Die Diagnose ALS ist ein Todesurteil. Trotzdem sollen Erkrankte und deren Angehörige künftig nicht ohne Hilfe und ein entsprechendes Netzwerk dastehen. Foto: Andrey – stock.adobe.com_502726827

"Die Krankheit ALS frisst innerhalb von kürzester Zeit meinen Schatz" – es war im Februar 2022, als der Villinger Walter Eberhard Freunde und Verwandte darüber informierte. Seine Frau Karin hat diesen Kampf verloren – ihr Mann jedoch kämpft weiter und tut das für alle, die das gleiche Schicksal erleiden.

Schwarzwald-Baar-Kreis - Sie dachten, es wäre Long-Covid. Karin Eberhard wurde immer ein bisschen weniger, Schluckbeschwerden, starke Erschöpfung...., so vieles passte in dieses Bild.

Der Gang zum Arzt war unausweichlich – und auch das Schicksal, das nach der Diagnose ALS stand – die Abkürzung steht für das Wortungetüm Amyotrophe Lateralsklerose. Was es bedeutet, musste Familie Eberhard leidvoll erfahren, in Kurzform: Die Nervenkrankheit führt, vereinfacht gesagt, zur Verklumpung von Eiweißen im Kopf, legt das Nervensystem lahm und damit auch die Impulse an die Muskeln, sie ist tödlich.

Heilung unmöglich, Linderung nicht

Eine Heilung also wäre für Karin Eberhard nicht mehr möglich gewesen – aber ihr hätte früher geholfen werden können, Symptome hätten gelindert werden können – und ihrem Ehemann Eberhard und ihrer besten Freundin Sabine Hils wäre das Helfen und Unterstützen sowie die Orientierung in dieser Ausnahmesituation um so vieles leichter gefallen, hätten sie von Anfang an mehr gewusst und hätte ein Netzwerk in der Region bestanden, das sie aufgefangen und mitgetragen hätte.

Genau ein solches nun zu knüpfen haben sich die beiden jetzt, Monate nach Karin Eberhards qualvollem Tod, zum Ziel gesetzt. Sie möchten informieren – und haben für einen Vortrag am 19. Januar in Villingen bereits Koryphäen als Referenten gewonnen –, eine Selbsthilfegruppe gründen und ein Netzwerk drumherum, damit eine Orientierungslosigkeit und Überforderung, wie sie selbst sie erleben mussten, künftig Angehörigen anderer ALS-Patienten im Schwarzwald-Baar-Kreis erspart bleibt.

Plötzlich der Schock

Der Zeitpunkt, als unsere Redaktion und Walter Eberhard wegen des Krankheitsbildes seiner Frau in Kontakt kamen, reicht viel weiter zurück, etwa in den November 2021. Der Villinger war zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgegangen, dass seine Frau mit hartnäckigen Nachwirkungen einer Corona-Infektion zu kämpfen hat und sorgte sich um die überbordende Bürokratie auf dem Weg zu einer Reha-Behandlung.

Wochen später im Zuge eines Untersuchungsmarathons dann plötzlich die schockierende Diagnose: ALS. Ein Todesurteil. Zwei Tage vor Weihnachten 2021. Eine Messung im Muskelsystem brachte es ans Licht. Die Diagnose damit zu stellen sei relativ einfach, so Eberhard, der in der Nacht auf den 15. März 2022 im Hospiz Via Luce in Villingen-Schwenningen zum Witwer geworden ist. Trotzdem hake es an dieser Stelle gar nicht mal so selten im System – ein Blick über den Tellerrand ist dafür notwendig. Und ein Bewusstsein für die heimtückische Krankheit und ihre Symptome, derer es recht viele gibt.

Rückblickend betrachtet: Symptome hat es auch bei Karin Eberhard viele gegeben – mal das aus der Hand gefallene Glas, ein anderes Mal die Schluckbeschwerden oder Wortfindungsstörungen, dann wieder dieser körperliche Abbau, Beschwerden bei alltäglichen Belastungen.

