Eine Pflegerin versorgt im Olgahospital des Klinikums Stuttgart einen am Respiratorischen Synzytial-Virus (RS-Virus) erkrankten Patienten, der beatmet wird. Foto: dpa/Marijan Murat

Die Erkrankungswelle bei Kindern und Jugendlichen spitzt die Versorgungssituation in den Kinderkliniken zu. In Stuttgart und Tübingen sind die Intensivstationen nahezu voll belegt. Fachärzte fordern, Kinder gegen Grippe und RS-Viren zu impfen.

Es sind nur noch wenige Betten im Olgahospital frei. „Die Lage im Klinikum ist angespannt, aber unter Kontrolle – auch auf der Kinderintensivstation“, sagt Jan Steffen Jürgensen, Vorstandsvorsitzender des Klinikums Stuttgart. Die Station gehört mit 21 Betten zu den größten Kinderintensivstationen bundesweit. Derzeit seien 18 belegt – „auch mit schwer kranken Kindern, die sich mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus, kurz RSV, zudem mit Grippeviren angesteckt haben“. Es bestehe eine nur noch geringe Aufnahmekapazität. Auch das Klinikum Esslingen meldet eine angespannte Lage bei den Kinderintensivbetten.

Immer noch viele Grippekranke

Schon Anfang Januar hat das Olgahospital mit einer komplett belegten Intensivstation und einer überlaufenen Notaufnahme zu kämpfen gehabt. Auch weil mehrere Krankheitswellen Kinder und Erwachsene im Land gleichermaßen überrollt haben – hauptsächlich mit dem Influenzavirus. Zugleich gab es viele krankheitsbedingte Ausfälle beim Pflegepersonal. Inzwischen meldet Jürgensen: „Wir beobachten eine Stabilisierung der Krankheitsfälle auf hohem Niveau.“

Jan Steffen Jürgensen vom Klinikum Stuttgart Foto: Lichtg/ut/Max Kovalenko

Das Klinikum ist kein Einzelfall: Bundesweit werden die Betten auf den Kinderintensivstationen knapp. So hat die Fachgesellschaft der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Anfang Februar eine bundesweite Umfrage in den Kinderkliniken gestartet.

Das Ergebnis: Lediglich 65 Prozent der Intensivbetten für schwer kranke Kinder und Jugendliche waren in Betrieb. Davon war ein großer Teil – rund 40 Prozent – mit Kindern belegt, die einen schweren RS-Virusverlauf vorweisen oder wegen anderer saisonaler Infekte intensivmedizinisch behandelt werden. „Insgesamt meldeten die Stationen im Schnitt weniger als ein freies Bett pro Standort“, so die Fachgesellschaft. Ursache hierfür sei insbesondere der Pflegekräftemangel, der sich aufgrund akuter Krankheitsausfälle des Klinikpersonals im Winter noch weiter verschärfe.

Unikliniken besonders betroffen

Der Notstand zeigt sich insbesondere in den großen Unikliniken, bestätigt Ellen Heimberg, stellvertretende Sprecherin der DIVI-Sektion Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin. „Im Sommer sind wir meist schon voll ausgelastet“, sagt die Oberärztin vom Uniklinikum Tübingen. „Im Winter werden wir dann durch die Infektionswellen überrollt und müssen kritisch kranke Kinder zum Teil über weite Entfernungen hinweg verlegen.“ Kinder, die dann nicht akut lebensbedrohlich krank sind, müssen hintanstehen. Auch Operationen werden immer wieder verschoben.

Ellen Heimberg, Oberärztin Interdisziplinäre Pädiatrische Intensivstation in Tübingen Foto: Uniklinik Tübingen

Grippeimpfung für alle Kinder und Jugendliche

Angesichts der schwierigen Versorgungslage fordern Fachärzte der DIVI, auch Kinder und Jugendliche gegen Atemwegsinfekte wie den RS-Virus und Grippe zu impfen. Dieser Forderung schließt sich auch Jan Steffen Jürgensen an: „Impfungen würden helfen, schwere Verläufe von Infektionskrankheiten zu vermeiden und die begrenzten Ressourcen der Kindermedizin zu entlasten“, sagte er unserer Zeitung. Ähnlich sieht man es im Klinikum Esslingen.

Bislang empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Instituts nur eine Immunisierung bei Kindern mit Vorerkrankungen. Das Problem sei die meist niedrige Wirksamkeit bei Kindern. Würden 90 Prozent geimpft werden, wäre trotzdem bei zwei von drei Kindern das Auftreten einer Influenza möglich.

Im Ausland erkranken weniger Kinder stark an Grippe und Co.

Die Fachgesellschaft DIVI verweist auf Studien aus dem Ausland: In Frankreich, Luxemburg, Spanien und den USA werde bereits seit Längerem eine Influenzaimpfung für Kinder empfohlen, verabreicht per Nasenspray. Zudem erhalten Säuglinge in diesen Ländern seit dieser Saison eine nur einmal notwendige passive Immunisierung mit einem neu zugelassenen Impfstoff gegen RSV. Dabei werden den Babys Antikörper gegen das RS-Virus gespritzt. „Aus Luxemburg und Spanien ist bekannt, dass in diesem Winter bei passiver RSV-Impfung von Neugeborenen und Säuglingen signifikant weniger Kinder in der Kinderklinik und auf einer Kinderintensivstation behandelt werden mussten“, heißt es in einer DIVI-Erklärung.

Allerdings kann ein solches Impfprogramm nur eine kurzfristige Lösung sein. „Für eine verbesserte Versorgungssicherheit wäre eine auskömmliche Finanzierung der Pädiatrie wichtig“, sagt Jürgensen. Das System werde seit Jahren kaputtgespart, dringende kinderchirurgische Eingriffe würden verschoben, Kinder müssten auf die benötigte Therapie warten. Ziel müsse sein, die hohen Vorhaltekosten von Kinderkliniken außerhalb des Fallpauschalen-Systems zu finanzieren.

Was tun, wenn das Kind krank ist?

Kinderarzt
Kranke Kinder sollten erst beim Kinder- und Jugendarzt vorstellig werden: Auch wenn die Kinder- und Jugendarztpraxen in der Hauptinfektionszeit stark ausgelastet sind, sind sie die erste Anlaufstelle, wenn Eltern eine ärztliche Begutachtung für notwendig erachten.

Notfallpraxis
In Stuttgart gibt es eine Notfallpraxis der niedergelassenen Kinder- und Jugendärzte (Noki) im Olgahospital des Klinikums Stuttgart, die wochentags abends und tagsüber auch am Wochenende erreichbar ist: abends 19 bis 22 Uhr und am Wochenende 9 bis 22 Uhr; Telefon 116 117.