Daniel May, Mitarbeiter der Schweizerischen Eidgenossenschaft, hisst die Flagge der Ukraine vor der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz URC. Foto: Pascal Lauener/KEYSTONE/dpa

Ein EU-Gipfel hat der Ukraine und der Republik Moldau vor Kurzem den EU-Beitrittskandidaten-Status verliehen. Doch ist die sich im Krieg befindende Ukraine überhaupt fit für einen EU-Beitritt?

Kreis Freudenstadt - Schnellstmöglich will der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das kriegsgebeultete Land der EU beitreten – auch wenn noch einige Hürden zu bewältigen sind. Wie sehen das Ganze Politik-Größen aus dem Landkreis Freudenstadt?

Theurer: "Symbolik ist nicht zu unterschätzen"

Michael Theurer, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr und ehemaliger Horber OB, spricht mit Hinblick auf den vor Kurzem erfolgten einstimmigen Beitrittsbeschluss der EU von "einer richtungsweisenden Entscheidung für die Zukunft Europas". Mehr noch: "Ich habe mich sehr gefreut, dass die Ukraine EU-Beitrittskandidat wird."

Ob der Titel Beitrittskandidat nur einen symbolischen Akt aus Solidarität mit dem von Putin überfallenen Land darstelle? Theurer: "Die Wichtigkeit dieser Symbolik ist nicht zu unterschätzen. Mit dem Kandidatenstatus gehen jedoch auch ganz praktische Hilfen für das Erreichen der Kopenhagener Kriterien für den EU-Beitritt einher."

Zur Info: Die Kopenhager Kriterien muss die Ukraine erfüllen, um Vollmitglied der EU zu werden. Insbesondere bei Themen wie Pressefreiheit, Korruption und Rechtsstaatlichkeit hat die Ukraine noch Nachholbedarf. Kathrin Schindele, CDU-Landtagsabgeordnete und Direktkandidatin aus dem Kreis Freudenstadt, sieht noch einen weiten Weg für die Ukraine: "Zum momentanen Zeitpunkt ist das Aufnahmeverfahren als moralische Unterstützung des Landes zu sehen." Reformen seien dringend nötig: "Es ist zu hoffen, dass die Ukraine dies in den Kriegswirren umsetzen kann", so Schindele auf Nachfrage unserer Redaktion.

Schindele: "Ukraine gehört zu Europa"

Grundsätzlich begrüßt die CDU-Politikerin die Entscheidung des Europäischen Rates: "Die Ukraine gehört geografisch, kulturell und religiös betrachtet zum europäischen Raum." Gleicher Tenor bei Saskia Esken, Parteivorsitzende der SPD. Sie spricht von einem "richtigen und mutigen Signal der EU-Spitze". Vielmehr noch müsse es im Interesse von Deutschland und der EU sein, die Ukraine und Moldau an die EU zu binden, um weitere Destabilisierungen in der östlichen Nachbarschaft zu vermeiden, erklärt die Bundestags-Abgeordnete für den Wahlkreis Calw-Freudenstadt.

Wie lange das Aufnahmeverfahren wohl dauert? Am Beispiel Türkei – seit 1993 Beitrittskandidat – wird den Ukrainern die Langwierigkeit eines solchen Verfahrens aufgezeigt. FDP-Politiker Theurer erwartet keine Wunder: "Ich gehe davon aus, dass das einige Jahre dauern wird." Esken ergänzt: "So ein Beitrittsprozess nimmt erhebliche Zeit in Anspruch."

Kern: "Zusammengehörigkeitsgefühl erstarkt"

Die Befürchtung: Wenn der Krieg in der Ukraine doch ein zeitnahes Ende finden sollte, könnte das Beitrittsverfahren in Nebenschau-Plätze untergehen oder vernachlässigt werden. Die Politiker aus dem Kreis Freudenstadt teilen diese Ansicht nicht. Timm Kern, FDP-Landtagsabgeordneter aus Horb: "Die Aufnahme der Ukraine in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten ist Ausdruck des erstarkten Zusammengehörigkeitsgefühls in der europäischen Staatenfamilie." Die Sorge einer Vernachlässigung der Beitritts-Option sei unbegründet.

Esken erläutert: "Ich erkenne auf Seiten der Ukraine eine große Bereitschaft der EU beizutreten. Das ist die beste Voraussetzung." Mit einer großen Enttäuschung im Gepäck und ohne Beitrittskandidaten-Status reisten sechs Balkanstaaten rund um Albanien vom EU-Gipfel ab. Die richtige Entscheidung?

Für Kern definitiv nicht: "Dass das Gipfeltreffen ungeachtet aller Bemühungen von Bundeskanzler Olaf Scholz für einige der Balkan-Staaten ohne konkretes Ergebnis zu Ende ging, ist enttäuschend. Die FDP hat sich schon während der letzten Bundestagswahl für klare Beitrittsperspektiven für möglichst alle Balkanstaaten stark gemacht."

Hellstern: "Skeptisch beim gegenwärtigen Zustand der EU"

AfD-Abgeordneter Uwe Hellstern aus Horb hat eine andere Sicht auf das Politik-Geschehen. Er sieht keinen sicherheitspolitischen Aspekt in der EU, wenn diese noch ein gemeinsamer wirtschaftlicher Raum souveräner Staaten wäre, wie es die Gründerväter De Gaulle, Adenauer und De Gasperi im Sinn hatten.

Er kritisiert: "Die ohne Volksabstimmung geänderte Zielrichtung in Richtung Bundesstaat, hat die neuen Frontlinien in Europa erst gebracht." Skepsis äußert Hellstern zudem an der Stabilität der EU. Schließlich hätte in Frankreich gerade EU-kritische Parteien die Parlamentswahl gewonnen. "Die Aufnahme eines neuen Mitglieds benötigt die Zustimmung aller Altmitglieder und da bin ich beim gegenwärtigen Zustand der EU skeptisch."

Das Wichtigste: ein nahendes Kriegsende

Zum möglichen Beitritt von Balkan-Staaten meint der AfD-Politiker: "Man muss sehr genau aufpassen, wessen Einfluss man sich mit neuen Mitgliedern noch hereinholt. In anderen EU-Ländern, außerhalb unseres etwas weltfremden Landes, ist man sich dessen Gott sei Dank bewusster."

Das Wichtigste aber – so der einstimmige Tenor aller Befragten: Der Krieg in der Ukraine muss schnellstmöglich enden. Erst dann könnten die Beitrittsverhandlungen seriös und weniger emotional getrieben, fortgeführt werden. Auf die Ukraine wartet ein steiniger Weg.