Es geht "rasend schnell"

Karin Eberhards Krankheitsverlauf war "rasend schnell", schildert ihr Ehemann. Sabine Hils erinnert sich lächelnd, welch "feines Gespür" ihre beste Freundin auch in den letzten Lebensmonaten noch gehabt habe – scheinbar bewusst habe sie am einen Tag Dinge geregelt, die in den nächsten Tagen "schon nimmer gegangen wären". "Sie war ganz bei sich und hat das wunderbar gemacht", sagt sie anerkennend und wischt sich die Träne aus dem Auge, die sich beim Gedanken daran in ihre Augenwinkel geschlichen hat.

Walter Eberhard neben ihr geht es nicht anders. Während des Krankheitsverlaufs schilderte er seinen Freunden und Angehörigen immer wieder, wie es seiner Liebsten, die 51 Jahre lang an seiner Seite war, gerade geht, wie sie sich fühlt, aber auch, mit welchen Herausforderungen die Familie kämpft. Anfangs war Familie Eberhard noch "voller Hoffnung". Nach der Diagnose im Dezember 2021 gab das Paar einer Freundin einen Stein mit seinen Namen in den Urlaub an ihren gemeinsamen Sehnsuchtsort, die Nordsee, mit. Sie versenkte ihn dort. "Es blieb aber bei der Hoffnung, dort nochmal hinzukommen."

Ihnen schwebt ein Netzwerk vor

Stattdessen nahmen die Eberhards es mit ganz anderen Aufgaben auf – vom Besorgen eines Rollstuhls über die Suche nach einer Palliativklinik bis hin zur Begleitung auf Karin Eberhards letztem Weg in dieser. Weil das Leiden seiner Karin einen so schnellen Verlauf genommen hat, blieben ihnen zwar viele Abbiegungen erspart – etwa Logopädie oder Physiotherapie. Trotzdem gehören auch solche Angebote in das Netzwerk, das ihnen vorschwebt. Angehörige sollten sich, "sofort orientieren können", wenn sie die Diagnose erhalten.

Am besten, so Eberhard, sollten sie einen Flyer in die Hand gedrückt bekommen, der nicht nur die Krankheit vereinfacht erklärt, sondern auch alle Kontaktadressen und Informationen zu Hilfe-Einrichtungen beinhaltet, an die man sich wenden kann. Sie sollen sich nicht auf eine aufreibende Suche machen müssen, wo was beantragt werden muss, wer wofür zuständig ist und sich mit ALS auskennt, sondern einen Wegweiser erhalten – und, wenn es ihnen hilft, barrierefrei Kontakt zu anderen Betroffenen oder Angehörigen knüpfen können, um von deren Erfahrungen zu lernen und zu profitieren. Und nicht zuletzt: Eberhard hofft, zumindest einen winzigen Beitrag zur Forschung leisten zu können, ein Pool an Betroffenen oder Angehörigen und der dazugehörige Erfahrungsschatz könnte helfen, aufzuklären, denn die Ursache, die zur Eiweißverklumpung bei ALS-Kranken führe, sei noch immer nicht gefunden.

Info: Vortrag und Selbsthilfegruppen-Gründung

Walter Eberhard und Sabine Hils haben einen Vortrag unter dem Titel "ALS – eine seltene, aber tödliche Krankheit" in Villingen organisiert. Die Veranstaltung ist am Donnerstag, 19. Januar, 17.30 bis 19.30 Uhr im Martin-Luther-Haus in Villingen, Einlass ist ab 17 Uhr, der Eintritt ist kostenfrei. Es referieren der Leiter der ALS-Ambulanz Mannheim Jochen Weishaupt, der Leiter der Neurologie am Schwarzwald-Baar-Klinikum Hubert Kimmig, die Leiterin der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung Inken Pirlich und der Fallmanager des Vereins Hilfe bei Muskelkrankheiten und ALS Neckar-Alb Willi Eissler sowie ein Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Muskelerkrankungen. Darüber hinaus liegt beiden der Austausch Betroffener, die Gründung einer Selbsthilfegruppe und eines Netzwerks für ALS-Patienten und deren Angehörige im Schwarzwald-Baar-Kreis am Herzen. Interessierte können sich am Rande der Veranstaltung austauschen.