Solche Anträge hat der Angeklagte zuhauf in Umlauf gebracht. Foto: © Andreas Ernst/Fotolia.com

66-Jähriger provoziert mit selbst konstruierten Zahlungsbefehlen vor allem Amtspersonen in der Justiz.

Kreis Rottweil - Enttäuschte, Verbitterte, auch solche, die beruflicher Stress in eine prekäre gesundheitliche Situation und danach in eine andere Welt gebracht hat: Vor allem Bürger, die mit ihrer Lebenssituation hadern, scheinen empfänglich zu sein für Botschaften wie: Das Rechtssystem muss nicht allzu ernst genommen. Man strickt sich mit teilweise abenteuerlich anmutenden Standpunkten eine Philosophie zurecht, die – wenn sie größere Kreise ziehen würde – die Republik in Mark und Bein erschüttern würde.

Der 66-jährige Rentner aus Freudenstadt, der sich am Donnerstag vor seinem Auftritt im Strafkammersaal 134 des Landgerichts Rottweil – wie andere Besucher auch – genau kontrollieren lassen musste, bezeichnet sich als "Reichsdeutscher". Als einer, der das Gericht klar wissen lässt, dass für ihn vor allem die 1878 geschaffenen Gesetze Gültigkeit hätten. Das Grundgesetz sei von den Alliierten aufgepfropft und vom Volk nie abgesegnet worden, sagt der in bestimmten Kreisen nach eigenen Angaben als Rechtsbeistand einmal viel gefragt gewesene Mann. Auch Polizisten und Richter hätten seinen Rat geschätzt, behauptet er und spricht von geltendem und gültigem Recht.

Beim Thema Führerschein ist er ein gebranntes Kind, der sich innerhalb kurzer Zeit schon mal dreifach von einer Überwachungskamera blitzen ließ. Dass er längere Zeit führerscheinlos unterwegs war, versucht der redegewandte Angeklagte auf Nachfrage mit Verweis auf die gültigen Gesetze von vor 150 Jahren wegzudiskutieren.

Dass er vor Gericht sitzt, damit nach einer vor einigen Monaten abgesetzten Verhandlung ein Urteil gefunden wird, hat einen ganz besonders skurril anmutenden Grund. Die Anklage lautet schlicht auf "Computerbetrug u.a.". Dahinter verbirgt sich aber ein von dem Mann ausgetüfteltes Mahnverfahren, das selbst erfahrene Richter von den Socken holte.

Hatten er oder die ihm wegen rechtlicher Probleme bis vor einigen Jahren offenbar in Scharen zulaufenden "Mandanten" eine missliebige Amtsperson ausgemacht, ließ sich der mit einer Vollmacht ausgestattete "Rechtsberater" nicht zwei Mal bitten. Schnell setzte er ein obskures Mahnverfahren in Gang mit einer Forderung über 950 000 Euro. Darin schlüsselte er diverse Posten auf. Den Punkt "Missachtung meiner Person" bewertete er gleich mal mit einem Strafobolus von 50 000 Euro. Ein so angegangener und ebenfalls mit einem Mahnbescheid über 950 000 Euro heimgesuchter   Stuttgarter Richter soll daraufhin die Anordnung einer Betreuung für den 66-Jährigen angeregt haben.

Bis Anfang 2015 hatte der Angeklagte offenbar 272 solcher Forderungen in Umlauf zu bringen versucht. Die ersten 39 wurden durch das automatisierte Gerichtsannahmeverfahren tatsächlich auf den Weg gebracht. Die Vollstreckung soll allein an der nicht bezahlten Verfahrensgebühr von 2578 Euro gescheitert sein. Recht sprechen wird bei diesem Verfahren eine besondere Herausforderung für die kleine Strafkammer unter dem Vorsitz von Wolfgang Heuer sein. Die Schwierigkeit einer Urteilsfindung liegt in der Beurteilung des Angeklagten. Im Gerichtssaal zeigt sich ein nicht ganz unsympathisch wirkender Mensch, der auch nicht auf den Kopf gefallen zu sein scheint.

Doch agiert er bei seinen Eskapaden nicht wahnhaft? Der psychiatrische Sachverständige wird dies in seinem Gutachten verneinen, wie er gestern bereits deutlich macht. Heuer hingegen betont seine Meinung noch entschiedener, bei solchen abstrusen Taten müsse man doch von krankhaftem Wahn getrieben sein. Zur Entwicklung ihres genauen Standpunktes will sich die Kammer nun einige Tage Zeit lassen, da dieser sich ganz wesentlich auf die Art des Urteils niederschlägt.

Der bereits in zahlreichen Fällen vorbestrafte Angeklagte zeigt sich als eine schwer durchschaubare Persönlichkeit, die auf einer Klaviatur zu spielen in der Lage ist, die jahrelang eine mehrere Tausend Leute starke Fangemeinde angelockt haben soll.

Wenn von seinem Kampf ums Wohnhaus während einer Enteignungsaktion die Rede ist, oder wenn er sich ausdrücklich von Reichsbürger-Gruppierungen distanziert ("Dazu gehöre ich nicht, deren Gewalttaten lehne ich absolut ab") kommt auch bei neutralen Beobachtern im Saal ein wenig Sympathie auf. Andererseits vermittelt der Angeklagte bei seinem PR-mäßigen Redeschwall in eigener Sache den Eindruck, dass da vieles schöngeredet wird. Nicht nur zu seiner beruflichen Vita.

Wieso man in ein solches Fahrwasser kommt, fragen sich Prozessbeobachter. Sind Traumata wegen Schicksalsschlägen mit ausschlaggebend? Die Polizei entließ ihn einst unehrenhaft, auch seine erste Frau schickte ihn weg. Viele Fragen werden zu diesem Fall und seiner Hauptperson auch nach dem Urteilsspruch offen bleiben.