Tempoüberschreitung: Richter nutzt Fotos vom Beschuldigten aus dem Internet / Bußgeld und Punkt bleiben

Schramberg/Oberndorf. Der Beschuldigte hatte sich gut vorbereitet, war mit kurzen Haaren und ohne markante Brille vor Gericht erschienen. Aber auch der Richter hatte sich vorbereitet und Bilder von ihm im Internet gesucht.

Bislang hatte der Mann noch keinen Punkt in der Flensburger Verkehrssünderdatei. Da er allerdings im vergangenen Jahr in einer 30er-Zone in Oberndorf mit etwas über 50 Stundenkilometern geblitzt worden war, und jetzt das Amtsgericht Oberndorf seinen Einspruch abgewiesen hatte, muss er seinen ersten Punkt hinnehmen –falls er nicht noch Einspruch beim Oberlandesgericht einlegt und dieses zu einem anderen Urteil käme.

Ist der Beschuldigte tatsächlich gefahren oder nicht? Dies galt es im Verlauf des Verfahrens durch Richter Wolfgang Heuer herauszufinden. Der Anwalt des Beschuldigten, der später auf Abweisung plädierte, weil er es als erwiesen ansah, dass sein Mandant anhand des bei der Messung entstandenen Bildes "nicht zweifelsfrei identifiziert werden könne", hatte die Qualität des Fotos und den fehlenden Haaransatz als Unstimmigkeit ausgemacht.

Zunächst war auch die als Zeugin geladene Gemeindevollzugsangestellte der Stadt Oberndorf der Ansicht, dass der mutmaßliche Verkehrssünder, der neben seinem Anwalt saß, nicht derjenige sein könne, der auf dem Bild des Messgeräts zu sehen ist. An die Messung selbst, bei der 129 Fahrer innerhalb von rund fünf Stunden geblitzt wurden, konnte sich die Mitarbeiterin der Stadt nicht mehr direkt erinnern. Sie hatte aber alle Daten dokumentiert. Gemessen worden war am 31. August vergangenen Jahres aufgrund einer Beschwerde von Anliegern, weil in der 30er-Zone auf dem Lindenhof unweit der Fluorner Straße insgesamt zu schnell gefahren worden sein soll.

Hinsichtlich einer fehlenden Übereinstimmung kam die Frau dann doch heftig ins Schwanken, als Richter Heuer ihr nach einer extra anberaumten Sitzungsunterbrechung aktuelle Fotos des Beschuldigten, die er aus dem Internet geladen hatte, ausgedruckt vorlegte. Dort trug der Schramberger Unternehmer – neben Ministerpräsident Winfried Kretschmann oder Oberbürgermeister Thomas Herzog stehend – sowie bei wichtigen Festanlässen in Schramberg und nicht zuletzt auf seiner eigenen Homepage eine markante Brille. Er habe nur eine Lesebrille, war eine der wenigen Einlassungen gegenüber dem Gericht, ansonsten brauche er keine, hatte der Mittfünfziger ausgeführt.

Nachdem Richter Heuer de utlich gemacht hatte, dass er "die Verantwortung dafür übernehme", dass aus seiner Sicht der Unternehmer und die Person auf dem Bild ein und dieselbe Person seien, beantragte der Verteidiger ein anthropologisches Sachverständigengutachten. Dies lehnte das Gericht ab.

Ein weiterer Punkt, mit dem der Anwalt Bußgeld und Punkt zu Fall bringen wollte, war eine optische Spiegelung auf der Straße, die eine Nässe vermuten ließ. Darüber hinaus ließ er anklingen, dass zwischen der Schulung der städtischen Mitarbeiterin und der ersten Nutzung des Geräts ein zu langer Zeitraum gelegen habe, sodass eine Fehlbedienung vermutet werden könnte. Allerdings hatte die Vollzugsbedienstete akkurat alle Handgriffe und Beobachtungen im Messprotokoll aufgeführt und vor der Messung über längere Zeit immer wieder mit dem Gerät gearbeitet.

Die dann vom Anwalt beantragte Einholung eines technischen Gutachtens lehnte Heuer ebenfalls ab. Er sah dies als nicht erforderlich an, da seiner Ansicht nach die Artefakte im Bild aus der Art des Schwarz-Weiß-Fotos herrührten und nicht durch einen Messfehler oder eine falsche Einstellung bedingt seien.

Auf den zuvor gemachten Versuch des Verteidigers, die gemessene Geschwindigkeit von 22 auf unter 20 Kilometer zu drücken, damit es keinen Punkt gebe, ließ sich Heuer nicht ein. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei verletzt, wenn 128 Autofahrer ihre Strafe hinnähmen und der eine, der mit einem Anwalt alle Rechtsmittel ausschöpfe, eine Reduktion erhalte. Er habe "auch schon Sachen eingestellt", bei denen er nicht sicher gewesen sei, "aber bei so etwas nicht", verwies er auch auf sein Rechtsverständnis. Dabei räumte Heuer ein, dass "so etwas" jedem passieren könne, vor allem wenn jemand beruflich viel unterwegs sei, wie der Beschuldigte. Eine Sonderbehandlung schloss Heuer aus.