In der Flüchtlingsfrage treu an Angela Merkels Seite: Stephan Neher (links) hat im Februar 2017 den Eugen-Bolz-Preis an die Bundeskanzlerin überreicht. Die Laudatio hielt ein Grüner: Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Foto: Schmidt Foto: Schwarzwälder Bote

Rottenburg/Tübingen - Der Rassismus-Streit zwischen Rottenburgs OB Stephan Neher und Tübingens OB Boris Palmer geht weiter. In unserer Samstagsausgabe hatte Neher seinen Amtskollegen wegen "rassistischer Äußerungen" zur Flüchtlingspolitik kritisiert. An ihrer Freundschaft ändere der Streit allerdings nichts, erklären beide unisono.

Die Stimmung zwischen Rottenburg und Tübingen war schon einmal besser. Boris Palmer (Grüne) ist überrascht, dass ausgerechnet sein Rottenburger Kollege und Freund Stephan Neher (CDU) einen Rassismus-Vorwurf in unserer Zeitung öffentlich vorbrachte. Überregionale Medien griffen das auf: "Welt", "Focus" und der SWR berichteten.

Im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten widerspricht Palmer nun der Kritik von Neher (siehe Interview auf unserer Seite "Hintergrund" im überregionalen Teil). Auchnach seiner Neujahrsrede im Festsaal der Universität Tübingen reagierte Tübingens Oberbürgermeister auf die Vorwürfe aus Rottenburg. Palmer betonte, dass er "kein Rechtspopulist" sei. Er sei aber auch kein Kommunist – um keinen falschen Zungenschlag in seiner Rede zur Mietpreispolitik Tübingens aufkommen zu lassen. Neher war übrigens nicht selbst zum Neujahrsempfang gekommen, er ließ sich durch den Ersten Bürgermeister Thomas Weigel vertreten.

Neher nimmt seinen Vorwurf auch am Sonntag nicht zurück. Er bekräftigt ihn sogar noch einmal: "Ich bestreite zwar nicht, dass die Kriminalstatistik einen Anstieg an Taten durch Flüchtlinge zeigt. Auch müssen die in unser Land gekommenen Menschen unsere Werte anerkennen. Aber ich verurteile trotzdem Boris Palmers Facebook-Posts, die Verbrechen in Köln, Freiburg oder Kandel mit einer ganzen Gruppe in Verbindung bringen."

Er schließe seine Augen sicherlich nicht vor den Problemen der Flüchtlingswelle. "Auch in Rottenburg schauen wir genau hin." Er fordere von den Flüchtlingen den Willen zur Integration und verteidige die Freiheiten, die in der deutschen Demokratie errungen worden seien. "Es ist noch nicht lange her, da stand bei uns auch noch Homosexualität unter Strafe. Und auch die Frauenrechte mussten erst erkämpft werden."

Neher sagt gegenüber unserer Zeitung, dass er seine Vorwürfe auch schon Palmer direkt gesagt habe. Auch direkt nach unserer Berichterstattung kamen die beiden über einen "Briefwechsel" ins Gespräch, den Palmer auf seiner Facebook-Seite in Originallänge veröffentlichte (siehe unten). Mit "Lieber Kollege" beginnend fragte Palmer Neher, womit er denn Rassismus-Vorwurf belege. Neher antwortete unter anderem: "Mich stört an Deinen Posts und Analysen, dass Du Verhaltensweisen dieser Täter zum Anlass nimmst, Verhaltensmuster für ganze Gruppen zu formulieren." Palmer antwortet: "Lieber Stephan, dann hast du einen Rassismusbegriff, der verlangt, dass man keine empirischen Studien anstellen darf."

Auf Facebook hat dieser Streit auf mehreren Seiten für eine große Debatte gesorgt. Beide stecken viel Lob, aber auch viel Kritik ein. Wiebke P. schreibt auf der Seite des Rottenburger OB: "(...) Neher fordert völlig zurecht, dass man die Verhaltensweisen von einzelnen Mitgliedern einer Gruppe nicht der ganzen Gruppe zuschreiben darf. Das bedeutet natürlich nicht, dass man keine empirischen Studien durchführen kann. Der zentrale Unterschied liegt in den Begriffen ›zuschreiben‹ und ›beschreiben‹." Ralf N. schreibt dagegen: "Herr Neher, sie sollten mal ihre rosarote Brille abnehmen und der Realität ins Auge schauen. Aber das geht bei der CDU anscheinend nicht mehr."

