Soziales: Berufliche Entwicklung der gehörlosen Annerose Lock als Erfolgsmodell
Integration und Inklusion sind zwei Wörter, die in Verbindung mit Menschen mit Behinderung oft gebraucht werden. Ist Annerose Lock nun bei der Firma Brugger inkludiert oder integriert? Wahrscheinlich beides. Und noch besser: Sie ist angekommen.
Schramberg/Hardt. Wie viel Geduld, Mut und Unterstützung notwendig sind, aber auch wie viel Lebensfreude eine gelungene Eingliederung eines Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt bringt, zeigt der Lebenslauf von Annerose Lock. Die 57-Jährige erkrankte als Baby an einer Hirnhautentzündung und ist seither gehörlos. Nach einer psychischen Erkrankung kam sie 2008 zum Arbeiten und Wohnen in die Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn.
Heute, zehn Jahre später, steht die Gehörlose wieder auf eigenen Beinen, meistert ihren Alltag selbstständig, wohnt gemeinsam mit ihrer Katze in Schramberg und arbeitet in der Montage bei der Firma Brugger Magnetsysteme in Hardt.
Hilfe durch den Job-Coach
Auf ihrem Weg hatte Annerose Lock viele Unterstützer, Berater, Fürsprecher und sie hatte eins: den unbedingten Willen, selbstständig zu leben und zu arbeiten. "Der Wunsch, nach draußen zu gehen, war immer da", erzählt Andreas Kunz von der Stiftung. Der Heilerziehungspfleger arbeitet seit 2012 zu 50 Prozent auch als Job-Coach. Er gibt Menschen mit Behinderungen die Hilfestellungen, damit sie sich "draußen" zurechtfinden, plant die berufliche Zukunft, stellt die Fähigkeiten und Stärken seiner Klienten heraus. Kunz sucht in der Praxis gezielt nach "Nischenarbeitsplätzen", nach Tätigkeiten, um das Fachpersonal in Unternehmen zu unterstützen.
So begann der gemeinsame Weg von Annerose Lock, der Stiftung und der Firma Brugger Magnetsysteme in Hardt. Auf zwei Vormittage, an denen Annerose Lock bei Brugger arbeitete, folgte ein Praktikum, daraus wurde ein Tag in der Woche, dann zwei, dann drei. Sowohl bei der Einarbeitung, als auch bei der Eingewöhnung war Kunz stets an der Seite von Annerose Lock. Nach und nach konnte diese den "beschützenden Rahmen der Werkstatt in Heiligenbronn" aufgeben und sich immer mehr auf ihre neue Tätigkeit einlassen. Parallel dazu bezog die Gehörlose auch eine eigene Wohnung in der Talstadt.
Bis zur sozialversicherungspflichtiger Anstellung dauerte es noch viele Monate, bis sie schließlich im September 2015 in der Werkstatt kündigte und sich auch Andreas Kunz immer mehr zurückziehen konnte. Seit Herbst vergangenen Jahres lebt Annerose Lock voller Stolz ihr selbstbestimmtes Leben.
"Ihr Werdegang ist ein Erfolgsmodell und sicher nicht die Regel", sagt Kunz. Um dies zu erreichen, war Hilfe von vielen Seiten notwendig und ein mutiger, offener sowie sozialer Arbeitgeber. "Annerose ist ein Gewinn für uns alle", sagt Geschäftsführer Thomas Brugger. Wenn ein Mensch mit Behinderung im Team ist, sei es wichtig, den Einstieg für ihn behutsam zu gestalten und ihm einen festen Ansprechpartner zur Seite zu stellen.
Bei Brugger ist dies Wolfgang Laufer, Leiter der Presserei und Stanzerei. "Die Arbeitsleistung von Annerose ist vergleichbar mit anderen Mitarbeitern", so Laufer. Er hat, wie andere der 115 Brugger-Angestellten auch, die Gebärdensprache gelernt, um die Verständigung mit Annerose Lock zu erleichtern.
