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Oberndorf -Es gibt Konzertabende, die folgen ihrer eigenen Dramaturgie. Vorhersehbar ist für die Besucher eher wenig, und obwohl der Blick ins Programmheft Aufklärung über die zu erwartenden Musikstücke verspricht, kann es  manchmal doch einen Abend der Überraschungen geben. So auch bei "Beatfire" in der Klosterkirche Oberndorf (Kreis Rottweil), bei dem ein Kammerorchester auf einen Beatboxer traf.

Um es vorweg zu nehmen: Der Abend begann eher traditionell und endete fulminant mit stehenden Ovationen. Doch der Reihe nach. Mit dem Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim saß eines der renommiertesten Orchester des Südwestens auf der Bühne. Und mit dem vielerorts  zu hörenden Konzert für zwei Violinen in d-moll von Johann Sebastian Bach, BWV 1043, konnte man als Programmgestalter auch nichts völlig falsch machen. Das Violinduo "The Twiolins", hinter dem sich die Geschwister Marie-Luise und Christoph Dingler verbergen, spielte die Soloparts voller Musikalität, insbesondere der zweite Satz war von größter Innigkeit, die hier aber auch gefordert wird. Und spätestens im dritten Satz wurde deutlich, wie großartig das Duo aufeinander eingespielt ist, ohne dabei aber   in eine routinierte Spielweise zu verfallen. 

Mark Mast, rühriger Intendant des Schwarzwald Musikfestivals, leitete derweil das Pforzheimer Orchester, das sich als solider Begleiter mit einem sehr durchsichtigen Klangbild in der akustisch nicht immer einfach zu bespielenden Klosterkirche erwies. Aber das war es erst einmal mit den gar so himmlischen Bach’schen Klängen in der Klosterkirche. Denn was folgte, war ein musikalischer Wechsel und Zeitensprung ohnegleichen. Raus aus dem Barock, rein ins 21. Jahrhundert: Bühne frei für Robeat, einem äußerst erfolgreichen 30-jährigen Beatboxer aus Stuttgart, der mit bürgerlichem Namen Robert Wolf heißt. Mark Mast führt zusammen, was  nicht zusammenzupassen scheint Eher schüchtern wirkte dieser, als er die Bühne betrat, das Mikrofon umfasste und erste Kostproben seines Könnens in der Mundakrobatik ablieferte, die am Ende in einem kurzen "Hallo" endeten.

Danach Beatboxing als Soloprogramm, wie man es sich besser nicht vorstellen kann.  Dabei blitzte auch immer wieder das in kleinen, fast  homöopathischen Dosen eingeworfene komödiantische Talent von Robeat auf. Mal war er ein Autofahrer, mal telefonierte er, mal jagte er mit einer Spraydose eine lästige imaginäre Fliege. Und all dies mit Geräuschen, die live aus Mund, Rachen  und Nase erschaffen wurden. Robeat schaffte es in kürzester Zeit, das Publikum in der Klosterkirche zu kleinen imaginären Filmen – Kopfkino – zu verführen. Immer wieder gab es spontanen Beifall, beispielsweise dann, wenn   unterschiedliche Versionen   ein und derselben Melodie hintereinander erklangen.

Mal als Walzer, mal als Hiphop oder auch zum Mitklatschen in einer  abgenudelten Volksmusikversion. Was für eine Performance in der altehrwürdigen ehemaligen Augustiner-Klosterkirche, die als Veranstaltungsort schon vieles erlebt haben dürfte. Doch es kam noch besser, noch gewagter: Wie würde es wohl klingen, wenn Robeat und das Kammorchester Pforzheim gemeinsam agierten? Die dem Konzert namensgebende Komposition "Beatfire" von Jürgen Christ machte klar, dass dies einerseits fantastisch, andererseits unerhört klingt.

Vielleicht genau das, was sich  Mark Mast bei der Programmzusammenstellung   gewünscht hatte. Das Publikum hatte auf jeden Fall in der Pause nach lang anhaltendem Beifall  immensen Redebedarf, und auch das ein oder andere erstaunte Kopfschütteln ob des Dargebotenen war zu sehen. Danach, im zweiten Konzertteil,  wurde es erst einmal deutlich ruhiger. Eine kammermusikalische Besetzung mit den  Twiolins  und Robeat war angekündigt. Insgesamt drei Kompositionen von Edmund Joliffe (Waltz diabolique), Benjamin Heim (Trance No. 1) und Ewelina Nowicka (Jongleurs) standen in dieser Trio-Besetzung auf dem Programm, ehe das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim erstmals alleine als Orchester bei diesem Konzert mit der Romanze in C-Dur von Jean Sibelius zum Zuge kam. 

Das Stück, im sofort erkennbaren  spätromantisch-typischen  Sibelius-Klang, war wohl  fast so etwas wie eine kurze Verschnaufpause für das Publikum, ehe bei Palladio von Karl Jenkins noch einmal Kammerorchester, Twiolins und Robeat aufeinandertrafen – und damit gar so etwas wie eine Uraufführung darboten, denn noch nie wurde Palladio in dieser Besetzung gespielt. 

Das Werk ist dreisätzig wie ein Concerto Grosso angelegt. Und normalerweise wird zwischen den einzelnen Sätzen nicht geklatscht. Was aber, wenn das Publikum vor Begeisterung nicht an sich halten kann? Dann werden die versammelten Musiker eben nach jedem Satz gefeiert. So geschehen in Oberndorf, als Palladio zum  fulminanten Abschluss des offiziellen Programms wurde. Die Stimmung war im besten Sinne aufgeheizt. Abkühlung tat Not, und so wurde als Zugabe der "Winter" aus den "Vier Jahreszeiten" von Vivaldi gespielt. Natürlich mit den Twiolins und Robeat.

Auch dieser  oft gespielte Titel war in dieser Version bislang ungehört. Und somit ein Erlebnis und Ereignis ohnegleichen. Was für ein sensationelles Konzert. Mark Mast bewies Mut, und führte zusammen, was auf den ersten Blick nicht zusammenzupassen  scheint, sich auf der Bühne aber nicht nur hervorragend verträgt, sondern neue musikalische Welten anbietet. Es gibt lediglich einen Wermutstropfen. Die Zahl der Besucher gestaltete sich durchaus überschaubar. Schade.