Die Liebe zu Dora Diamant lässt den an Tuberkulose leidenden Franz Kafka aufblühen, bevor die Krankheit ihn dahinrafft. Die Romanverfilmung „Die Herrlichkeit des Lebens“ ist eine Melange zwischen romantischer Liebesgeschichte und Abschiedselegie.
Der Schriftsteller müht sich redlich, aber ohne Geschick, eine Kartoffel von ihrer Schale zu befreien. „Immer zum Körper hin und auf die Klinge schauen“, rät ihm die Köchin. Franz Kafka beim Kartoffelschälen – man kann sich den Autor von „Der Process“ und „Die Verwandlung“ nur schwerlich in den Niederungen des Alltäglichen vorstellen.
Genauso wenig kommt einem das Bild eines glücklichen Menschen in den Sinn. Denn der Mythos, der sich um den Autoren rankt, ist der eines Leidensmannes, der sich ganz und gar dem Schreiben widmete, früh an Tuberkulose erkrankte und den weltweiten Erfolg seiner Werke nicht mehr erlebte. Kafka stellt man sich reflexartig als kafkaeske Existenz vor, als Gregor Samsa, der auf dem Rücken liegend im Körperpanzer eines Ungeziefers aufwacht, oder als Angeklagter im Labyrinth einer surrealen Bürokratie. Die haptische Anschaulichkeit von Kafkas Erzählungen lassen Werk und Autor in der posthumen, öffentlichen Wahrnehmung auf besondere Weise miteinander verschmelzen.
Reise zurück ins Jahr 1923
In seinem 2011 veröffentlichten Roman „Die Herrlichkeit des Lebens“ setzte Michael Kumpfmüller diesem Mythos ein ganz anderes Bild entgegen, indem er Kafkas letztes Lebensjahr an der Seite seiner jungen Geliebten Dora Diamant ins Licht rückte. Nun bringt das Regieduo Georg Maas und Judith Kaufmann das von der Kritik gefeierte Buch auf die Kinoleinwand und reist mit seinem Film zurück in das Jahr 1923, in dem Kafka in Ostseebad Graal-Müritz Erholung sucht.
Die Tuberkulose schreitet voran, lässt das eigene Leben immer enger und den Tod unausweichlich erscheinen. Aber dann sieht er Dora (Henriette Confurius), die als Kinderbetreuerin und Köchin nebenan im jüdischen Volksheim arbeitet, und beginnt in seiner etwas umständlichen, aber aufrichtigen Art, um sie zu werben. Franz Kafka bewundert die Lebensenergie und den Mut der jungen Frau, die sich von ihrem orthodoxen Elternhaus in Polen gelöst hat und allein nach Berlin gezogen ist, während er sich noch fest im Klammergriff der Familie in Prag befindet.
Dora lässt sich ein auf die Beziehung mit dem Schriftsteller, der trotz seiner Krankheit in ihrer Gegenwart sichtlich aufblüht. Nach dem Sommer an der Ostsee beschließt Kafka, nach Berlin zu ziehen. „Das schaffst du nicht mit deinen 65 Kilo“ sagt die Schwester Elli (Daniela Golpashin), aber Franz lässt sich nicht abbringen. Auch nicht von seinem Vater, der ihm die finanziellen Zuwendungen streicht.
Die kleine, möblierte Wohnung in Berlin-Friedenau wird – vorbei an der strengen Vermieterin Frau Kasulke (Michaela Caspar) – für Franz und Dora zum Liebesnest. Zur eigenen Verwunderung kann Kafka, der bis dahin stets nur in vollkommener Stille und Abgeschiedenheit arbeiten konnte, trotz Doras Anwesenheit nachts schreiben. Aber der harte Berliner Winter und der Staub der Kohleöfen führen immer wieder zu starken Anfällen. Einen Arzt zu rufen, das kann sich das Paar nicht leisten. Die spärlichen Gelder, die vom Verkauf der Bücher aus Prag kommen, werden von der Inflation im Deutschland aufgefressen.
Das Klischee von Künstler und Muse wird nicht bedient
Kafkas Freund Max Brod (Manuel Rubey) kommt zu Besuch und drängt ihn, mehr Manuskripte für den Verleger freizugeben. Aber viele Entwürfe, mit denen Kafka nicht zufrieden ist, landen zerknüllt im Ofenfeuer. Schließlich ist seine gesundheitliche Situation in Berlin unhaltbar. Die Familie besorgt einen Platz in einem österreichischen Sanatorium, wohin später auch Dora reist, um die letzten Wochen und Monate mit dem Sterbenskranken zu verbringen.
Als Melange zwischen romantischer Liebesgeschichte und Abschiedselegie haben Kaufmann und Maas ihren Film angelegt. In den sonnendurchfluteten Bildern der sommerliche Ostsee blüht eine Liebe auf, die nur wenig mit dem Klischee von Künstler und Muse zu tun hat. Henriette Confurius porträtiert Dora Diamant als patente junge Frau, die sich selbst in ihrem Altruismus nicht verliert und als berufstätige Frau, Kommunistin und gläubige Jüdin auf eigenen Beinen steht.
Im zweiten Drittel wird der Film im Berliner Altbau zu einem Kammerspiel, über das sich zunehmend der Schatten des herannahenden Todes legt. Der feingliedrige Sabin Tambrea spielt den zwischen Liebesglück und Sterbensgewissheit schwankenden Kafka mit einer in sich ruhenden Fragilität und vermeidet jegliches Leidens-Overacting.
Unaufdringlich werden Verbindungen zu Kafkas Werken wie „Die Verwandlung“ oder „Brief an den Vater“ in die Handlung eingeflochten. Allerdings finden die Dialoge des Drehbuchautors Michael Gutmann keinen wirklichen Zugang zum Alltag des Liebespaares und verfallen punktuell ins Deklamatorische. In der visuellen Gestaltung löst sich Kamerafrau und Co-Regisseurin Kaufmann nur selten aus den Konventionen des Biopics, um die Emotionen der Figuren in poetische Bilder zu fassen.
Die Herrlichkeit des Lebens: Deutschland 2024, 98 Minuten. Regie: Georg Maas und Judith Kaufmann. Mit Henriette Confurius, Sabin Tambrea. Ab sechs Jahren.