Das Wohnhaus, entworfen vom renommierten Architekt Florian Nagler, ist eines der gelungensten Einfamilienhäuser des Jahres 2022. Foto: Sebastian Schels/Lanz, Schels, Pk. Odessa

Die Vision vom einfachen Bauen und Wohnen hat ein Paar gemeinsam mit dem Architekten Florian Nagler am südlichen Ufer des Ammersees verwirklicht. Ein Besuch in Mitterfischen.

Eine sich holperig schlängelnde Dorfstraße, entlang an ein paar Wohnhäusern, Wiesen und einem Bauernhof, der aussieht, als würde hier wirklich noch viel gearbeitet – bis auf die alte Frau auf einem Bänkchen vorm Hof, die schaut, wer vorbeikommt. Nur ein paar Meter weiter und dann steht man am Rand einer Obstwiese und bestaunt gegenüber den schnörkellosen Holzbau.

 

Der etwas strenge Eindruck – als wolle das Haus partout nicht auffallen – wird allein schon gebrochen durch den Rundbogen, der Wohnhaus und Atelier-Garagen-Haus trennt, und die großen Fenster, gegen die man neugierig die Nase drücken möchte.

Freie Sicht auf die Natur

Wer so dreist wäre, würde nicht nur das Wohnzimmer mit dem Schwedenofen sehen, sondern hindurchschauen können bis auf die Wiese hinterm Haus. Netterweise machen die Hausherren aber die Tür auf und begrüßen Gäste und den Architekten des Hauses, Florian Nagler.

Auf selten genutzte Verkehrsflächen wie eine große Diele wurde verzichtet. Man steht sofort im Küchen-Ess-Wohnbereich auf einem Boden aus geschliffenem Estrich. Auf dem Tisch liegt ein Vogelbestimmungsbuch, das schon ganz schön zerlesen ausschaut.

Seit Gabi und Heinz Hiltbrunner in Mitterfischen am südlichen Rand des Ammersees wohnen und in alle Richtungen freie Sicht auf die Natur haben – der Blick reicht bis zu den Bergen und im Norden in ein kleines Tal nahe dem See –, lernen sie Vögel bestimmen. Im rückwärts gelegenen Garten gibt’s keinen Zaun, das Grundstück hört einfach auf, geht über in Felder, die von Bauern bearbeitet werden.

Es ist ein warmer Tag, doch trotz der fast bodentiefen Lärchenholzfenster ist es kühl im Haus, das ohne Klimaanlage auskommt, dank besonders dicker Wände. Die Bauherren haben in Ultraleichtbeton im Erdgeschoss investiert, „der sehr gute Dämmqualitäten und einen sehr guten Kälte-Warm-Austausch hat“, wie Heinz Hiltbrunner sagt.

Ein Haus, das lange stehen soll

Im oberen Geschoss dämmen auch 28 Zentimeter dicke Holzwände. „Wir haben uns gesagt: Wenn wir bauen, soll es besonders gut und nachhaltig werden, ein Haus sein, das lange steht“, meint Gabi Hiltbrunner.

Energieeffizienz war den Bauherren wichtig. Heinz Hiltbrunner: „Selbst wenn es draußen nur elf Grad hat, fühlt man sich drinnen total wohl und es herrscht eine gute Raumtemperatur.“ Geheizt wird mit einer Wärmepumpe. Der Ofen ist eher für die gefühlte Wärme und Heimeligkeit da.

So wenig Technik wie möglich, dafür steht Florian Nagler, den sie für den Hausbau gewinnen konnten, obwohl er „eigentlich gar keine Zeit hatte“, wie er sagt. Der Architekt und Professor an der TU München arbeitet an einem viel beachteten Forschungsprojekt in Bad Aibling über das Thema „einfach bauen und wie Architektur auch ohne einen riesigen Kellerraum voller Bautechnik gelingen kann“. Die drei Forschungshäuser bestehen aus unterschiedlichem Material, Leichtbeton, Holz, Ziegel.

