Die meisten Beschäftigten des sozialen Sektors arbeiten in der Kinderbetreuung und –erziehung. Foto: Jan-Philipp Strobel/dpa

Kindererziehung, Altenpflege oder Sozialarbeit - die Beschäftigten des sozialen Sektors arbeiten im Vergleich mit anderen Branchen oft zu schlechtere Bedingungen. Dabei wächst der Bedarf.

Berlin - Arbeitsstress, Schichtarbeit und niedrige Löhne: Die rund drei Millionen Beschäftigten im sozialen Sektor in Deutschland verdienen laut einer neuen Studie durchschnittlich 17 Prozent weniger als Beschäftigte in anderen Sektoren.

Wechselnde Arbeitszeiten, hohe Fluktuation und Teilzeit sind hier zudem für mehr Beschäftigte an der Tagesordnung als in der übrigen Wirtschaft. Das geht aus der Studie "Vor dem Kollaps? Beschäftigung im sozialen Sektor" des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Deutschen Roten Kreuzes hervor.

Ob in der Kinderbetreuung und -erziehung, der Altenpflege, der Gesundheits- und Krankenpflege oder der Sozialarbeit und Sonderpädagogik - der Bedarf an sozialer Arbeit hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. So stieg die Zahl der hier Beschäftigten seit 2010 von zwei Millionen um eine Million Menschen an. Gründe sind laut der Studie vor allem der Kita-Ausbau mit dem Rechtsanspruch auf Betreuung für Kinder unter drei Jahren, die Alterung der Gesellschaft sowie steigende Qualitätsansprüche. Rund 80 Prozent der Beschäftigten im sozialen Sektor sind laut der Erhebung Frauen.

Große Personalprobleme im sozialen Sektor

Das Beschäftigungswachstum wäre laut der Erhebung bei ausreichend verfügbarem Personal in allen Bereichen des sozialen Sektors noch "deutlich höher" ausgefallen. Die beschäftigungspolitische Bedeutung dieses Sektors beschreiben die Studienautorinnen und -autoren als "enorm": Sie ziehen etwa den Vergleich mit der Automobilindustrie mit nur 800.000 Beschäftigten. Die Studie beruht auf IAB-Daten.

Wachsende Schwierigkeiten gibt es für die Arbeitgeber, Fach- und Arbeitskräfte in dem Bereich zu rekrutieren, wie der IAB-Forscher Christian Hohendanner feststellte. Der Anteil der Betriebe mit solchen Problemen stieg zwischen 2010 und 2022 von 41 auf 77 Prozent. "Zugleich trifft dieses Problem auf eine zunehmende Alterung in den Betrieben." So sei der Anteil der 50- bis 64-Jährigen in den Betrieben binnen rund zehn Jahren von 27 auf 37 Prozent gestiegen. Hohendanner betonte, "dass der Wettbewerb um Arbeitskräfte nicht nur innerhalb des Sektors zunimmt, sondern auch zwischen den Sektoren".

Teilzeit, Schichten und viele Fehlzeiten

Jede und jeder Zweite im sozialen Sektor arbeitet trotz grassierenden Personalmangels in Teilzeit - auch wegen der hohen Arbeitsbelastung. Bei zwei von fünf Beschäftigten im sozialen Sektor wechseln auch die Arbeitszeiten regelmäßig. Schicht- und Nachtarbeit ist bei mehr als doppelt so vielen wie in anderen Sektoren üblich. Auch hohe Krankheits- und Fehlzeiten markieren den sozialen Sektor. Der Anteil der Betriebe mit vielen solchen Ausfällen stieg von 2010 bis 2022 von 13 auf 46 Prozent im sozialen Sektor.

Auch die Fluktuation ist hoch bei Kitas, Pflege und anderen sozialen Berufen: Die Zahl der Personalabgänge ist im Vergleich zu 2009 von 108.000 auf 241.000 im Jahr 2022 gestiegen. Über die Hälfte aller Abgänge sind auf Kündigungen durch die Beschäftigten zurückzuführen. Viele kündigten, um einen Job mit besseren Arbeitsbedingungen zu finden.

"Beschäftigte monetär geringer wertgeschätzt"

"Neben Nachteilen bei den Arbeitszeiten zeigen sich im sozialen Sektor nach wie vor deutliche Unterschiede in der durchschnittlichen Bezahlung gegenüber der übrigen Wirtschaft", heißt es in der Studie weiter. Die unbereinigte Lohnlücke zwischen dem sozialen Sektor und den übrigen Sektoren nahm zwar von 20 Prozent im Jahr 2012 ab - doch betrug diese Lohnlücke bei Vollzeitbeschäftigten 2021 noch 17 Prozent.

Die Forscherinnen und Forscher sprechen vom "Care Pay Gap": "Plakativ formuliert werden Vollzeittätigkeiten im sozialen Sektor monetär geringer wertgeschätzt als in anderen Branchen." Hohendanner sieht darin einen Wettbewerbsnachteil des Sektors.

Bekannt ist bisher vor allem der "Gender Pay Gap", die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern. Laut Statistischem Bundesamt lag der Bruttostundenlohn der Frauen im vergangenen Jahr unverändert 18 Prozent unter dem der Männer. Knapp zwei Drittel der Lohnlücke erklärt das Statistikamt mit höheren Teilzeitquoten bei den Frauen und geringeren Gehältern in frauentypischen Berufen. Die um diese Faktoren bereinigte Lohnlücke beträgt noch rund 6 Prozent des Brutto-Stundenlohns.

Eine Erklärung: Schlechtere Bezahlung von Frauen

Auch beim "Care Pay Gap" würde sich der Lohnunterschied durch Bereinigung zusätzlicher Faktoren verringern, so die IAB- und DRK-Studie. "Auflösen wird er sich nicht vollständig." Angesichts des hohen Frauenanteils in den sozialen Berufen lasse sich der "Care Pay Gap" teils auch mit der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen erklären.

Zufrieden macht die Arbeit im sozialen Sektor die Beschäftigten oft deshalb, weil sie den Eindruck hätten, etwas Sinnvolles zu tun, stellen die Forscherinnen und Forscher fest. Allerdings herrsche oft auch das Gefühl vor, am Rande der Armutsgrenze arbeiten zu müssen und vom Arbeitgeber für den Einsatz wenig belohnt zu werden. Das Deutsche Rote Kreuz sieht die Politik gefordert, mehr Mittel für den sozialen Sektor vorzusehen.

"Am Ende sind es politische Entscheidungen und Akteure wie Kommunen, Kassen, Länder und der Bund, die eine entscheidende Rolle spielen", sagte der DRK-Bereichsleiter Joß Steinke, Mitautor der Studie, der dpa. "Die zentrale Frage ist: Wie viel ist der soziale Sektor der Gesellschaft wert? Oder anders gefragt: Was darf er kosten?"