Trotzdem oder gerade deshalb sei die Kommunikation im Unternehmen eine andere, seit die Gehörlose bei ihnen beschäftigt ist. Durch das Übersetzen in Gebärdensprache geht’s beispielsweise bei internen Besprechungen entschleunigt zu. Das Sich-Austauschen dauere länger, werde aber wertiger, Gespräche würden bewusster geführt. "Das Miteinander ist einfach ein besseres", sagt Thomas Brugger.
Dass sich im Unternehmen von Thomas Brugger und Georg Brugger-Efinger Zeit für Kommunikation genommen wird, sei mit ein Punkt, warum Annerose Lock so gut in den Betrieb passe, erläutert Kunz. Außerdem seien strukturierte Arbeitsabläufe wichtig. Ebenso wie die Unterstützung durch Arbeitsamt, Integrationsfachdienst, IHK, Schulen und dem Inklusions-Projekt GIEB des Landkreises.
Wie diese konkret aussieht, wo und welche Hilfen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber greifen, soll bei der Veranstaltung "Arbeit. So klappt’s" (siehe Kasten) verdeutlich werden.
Dort wird nicht nur das Erfolgsmodell der Firma Brugger vorgestellt, sondern Annerose Lock wird selbst an der Talkrunde teilnehmen – ein weiterer Baustein in ihrem selbstbestimmtem Leben.
"Arbeit. So klappt’s" lautet der Titel einer Veranstaltung im Elisabetha-Glöckler-Saal der Stiftung St. Franziskus Heiligenbronn am Donnerstag, 27. September, 18 Uhr. Wie können Menschen mit Behinderung ihre Leistungsfähigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt einbringen? Welche Möglichkeiten gibt es, Arbeitsmarktanforderungen so zu gestalten, dass Menschen mit unterschiedlichen Ausgangssituationen ihren Platz finden? Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es? Diese und weitere Fragen stehen im Fokus. Nach der Begrüßung durch Hubert Bernhard, Vorstand der Stiftung, stehen Impulse auf dem Programm. Diese kommen von: Gernot Pfau (Bereichsleitung Arbeit, Bildung, Soziales Behindertenhilfe Erwachsene), sein Thema: Werkstätten für Menschen mit Behinderung – Aufgaben und Möglichkeiten
Martina Furtwängler (Geschäftsbereichsleiterin Bildung/Qualifizierung bei der IHK): Start in die Berufswelt – Teilqualifikationen oder Fachpraktiker Ausbildungen
Tobias Villringer (Teamleiter, Agentur für Arbeit): Arbeit Mensch
Susanne Wagner (Schulleiterin der Gustav-Werner-Schule, Rottweil): Individuelle Bedürfnisse, individuelle Wege – der Start ins Arbeitsleben am Beispiel eines Schulabgängers
Anita Steinhart (Teamleiterin Integrationsfachdienst Schwarzwald-Baar-Heuberg): Übergänge gestalten – dauerhaft begleiten
Wolfgang Laufer (Leiter Presserei und Stanzerei bei der Firma Brugger Magnetsysteme GmbH in Hardt): Integration in der Praxis – ein gelungenes Beispiel
Nach einem kulturellen Beitrag geht es mit einer Talkrunde weiter. Teilnehmer sind: Thomas Brugger und Annerose Lock (Firma Brugger), Andreas Kunz (Job-Coach der Stiftung Heiligenbronn), Tobias Villringer und Anita Steinhart. Anschließend besteht die Möglichkeit zum persönlichen Austausch.
Die gesamte Veranstaltung der Aktions-Gemeinschaft GIEB (Inklusions-Projekt des Landkreises Rottweil) wird von Gebärdensprachdolmetschern übersetzt. Anmeldungen sind bis 30. Juli per E-Mail möglich: silvia.gmelin@bruderhausdiakonie.de
Weitere Informationen: www.gieb-rottweil.de