Ähnliches Bild auf der Seite des Tübinger OB: Jan Christoph H. schreibt dort: "Sehr gut, Herr Palmer, Sie haben einen klaren Kopf und eine klare Sicht! Weiter so!" Alexander S. schreibt: "Einen Dank an den Klartextpolitiker Stephan Neher. Unangenehme Wahrheiten müssen ausgesprochen werden." Palmer geht dabei bei fast jedem Beitrag in den Direktdialog.

Beide Oberbürgermeister gehen davon aus, dass sie beim Flüchtlingsthema nicht mehr zusammenfinden. Palmer sagt zu unserer Zeitung über seinen Kollegen: "Bei Flüchtlingsfragen sind wir auseinander, da gehört er zur Herz-Jesu-Fraktion in der Union und verleiht Angela Merkel Preise. Sein gutes Recht, ich sehe es halt anders." Neher hatte sich klar zur Flüchtlingspolitik von Angela Merkel bekannt und sie mit dem Eugen-Bolz-Preis ausgezeichnet. "Gerade dafür habe ich auch viele Beleidigungsmails von Kritikern erhalten", erzählt Neher. Auch Palmer berichtet von etlichen Beleidigungen, die er für seine Äußerungen erntet.

Beide wollen Freunde bleiben, sagen sie. "Es war freundschaftlich, und es bleibt freundschaftlich", so Palmer. Neher bekräftigt das: "Wir sind in einer gemeinsamen Sportgruppe, spielen zusammen Fußball. Wir waren auch schon auf Konzerten gemeinsam unterwegs. An unserer Freundschaft wird sich nichts ändern. Das unterscheidet uns auch von zahlreichen Kommentatoren, die unterschiedliche Meinungen nicht akzeptieren können." Es bleibt also zu hoffen, dass es künftig nur zu verbalen "Blutgrätschen" kommt.

INFO: Der Briefwechsel

Boris Palmer und Stephan Neher hatten an diesem Wochenende einen "Briefwechsel", den der Tübinger OB auf Facebook veröffentlicht hat. Boris Palmer:

"Lieber Kollege, Rassismus ist eine fatale Ideologie, der Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind. Ich würde gerne die Zitate kennen, die nach deiner Meinung ›unsäglich und rassistisch‹ sind. Worum geht es?"

Stephan Neher:

"Die von dir beschriebenen Verbrechen, die von Tätern begangen wurden, die als Geflüchtete zu uns gekommen sind, sind abscheulich und werden durch die Polizei und Justiz aufgeklärt und hart geahndet. Gut so! Ich finde es auch richtig, dass wir an Geflüchtete hohe Erwartungen stellen, sich gesetzeskonform zu verhalten.

Mich stört an deinen Posts und Analysen, dass du Verhaltensweisen dieser Täter zum Anlass nimmst, Verhaltensmuster für ganze Gruppen zu formulieren. Es gibt kein gleiches Verhalten aufgrund Geschlecht, Alter, Herkunft, Hautfarbe oder Religion. Auf Gruppen zutreffende Verhaltensweisen zu verurteilen, kann ich nur dann unterstützen, wenn jemand durch seine eigene freie Entscheidung seine Gesinnung oder Einstellung bewusst öffentlich macht. Evtl. durch das Tragen entsprechender Symbole, Mitgliedschaft in einer Gruppe oder öffentliche Sympathiebekundungen."

Boris Palmer:

"Lieber Stephan, dann hast du einen Rassismusbegriff, der verlangt, dass man keine empirischen Studien anstellen darf. Es ist nunmal eine Tatsache, dass Asylbewerber aus dem Maghreb zu 30 Prozent kriminell sind.

Und es ist ein Tatsache, dass manipulierte Altersangaben bisher nur Flüchtlingen aus Afghanistan, Syrien oder Tunesien gestattet haben, sich als Jugendliche sehr frei bei uns zu bewegen und furchtbare Verbrechen zu begehen. Es ist eine Tatsache, dass Flüchtlinge um den Faktor Zehn überbelastet sind mit Gewalt und Sexualstraftaten. Wer die Augen vor solchen Mustern verschließt, kann sie nicht effektiv bekämpfen, weil er die Ursachen nicht erkennt. Mit Rassismus hat das alles nichts zu tun."