Beim Hereinkommen verehren die Gläubigen die Ikonen. Foto: Eyrich

Im Wortsinn entgegengekommen sind die Orthodoxen Kirchengemeinden Albstadt und Balingen den Ukrainern im Ankunftszentrum Meßstetten: Die Osternacht haben sie zusammen in der Lamprechtskirche gefeiert – vier Stunden lang.

Meßstetten - "Da müssen wir jetzt ökumenisch helfen, damit alle ihren Glauben, so gut es möglich ist, leben können", stellt Susanne Stephan klar. Die evangelische Pfarrerin hat gerne die Türen der Lamprechtskirche geöffnet, damit die orthodoxen Kirchengemeinden Albstadt und Balingen ihre Osternacht in Meßstetten feiern können. Denn dort leben die meisten der Geflüchteten aus der Ukraine, größtenteils Frauen und Kinder, und die sollen wenigstens ein bisschen Kontinuität erleben in Zeiten des Krieges gegen ihre Heimat. Rituale trösten.

Orthodoxe feiern nach dem julianischen Kalender

Bis spät in die Nacht zum Ostersamstag – für orthodoxe Christen richtet der sich nach dem julianischen Kalender und fällt diesmal auf den 23. April – haben sie Osterbrot gebacken. "Ohne das geht es nicht", hat Susanne Stephan gelernt. Mit ihrem Mann, ihrem Kollegen Reinhold Schuttkowski und einer Hand voll Einheimischer ist sie gekommen, um die Feier zu erleben, auch wenn die um 22 Uhr beginnt und auf dreieinhalb Stunden angesetzt ist. Anschließendes Fastenbrechen im Gemeindehaus exklusive.

Die 80 Angemeldeten sind nicht alle da

Die 80 Ukrainerinnen, die sich angemeldet hatten, sind dann doch nicht alle dabei. Dennoch ist die Kirche mit rund 75 gut verteilten Gläubigen fast voll besetzt, als Erzpriester Michael Buk, Ilija Jovic – erst vor zehn Tagen in Paris zum Priester geweiht – und Diakon Thomas Zmija einziehen. Zuvor haben die Gläubigen Kerzen entzündet, in eine Schale gesteckt, die Ikonen und die Heilige Schrift verehrt, die am Eingang zum Kirchenschiff stehen. Alle Frauen haben den Kopf bedeckt, denn auch die "Gottesgebärerin" Maria ist auf den prächtigen, mit Gold verzierten Ikonen im Altarraum so dargestellt. Die Ministranten tragen ebenfalls goldene Gewänder, der Erzpriester erst ein blau-rot-goldenes, wenig später ein weiß-silbernes Gewand, ebenso wie seine Konzelebranten.

In der Kirche wird es Nacht – doch das Licht kommt

Denn der Gottesdienst teilt sich in mehrer eigenständige Liturgien: Geht es in der Mitternachtsliturgie noch um das Sterben des Heilands am Kreuz, stellen die Gläubigen nach gut 20 Minuten die Ankunft am Grab dar, in dem der Erlöser nicht mehr liegt. Die Kirche ist dunkel, in einer Kette werden die Kerzen entfacht, dann geht es hinaus und die Kirche wird geschlossen – Symbol für den Stein vor dem Grab des Sohnes Gottes.

Pfarrerin Stephan hat die Nachbarn auf die nächtliche Zeremonie vorbereitet, denn die Gläubigen ziehen um die Kirche herum, während die Glocken euphorisch läuten. Nicht drei Mal, wie es Tradition ist, sondern ein Mal – der Weg im Pfarrgarten hat seine Tücken.

"Christos voskrese!" – "Voistinu voskrese!"

Bei der kurzen Zeremonie am Kirchenportal, ehe es wieder hineingeht, liest der Erzpriester aus dem Evangelium, und auch in der Orthodoxie ist es eine Frau, der Christus aufgetragen hat, die frohe Botschaft zu verkünden. "Christos ist auferstanden!" ruft Buk aus. "Er ist wahrlich auferstanden" antwortet die Gemeinde. Es sind Ausrufe der Freude, die in der anschließenden Auferstehungsfeier unzählige Male erklingen: mal auf Deutsch, mal auf Kirchenslawisch – der Sprache des Gottesdienstes, die Russen wie Ukrainer verstehen. "Christos voskrese!" – "Voistinu voskrese!"

Überhaupt wiederholt sich vieles in der mehrstündigen Liturgie, die nun folgt und für die Gläubige gesunde Lendenwirbel brauchen, denn immer wieder verbeugen sie sich, bekreuzigen sich dabei – den dritten Schlag des Kreuzzeichens setzen sie rechts, anders als Katholiken und Protestanten.

Singen statt vorlesen – das gilt für alles

Ebenfalls anders sind die schönen Gesänge, die eine kleine, aber stimmgewaltige Schola anführt. Priester und Diakon lesen nicht aus den Evangelien – sie singen die Worte aus der Heiligen Schrift, die in Silber gebunden ist. Im Gegensatz zu westlichen Kirchen steht der Erzpriester meist mit dem Rücken zur Gemeinde, ist allerdings auch viel mit dem Weihrauchkessel unterwegs, den Buk mit Verve schwenkt. Auch die Gläubigen sind in Bewegung. Manche gehen irgendwann, andere kommen später dazu.

Elemente aus dem westlichen Gottesdienst

Je weiter die Zeit fortschreitet, desto mehr Elemente aus ihrer Gottesdiensttradition können westliche Christen in der Liturgie entdecken: bei der Wandlung etwa, als alle kurz knien und die Zelebranten sich über den Altar beugen. Die Kommunion, das Abendmahl, nehmen sie mit dem Mund entgegen, ein rotes Tuch vor sich, damit die Hostie nicht zu Boden fallen kann.

"Zur Kommunion dürfen alle gehen, die orthodox getauft sind", erklärt Buk, "Für alle anderen gibt es nachher noch Osterbrot." Dann verteilt er mit einem langen, silbernen Löffel, die Hostien. Wie coronakonform es dabei zugeht – diese Frage bleibt für die Gäste offen.

Am "sauberen Donnerstag" geht es ins Bad

Es geht schon auf 2 Uhr zu, als Michael Buk den Segen spricht und dann die Osterspeisen weiht: 510 Eier, die meisten in orthodoxem Rot gefärbt, belegte Brote und süßes Gebäck weiht der Erzpriester gleich drei Mal und verteilt ordentlich Weihwasser mit einer dicken Quaste. Dann kommen alle nochmals ins Kirchenschiff und empfangen von Buk ein symbolisches Stückchen Brot, ehe sie sich an den Osterspeisen laben dürfen.

Das späte Essen beendet das 48-tägige "große Fasten" und die Karwoche, die für orthodoxe montags mit dem Frühjahrsputz beginnt. Am "sauberen Donnerstag" waschen sie sich im "Banja" rein und verbringen den Karfreitag "trauernd und ohne Arbeit", wie die Theologin Agnes Slunitschek, Expertin für Ökumene, im Internetportal "katholisch.de" schildert.

Für die meist jungen Ukrainerinnen aus dem Ankunftszentrum, die diese Osternacht sehr still und andächtig mitgefeiert haben, dürfte es nicht die einzige Trauer gewesen sein, die sie verspüren, das verraten ihre Gesichter. Doch wenigstens haben sie Gelegenheit gehabt, Ostern so zu feiern, wie sie es aus ihrer Heimat kennen. Auch dank Susanne Stephan, für die es keine kurze Nacht wird: Am Sonntag morgen steht sie wieder in der Lamprechtskirche – hinter dem Altar.