftlichen Meetings und Vorlesungen gewechselt. Meist habe ich abends noch vieles für die Arbeit erledigt und am Wochenende war das Studium dran", erzählt die 56-Jährige. Den Kontakt mit jüngeren Studierenden hat Wagner dabei immer sehr positiv und produktiv erlebt. "Am Einführungstag in Präsenz als Erstsemester in Albstadt wurde ich von meinen Kommilitonen zuerst gar nicht als Studierende erkannt. Das hat sich aber schnell gelegt. Außerdem verbindet die gemeinsame Leidenschaft für Mode ungemein auch altersübergreifend", erinnert sie sich. Insgesamt gehe es an der Hochschule sehr familiär zu, sodass sie auch nie Gerangel um Studienplätze und Ressourcen erlebt habe.

"Ich kann ein Studium nur empfehlen"

Aus ihrem Studium nimmt Wagner viel Know-How mit. "Ich kann jetzt digital Schnitte konstruieren und bin sehr froh, dass ich mir diese Welt erschlossen habe. Ich kann ein Studium jedem nur empfehlen," meint sie. Im Herbst steht ihre Masterarbeit an. Parallel nimmt sie noch an einem internationalen Wettbewerb für digitale Kleiderkonstruktion teil und ist zu diesem Thema auch auf Instagram aktiv. Für die Zukunft schließe sie nicht aus, noch eine digitale Kollektion herauszubringen. "Es gibt keine Krisen, es gibt nur Chancen", resümiert sie mit Blick auf die Pandemie und ihr Studium.