Vor dem Landgericht Tübingen zeigte sich ein 38-jähriger Rottenburger einsichtig. Foto: Ganswind Foto: Schwarzwälder Bote

Gericht: Er terrorisierte seine Verwandten: Rottenburger darf nun raus aus dem Krankenhaus

Rottenburg/Tübingen. Angespannt, aber ruhig wartet der Angeklagte auf das Urteil vor dem Landgericht Tübingen. Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen. Der Gutachter hat in der vorherigen Sitzung ein klares Bild gezeichnet. Aufgrund seiner psychischen Erkrankung – einer Form der Schizophrenie – terrorisierte der 38-jährige Rottenburger zahlreiche weitläufige Verwandte seiner Großfamilie. Er schmiss Steine in Fenster, zerstach Autoreifen und versuchte sogar, eine Haustür in Brand zu setzen (wir berichteten).

Der Angeklagte hatte erklärt, dass er von morgens bis abends Stimmen gehört habe. Nur wenn er geschlafen habe, sei er davon verschont worden. Als er die Stimme seiner Tante hörte, die ihm gesagt habe, sie sei eine Hexe und habe ihn verflucht, zündete er mit einem Brandbeschleuniger die Eingangstüre ihres Hauses an.

Sowohl Staatsanwalt als auch Verteidiger hatten an dieser Beurteilung keine Zweifel. Nur an einem Punkt wichen beide Seiten in ihrem Plädoyer voneinander ab. Hatte der 38-Jährige bei seiner Attacke auf seinen Cousin, der mit anderen Familienangehörigen in einem Auto saß, ein Messer in der Hand, als er durchs Autofenster griff? Hier stand versuchter Totschlag im Raum.

Der Staatsanwalt hielt die Aussage des Cousins, der auch der Fahrer des Autos war, für glaubwürdig. Dieser hatte eindeutig von einem Messer gesprochen. Die weiteren Fahrzeuginsassen waren sich allerdings vor Gericht nicht sicher. Der Verteidiger des Angeklagten erklärte: "Es bleiben Zweifel, dass ein Messer im Spiel war." Der Angeklagte hatte in dem polizeilichen Verhör erklärt, dass es eine Finte gewesen sei, dass er in seine Tasche griff, um eine Drohkulisse aufzubauen. "Auch für ihn war es eine bedrohliche Situation in seinem Erkrankungszustand", so der Verteidiger. In der Tasche des Angeklagten wurde allerdings später von der Polizei ein Messer gefunden.

Der Vorsitzende Richter des Schwurgerichts, Ulrich Polachowski, folgte jedoch dem Staatsanwalt. "Wir sind überzeugt, dass dies so stattgefunden hat – dass ein Messer eine Rolle spielte. Damals war er noch durch seine Krankheit schwer beeinträchtigt, deshalb sollte man die Äußerung bei der Vernehmung, dass es eine Finte war, nicht auf die Goldwaage legen."

Die Aussage des Opfers sei eindeutig gewesen. Auch die anderen Zeugen hätten bestätigt, dass der Angeklagte in die Tasche gegriffen habe und etwas in der Hand gehabt habe. "Aber die waren so ehrlich zu sagen, dass sie nicht alles sehen konnten." Klar sei: Aufgrund der Reaktion des Fahrers, der sofort aufs Gas getreten habe, sei nichts Schlimmeres passiert.

In der Gerichtsverhandlung sei es aber vordergründig darum gegangen, darüber zu entscheiden, ob der Angeklagte weiterhin stationär in einer Klinik untergebracht werden müsse oder unter Auflagen ambulant weiterbehandelt werden könne, sagte der Richter. Die Verwandten hatten bei ihren Aussagen im Zeugenstand ihre große Sorge zum Ausdruck gebracht, dass der 38-Jährige sie nicht in Ruhe lassen würde.

Richter Polachowski sah es aber so wie der Staatsanwalt und der Verteidiger. Die ärztliche Behandlung zeige Erfolg, die Medikamente würden wirken und vor allem: Der Angeklagte zeige großen Willen und sehe auch selbst die Dringlichkeit der Behandlung. "Wir verhandeln ständig solche Verfahren. Es ist eher selten, dass jemand so krankheitseinsichtig ist. Das ist wirklich nicht die Regel."

Auch aufgrund des schlüssigen Behandlungskonzepts habe er derzeit keine Bedenken, die Unterbringung in einem Krankenhaus aussetzen zu lassen. Der Richter zeigte in seiner Beurteilung auch Mitgefühl für die Qualen, die der Angeklagte selbst erlebt hatte. "Ich denke, niemand in diesem Saal möchte diese Erkrankung haben. Ich bin selbst heilfroh, dass ich so eine Erkrankung noch nicht hatte."

Dennoch sei der 38-Jährige hochgefährlich, wenn er seine Medikamente nicht nehmen oder wieder zu Cannabis oder anderen berauschenden Mitteln greifen würde. Auch die versuchte Brandstiftung an dem Haus in der Rottenburger Innenstadt, in dem seine Tante lebt, sei nur durch Glück nicht schlimmer ausgegangen. Auch Nachbarhäuser hätten in Brand geraten können.

Deshalb folgte der Richter den hohen und langfristigen Auflagen des Staatsanwalt: Der Angeklagte muss sich alle zwei Wochen beim ambulanten Dienst in Tübingen melden und sich das verschriebene Medikament spritzen lassen. Vier mal im Jahr muss er sich einem unangekündigten Drogen-Screening unterziehen. Er bleibt unter Führungsaufsicht und muss regelmäßig seinen Bewährungshelfer aufsuchen – und das fünf Jahre lang. Das ist die maximale Länge für eine Bewährung.

Aber auch das nahm der 38-Jährige gerne in Kauf: "Ganz klar, ich bin auch mit fünf Jahren Bewährung einverstanden. Den sozialpsychologischen Dienst will ich auch besuchen. Ich werde das alles mitmachen, kein Problem!", erklärte er vor dem Urteil. Auch das Kontaktverbot mit den direkt Betroffenen seiner Taten akzeptiere er sofort. Der Richter mahnte: "Ich kann Ihnen auch sagen, dass Konflikte ihnen nicht gut tun, wenn Sie gerade Ihr Leben neu aufbauen." Der 38-Jährige nickte und sagte immer wieder: "Danke, danke."

Zum Abschluss gab der Richter ihm noch auf den Weg: "Sie kommen jetzt in Freiheit. Dieses Urteil ist nicht nur nett, da ist auch eine Drohung dahinter. Wenn sie sich nicht an die Auflagen halten, werden sie wieder ins Krankenhaus eingewiesen." Der Verteidiger erklärte schließlich, dass sein Mandant das Urteil anerkenne und auf eine Revision verzichtet.