Müll, Speisereste und Schmutz – so lebt ein 67-Jähriger im Raum Sulz. (Symbolfoto) Foto: pixabay

Verwahrloster Mann wird verurteilt. Betreuungsverfahren läuft. Wohnung in desaströsem Zustand. Mit Kommentar

Oberndorf/Sulz - Eigentlich stand er wegen Trunkenheit im Verkehr und Beleidigung vor dem Oberndorfer Amtsgericht. Beim Verfahren stellte sich jedoch heraus, dass der 67-jährige Angeklagte weitaus mehr Probleme als "nur" eine Alkoholabhängigkeit hat. Ein Betreuungsverfahren läuft.

"Es verschlägt einem die Sprache. Dass ein Mensch in so etwas leben kann. Das ist menschenunwürdig", hatte Amtsgerichtsdirektor Wolfgang Heuer am ersten Verhandlungstag im August fassungslos festgestellt.

Anlass dazu gaben ihm Aufnahmen aus der Wohnung des damals noch 66-jährigen Angeklagten aus dem Raum Sulz. Tote Mäuse in Kochtöpfen, Müll, Speisereste und Kot überall – diese Zustände veranlassten Heuer dazu, zur Frage der Schuldfähigkeit ein psychiatrisches Gutachten anzufordern sowie ein Betreuungsverfahren einzuleiten.

Parallel galt es am zweiten Verhandlungstag aber noch, die Anklage wegen mehrfacher Trunkenheit im Verkehr sowie wegen Beleidigung und Bedrohung von Polizeibeamten zu verhandeln.

Keinerlei Einsicht

Aufmerksam auf den Zustand des Hauses war die Polizei nämlich geworden, weil sie den Führerschein des Angeklagten gesucht hatte. Diesen hatten die Beamten 2017 sowie im Frühjahr 2018 mehrfach betrunken im Straßenverkehr aufgegriffen – teilweise mit bis zu 1,94 Promille. Er soll die Beamten zudem als "Deppen" und "Zigeuner" beschimpft sowie unter anderem gedroht haben, sie abzustechen und totzuschlagen.

"Die Werte stimmen nicht", sagte der 67-Jährige nun vor Gericht zur Trunkenheitsfahrt. Auf den Hinweis von Richter Heuer, dass die Wahrscheinlichkeit dafür bei drei Blutproben recht gering sei, reagierte der Angeklagte nur mit Abwinken. Die Beleidigungen dementierte er größtenteils.

Generell zeigte er keine Einsicht hinsichtlich eines Fehlverhaltens. "Bei der Polizei kommt man am weitesten, wenn man ›ja, ihr habt Recht‹ sagt", meinte der Angeklagte. Dazu sei er aber nicht bereit. "Ein Polizist lügt, wenn er den Mund aufmacht", beleidigte er die als Zeugen geladenen Beamten erneut vor Gericht. Diese schilderten den Angeklagten als aggressiv, alkoholisiert und zudem verwahrlost sowie ungepflegt.

Richter Heuer versuchte, der Ursache für den "Absturz" des 67-Jährigen, der vor wenigen Jahren noch voll berufstätig war, auf den Grund zu gehen. Ersatzfreiheitsstrafen aufgrund früherer Vergehen sowie kürzlich das Abstellen des Stroms ließen darauf schließen, dass der 67-Jährige finanzielle Probleme hat. "Es wirkt, als seien Sie beruflich abgestürzt und dann durchgedreht", mutmaßte Heuer.

Als er den Angeklagten über das laufende Betreuungsverfahren in Kenntnis setzte, reagierte dieser aufbrausend. "Ich brauche keinen Betreuer und will auch keinen. Das lasse ich mir nicht bieten. Ich habe 50 Jahre geschafft. Jetzt will ich nur meine Ruhe und mein Bier", wetterte er.

