Susanne Fritz eröffnete mit der Lesung aus ihrem Buch "So kommt der Krieg ins Kind" die Saison im Kunstort Eleven. Foto: Lück Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: Mit der Lesung von Susanne Fritz startet die Saison im Kunstort Eleven in der alten Schule

Alle Künstler sind schon da! Mit der Lesung von Susanne Fritz gibt es einen eindrücklichen Start in die Saison des Kunstorts Eleven in der alten Schule.

Star zach-Börstingen. Donnerstagabend, 18 Uhr. Seit zwei Tagen ist die Kunstsaison eröffnet. Im Atelier im Erdgeschoss sind Luca Migliolrino aus Mestre/Venedig und Kyle Scheurmann aus Vancouver dabei zu malen. Eleven-Macherin Monika Golla: "Kyle und Luca beschäftigen sich mit Landschaften. Luca hat eine Last-Minute-Bewerbung geschickt – und ich habe beide zusammengetan, weil es passt."

Auf dem Flur und draußen der Raucherterrasse seltsame Gestalten – Fakers Club, die spektakulären Performance-Tänzer – sind auch schon da. Die Truppe hatte vor zwei Jahren die alte Schule faszinierend betanzt.

Dann kommt Susanne Fritz. Die Freiburger Autorin, die mit der Lesung aus ihrem Buch "So kommt der Krieg ins Kind" das Rote Sofa eröffnen wird.

Um 20 Uhr geht es los. Jeder Zuhörer muss sich vorher in eine Passagierliste eintragen – mit Fingerabdruck. Fritz: "Ich habe gesehen, wie ungern das jeder gemacht hat. Doch ein Fingerabdruck verrät nicht viel."

Intro zu ihrer Lesung. Denn: Nach dem Tod ihrer Mutter vor gut 18 Jahren hat Fritz alte Unterlagen gefunden. Darunter eine Karteikarte mit dem Fingerabdruck ihrer Mutter. Die wurde mit 14 Jahren vom GRU (dem russischen Geheimdienst) in ihrer polnischen Heimat in ein Internierungslager gesteckt. Weil die Nazis vorher dort ihre Vernichtungslager hatten, war die Infrastruktur für die russischen Eroberer und den polnischen Staat schon vorhanden.

Fritz fängt an zu recherchieren. Bekommt heraus, dass ihr Großvater bei der Eroberung durch die Deutschen sich erst zehn Tage lang im Keller versteckt hatte. Doch weil er deutsche Wurzeln hatte, wurde er zunächst als Bürgermeister eingesetzt und dann Schutzpolizist.

Nach der Eroberung von Polen durch die Russen muss dann seine Tochter – Susannes Mutter – im Internierungslager jahrelang büßen.

Mutter litt unter der Gefangenschaft im Internierungslager

Fritz: "Ich habe mich auf die Spurensuche gemacht. Was mein Großvater während der Nazi-Zeit gemacht hat. Fakt ist: Er war nicht nur Schutzpolizist, sondern seine Bäckerei florierte. Weil er den Reichsarbeitsdienst beliefert hatte. Mich hat natürlich interessiert, mit welchen schrecklichen Verbrechen er in Berührung gekommen ist. Fakt ist: Flüchtlinge aus den Internierungslagern und KZs der Nazis wurden von den Sicherheitskräften der Nazis, zu denen auch die Schutzpolizisten gehörten, eingefangen. Ein Arbeitslager war auch in der Nähe vom Heimatort meines Großvaters. Die gefassten Flüchtlinge mussten sich gegenseitig hängen."

War ihr Großvater dabei? Fritz hat ein Foto entdeckt, auf dem gezeigt wird, wie Schutzpolizisten das jüdische Ghetto in der Heimatstadt ihres Großvaters leer machen. Fritz: "Beim Vergleich mit der Uniform von meinem Großvater waren die Uniformen der Schutzpolizisten die selben. Doch das Gesicht meines Großvaters habe ich auf dem Foto nicht entdeckt."

Der Großvater stirbt dann noch in der Kriegszeit. Die Mutter – sie litt bis zu ihrem Tod unter der Gefangenschaft im Internierungslager.

Fritz: "Meine Mutter hatte enorme Probleme, dass ich Kunst mache. Als ich mein erstes Buch fertig geschrieben und gedruckt hatte, brach meine Mutter zusammen. Sie sagte mir: Das Buch muss verschwinden. Entweder ich oder das Buch. Sonst nehme ich mir das Leben."

Der Grund: Schon mit 14 Jahren "lernte" ihre Mutter durch die Gefangenschaft, dass vom Privaten nichts an die Öffentlichkeit getragen werden sollte. Fritz: "Meine Mutter hat versucht, ihr ganzes Leben lang unsichtbar zu bleiben. Da fiel dann das Wort: Die machen Dir den Prozess. Und dann kommen wir in Sippenhaft. Für sie war der Krieg nie zu Ende!"

Eindrückliche Fragen: Was haben meine Vorfahren wirklich in der Nazi-Zeit gemacht? Waren sie an Verbrechen beteiligt? Wie leiden Kinder, die in ein Internierungslager müssen? Was kann man 70 Jahre nach dieser Zeit noch als Kind herausfinden? Die Zuhörer waren sichtlich bewegt. Monika Golla: "Das war ein intensiver Abend mit einem ernsten und vielschichtigen Thema. Ich denke, die Lesung von Susanne Fritz wird alle Beteiligten über den Abend hinaus beschäftigen."

Das war also ein Auftakt nach Maß für den Saisonstart im Kunstort Eleven. Das nächste Highlight ist übrigens schon an diesem Wochenende: Fakers Club wird am Samstag, 25. Mai, um 20 Uhr, und am Sonntag, 27. Mai um 15 Uhr zwei "Börstinger Episoden" performen. Golla: "Am Sonntag ist der Eintritt für alle frei."