Applaus für den Weltuntergang: In Stuttgart ist die erste selbst inszenierte Uraufführung des neuen Schauspielintendanten Armin Petras über die Bühne gegangen.
Stuttgart - Es gibt ein paar Sätze, die neue Intendanten immer dann gerne bemühen, wenn es darum geht, wie sie ihr Theater künftig gerne ausrichten wollen. „In die Stadt hinein“ soll es wirken und „für alle Menschen da sein.“ Auch der Ex-Berliner Armin Petras sprach zum Start seiner zunächst auf fünf Jahre angesetzten Stuttgarter Intendanz viel von Innovation, Irritation und Polarisierung.
Am Wochenende musste zum ersten Mal das Geschehen auf der Bühne diese Versprechungen einlösen. Sechs Premieren und eine Aftershowparty mit Hiphop- und Songwriter-Einlage sollten das verwöhnte Stuttgarter Publikum erreichen. Das größte Augenmerk lag dabei wohl auf Petras' eigenem Werk „5 morgen“. In der kleinen Spielstätte Nord vor nur rund 100 Zuschauern gegeben, entfaltete das unter seinem Pseudonym Fritz Kater geschriebene Stück eine Schreckensvision. In einer Stadt bricht eine Epidemie aus und der Zuschauer wird Zeuge, wie fünf Hauptfiguren zwischen Dessousverkäuferin und erfolglosem Autor ihre Überlebensstrategien entwickeln. Sehr modern und fragmentarisch kommt das Ganze daher, weniger ein Katastrophenstück mit geschlossener Dramaturgie, sondern assoziativ mit vielen klugen Sätzen, Video-Einspielern und Tanzeinlagen. Erst beim zweiten Vorhang gab es Jubel für Petras.
Das Ensemble wird frenetisch gefeiert
Durchgängig gefeiert wurde jedoch das Ensemble, das gute zwei Stunden über die reduzierte Sperrholz-Bühne tobte und wütete. Petras hat das Ensemble runderneuert, nur rund ein Drittel der Schauspieler ist geblieben. Zuvor hatte in einem deutlich traditioneller angelegten Ehedrama die frühere Castorf-Schauspielerin Astrid Meyerfeldt ihren großen Auftritt. Sie darf in „Szenen einer Ehe“ als Marianne witzig, bissig und am Ende äußerst klarsichtig ihre Beziehung analysieren und erhielt dafür langen, rhythmischen Applaus und Jubelrufe.
In der von Jan Bosse inszenierten Adaption des Bergman-Dramas überzeugte neben Joachim Król als Ehemann auch das gleichzeitig offen und klaustrophobisch angelegte Bühnenbild von Moritz Müller. Auch mit den vier weiteren Premieren seines Startwochenendes hatte Petras auf Vielfalt gesetzt: Am Freitag wurde der aus dem Sturm und Drang in die Zukunft verlegte und kapitalismuskritische „Urgötz“ von Simon Solberg gegeben, genauso wie „Die Reise“ über die Jugend des späteren Lebensgefährten der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin, Bernward Vesper.
Am Samstag fuhr auch zum ersten Mal das „Autostück. Belgrader Hund“ in einem fahrenden Auto durch Stuttgart - gespielt wird das Stück mit losem Bezug zum Jugoslawienkrieg dabei nur für die drei Mitfahrer auf der Rückbank. Den Abschluss bildet am Sonntag Tschechows „Onkel Wanja“ inszeniert von Robert Borgmann. Zugegeben, häufig hat es Versuche gegeben, neue Zuschauergruppen ins Theater zu locken. Es wird sich zeigen, ob es Petras und seinen Regisseuren gelingt, weiterhin so breite Zuschauerschichten anzusprechen wie an diesem Wochenende. Beim Blick auf den Spielplan fällt zunächst auf, dass die Titelauswahl mit „Das Versprechen“, „Effi Briest“, „Die Räuber“, „Dreigroschenoper“ und „Unterm Rad“ arg traditionell und schullektürenlastig ausfällt. Am Premierensamstag gelingt der Spagat jedoch: Wer hat schon einen Hiphop-Chor mit einigen hundert ungewöhnlichen Zuschauern im Theaterfoyer. Erst zaghaft und dann immer lauter singt er immer wieder eine Zeile: „Endlich Reform.“