Zur Rentenhöhe wollte er keine Angaben machen: "Das geht euch einen Scheißdreck an." Mit ähnlichem Widerstand ging es weiter. Auf die Frage, ob er Schulden habe, sagte der Angeklagte: "Nein, nur Durst." Über den Zustand seiner Wohnung sagte er, er werde aufräumen, wenn er Lust habe, aber erst einmal saufe er sein Bier, ob es dem Gericht nun passe oder nicht.

Ämter reagieren nicht

Besonders prekär: Der Zustand der Wohnung soll so schlimm sein, dass die Polizei schon Berichte ans Bürgermeisteramt geschickt hat. Der Verdacht: drohende Verwahrlosung. Die Polizei schreibt von "akuter Seuchengefahr", teilte dies auch dem Landratsamt in Rottweil mit. Ein Einschreiten wurde offenbar nicht für nötig gehalten, denn der Angeklagte lebt nach wie vor in diesen Verhältnissen. Solange die Mäuse innerhalb der Wohnung blieben, bestehe keine Seuchengefahr, erklärte das Landratsamt damals. "Es ist mir unbegreiflich, dass da nicht reagiert wurde. Allein die Bilder sorgen für Würgereiz", meinte Richter Wolfgang Heuer.

Laut psychiatrischem Gutachten hat der Angeklagte eine Persönlichkeitsstörung, gepaart mit einer Störung der Impulskontrolle. Aufgrund seiner krankhaften seelischen Störung empfahl der Gutachter, von verminderter Schuldfähigkeit auszugehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder zu solchen Taten komme, sehe er bei 90 Prozent oder höher. "Eine gesetzliche Betreuung ist unbedingt erforderlich", meinte er. Eine Freiheitsstrafe sei nur bedingt zielführend, da der Angeklagte emotional verflacht sei.

Da alle Tatvorwürfe bestätigt werden konnten, stand nur noch das Strafmaß – unter Berücksichtigung verminderter Schuldfähigkeit – zur Debatte. Die Staatsanwältin plädierte für 130 Tagessätze à 15 Euro. Verteidiger Rainer Renz sprach sich derweil für eine Freiheitsstrafe von vier Monaten aus. Sein Mandant solle zu einem menschenwürdigen Leben zurückfinden und in eine Entziehungsanstalt eingewiesen werden.

Richter Wolfgang Heuer verurteilte den 67-Jährigen zu 90 Tagessätzen à zehn Euro und eine Führerscheinsperre von vier Jahren. "Die Geldstrafe abzuarbeiten, wäre das therapeutisch Beste", regte er an. Der Angeklagte sei ein "gestörter, kranker Mensch", sein Fall tragisch. "Vor 30 Jahren hätten Sie über Ihre Wohnung gesagt: So etwas ist das Letzte. Und jetzt stecken Sie selbst drin und merken es nicht", stellte Heuer fest. Nun soll sich ein Betreuer des 67-Jährigen annehmen.

Ein Hilfeschrei

Jasmin Cools

Speisereste, eine mit Kot überfüllte Toilette und tote Mäuse in der Wohnung – und da soll keine Seuchengefahr bestehen? Die Reaktion des Landratsamtes zeugt von sträflicher Ignoranz. Ebenso schockiert es, dass auch die Gemeinde nicht auf die Warnung der Polizei reagiert hat. Wäre der 67-Jährige nicht mehrfach strafrechtlich auffällig geworden, würde er wohl für den Rest seines Lebens in solchen Verhältnissen hausen.

Dabei sah sein Leben nicht immer so aus. Jahrzehntelang war er selbstständig, bis er letztlich wohl mit leeren Händen dastand und sich verbittert dem Alkohol zuwandte. Es ist die tragische Geschichte eines Mannes, der sich aufgegeben hat. Statt ihn seinem Elend zu überlassen und die Augen zu verschließen, hätten längst Maßnahmen ergriffen werden sollen. Sein Zustand und der seiner Wohnung sind letztlich nur eins: ein Hilfeschrei.