„Ich fand es aber reizvoll, die Erkenntnisse aus Bad Aibling in einem neuen Projekt anzuwenden und auch die Materialien zu kombinieren“, sagt Florian Nagler. Beton, Holz und Ziegel kamen zum Einsatz, das meiste könnte bei einem Rückbau wieder verwendet werden.

Traditionelle Bauweisen neu interpretieren

Der Architekt sagt: „Dicke Wände sorgen für, dass kühle Luft im Sommer speichert und Wärme im Winter. Die Decke über dem Erdgeschoss, die Wände des Obergeschosses und das Dach bestehen aus dämmenden, massiven Holzelementen.“ Leichtbeton kam nur bei den erdberührenden Hausteilen und der Treppe zum Einsatz, ansonsten findet sich im Haus Holz – Obergeschoss und Dach bestehen aus massiven Holzelementen.

So gut gelungen ist das neue Einfach-Bauen-Projekt auch, weil sich Bauherren und Architekt rasch einig waren und die Bauherren als Grafikdesigner gestaltungsaffine Berufe haben. Heinz Hiltbrunner sagt: „Wir wollen uns bei unserer Arbeit frei entfalten und daher haben wir auch versucht, wenig reinzureden und dem Architekten größtmögliche Gestaltungsfreiheit zu geben.“

Florian Nagler nickt und sagt: „Die Zusammenarbeit war von gegenseitigem Vertrauen geprägt.“ Die Liebe zum Einfachen hat auch Experten wie die Architekturjury des Preises „Beste Einfamilienhäuser 2022“ begeistert, ausgelobt vom DAM (Deutsches Architekturmuseum), sie hat dem Projekt eine besondere Anerkennung zugesprochen.

Dass sich nicht nur draußen Rundbögen statt gewöhnlicher Türen finden, sondern auch im Haus, das ist keine exzentrische Romantik, sondern fällt in die Kategorie Lernen von den Alten. Schon die antiken Baumeister haben Viadukte und Gebäude mit Bögen entworfen; sie halten viel Spannung aus, und auch bei der Wandöffnung mit Beton-Rundbogen konnte so auf die Eisenarmierungen verzichtet und damit Material eingespart werden.

Hinter den Durchgängen befinden sich jeweils kleine Rückzugsbereiche. „So wie man das früher in Bauernhäusern kannte“, sagt Florian Nagler, der es spannend findet, „alte Traditionen zeitgemäß neu zu interpretieren“. Platz ist da für Zimmer zum Ausruhen und Schlafen, Bad, WC, Speisekammer, Garderobe.

Einen ästhetischen Reiz haben die Bögen überdies, ebenso wie die Symmetrie im Wohnraum. Zentral der Ofen, links und rechts davon Bücherwände und daneben Durchgänge zu den Rückzugsräumen. Wiederum Rundbögen rahmen auf der anderen Seite den Küchenbereich. Die Küchenoberschränke sind so breit wie die Küchensitzbank, deren Rückseite den Küchen- vom Wohnbereich trennt und als Regal fungiert.

Wohnen mit viel Licht

Eine „rurale Architektur“, sagt Florian Nagler, „ein Haus, das sich nicht so wichtig nimmt.“ – „Und“, sagen die Bauherrn, „ein Signal geben will, dass man sich in die Umgebung integrieren will.“ Und doch ist das Haus in seinem Inneren bei aller äußeren ländlichen Einfachheit skulptural, raffiniert sakral fast. Man gerät ins Staunen schon ob der Höhe des Raumes von sieben Metern – er ist bis zum Dachgiebel hin offen.

„Man vermutet es von außen nicht, aber wir haben hier auch dank der großen Fenster angenehme Lichtverhältnisse“, sagt Gabi Hiltbrunner. Die Bauherren haben dafür in ihrem 111 Quadratmeter Wohnfläche bietenden Haus auf Zimmer im oberen Geschoss verzichtet, nun führt eine komplett holzverkleidete Galerie, von der aus man aufs Geschehen im Erdgeschoss blicken kann, zum Bad und den Schlaf- und Gästezimmern. Man ahnt, viel Planung, viel gestalterische Kreativität ist nötig für so ein einfach gelungenes Haus.