Vorteil Metropolexpress: Die Schienentrasse existiert bereits. Allerdings müsste der Abschnitt zwischen Nagold und Hochdorf elektrifiziert werden. Foto: Fritsch

Für Nahverkehrsexperte Ulrich Grosse ist der Metropolexpress ab und bis Nagold "einfach genial".

Nagold - Zahlen liegen ihm einfach: Ulrich Grosse, Nahverkehrsberater. Weshalb er genau jetzt nach Nagold kommen musste. Um ein für alle mal klar zu machen: "Die Anbindung an den Metropolexpress (MEX) ist für Nagold alternativlos." Und zeigt Routen, Fahrzeitberechnungen. Und das ganz große Drumherum.

Grosse ist 1953 in Nagold geboren, hier aufgewachsen. Wikipedia sagt, er habe bereits ab 1972 – da war er gerade einmal 19 Jahre alt – seine Heimatstadt bei den Fahrplankonferenzen des Regionalverbands Nordschwarzwald und der IHK Nordschwarzwald vertreten. Grosse ist studierter Mathematiker und Physiker – die Zahlen eben. Er kennt alle Fahrpläne der Bahnen in Deutschland auswendig, kann den Nagolder Oberbürgermeister aus dem Stand beraten, wie der zu einem Termin am besten nach Hamburg und zurück käme, ohne viel Zeit zu verlieren.

Siehe auch: Ohne Umsteigen von Nagold bis nach Stuttgart

Aber deshalb hat der OB den (Zitat) "Lordsiegelbewahrer der Nagolder Nahverkehrsinteressen" heute nicht nach Nagold geholt. Wenn der OB etwas sagt zum Metropolexpress – dann sagt es der OB. Wenn Grosse was zum MEX sagt, dann sagt es die ultimative und von allen Seiten akzeptierte Autorität in Sachen Bahn-Konzepte. Der "seit über 40 Jahren" selbst und eigenhändig die verschiedensten Konzepte entwickelt hat, wie man Nagold am besten per Bahn direkt an die Region Stuttgart anbinden könnte. Nur ein Satz zur im Moment wieder mal diskutierten direkten S-Bahn-Anbindung über den Eisberg an Herrenberg: "Gut, aber viel zu teuer!" Und ökologisch seiner Meinung nach ein Wahnsinn.

Womit das lange Aufzählen all der vielen Vorteile des MEX (Grosse: "Die nun mal eindeutig bessere Alternative.") beginnt: Der MEX mit einem Stundentakt von Nagold nach Stuttgart und vor allem dem dortigen Flughafen kann in fünf bis sieben Jahren Realität werden – wenn der Ausbau rund um "Stuttgart 21" fertig und auch die Anbindung der Gäubahn modernisiert ist. Der MEX ist finanzierbar – weil dafür nur ein vergleichsweise kurzes Trassenstück von Nagold nach Eutingen elektrifiziert werden muss. Na ja, und die Schienen im – für einen zweigleisigen Ausbau bereits vorbereiteten – Tunnel Hochdorf müssten in dessen Mitte verlegt werden, um auch dort Elektrifizieren zu können; was aber kein Aufwand sei. Und der Bahnhof Nagold bräuchte ein zusätzliches Gleis, um an der Nagoldtalbahn vorbeizukommen.

Grosse: "Das wäre einfach nur Wahnsinn"

Aber alles wäre für ein Zehntel der Kosten jeder anderen Alternative zu bekommen. Weshalb der MEX für Nagold bei seiner Vorstellung, als er noch nicht mal MEX hieß (sondern "Anbindung an die Gäubahn"), schon seinerzeit als "einfach genial" in den Medien gefeiert worden sei. Weil – die vier Minuten mehr, die der MEX im Vergleich zum Beispiel zu einer S-Bahn über den Eisberg nach Stuttgart Hauptbahnhof braucht, irgendwie in keinem Verhältnis zu den Mehrkosten für diese vier Minuten Zeitgewinn stünden. Auch "das wäre einfach nur Wahnsinn". Zumal die Liste seiner Vorzüge ja noch viel weiter ginge.

Denn den MEX gibt es ja schon – er fährt im Halbstundentakt von Stuttgart bis Bondorf. Von da dann im Wechsel weiter nach Rottweil oder Freudenstadt. Der Freudenstädter MEX wiederum soll für die Nagold-Anbindung später lediglich dann in Nagold-Hochdorf (das schon heute an den MEX angeschlossen ist) geteilt werden – was extrem sinnvoll sein wird, so Grosse, weil "die halbe Bahn heute nach Freudenstadt ›nur Luft‹ transportiert. Seine volle Kapazität braucht der MEX aktuell für die Strecke Stuttgart-Bondorf. Vorteil für die Nagold-Anbindung: "Es braucht kein neues Fahrzeug", es ist alles schon da. Und würde die aktuellen Kapazitäten des MEX optimal auslasten.

"Der hält nicht wie eine S-Bahn an jeder Milchkanne"

Was Experte Grosse, der heute in Tübingen wohnt und selbst natürlich passionierter Bahn-Fahrer ist, aus eigenem Erleben besonders am MEX schätzt: "Der hält nicht wie eine S-Bahn an jeder Milchkanne." Sondern bindet, wie eben nur ein Express-Zug es kann, mit minimalen Haltepunkten die umliegenden Mittelzentren umstiegsfrei an die Landeshauptstadt und dessen Flughafen an. "Wer per S-Bahn von Nagold zum Flughafen wollte, müsste auch künftig umsteigen." Was die Fahrgastzahlen erfahrungsgemäß immer sinken lasse.

Und wir sind immer noch nicht am Ende der Argumente "pro MEX" angekommen – aber jetzt übernimmt OB Großmann: "S-Bahn würde auch bedeuten, dass wir als Stadt Nagold Mitglied im VVS werden müssten"; VVS, das ist der Verkehrsverbund Stuttgart. Was "einen Millionen-Betrag" als "Eintrittsgeld" kosten würde. Was der OB nicht ausspricht, weil er als OB "nichts gegen den VVS" hat: Die VVS und der zugehörige Verband Region Stuttgart haben in den letzten Jahrzehnten konsequent alle Regionen außerhalb ihres Gebiets bewusst "klein gehalten", um immer alle Wachstumsentwicklung allein auf die Metropole Stuttgart zu konzentrieren. Die Hesse-Bahn beispielsweise als Anbindung von Calw wurde jahrzehntelang aktiv boykottiert – bis der Landkreis den Ausbau selbst in die Hand nahm. Und dabei irgendwann mit dem politischen Paradigmenwechsel in der Landesverkehrspolitik die Landesregierung als Verbündeten gewann. Sehr oft "gegen" den VVS und die Region Stuttgart.

Die Planungen laufen

Für den MEX ist das Land der Träger – mit der DB Regio als Auftragnehmer des konkreten Bahnbetriebs. Für Nagold "ganz klar der bessere Partner", wie sich der OB letztlich doch entlocken lässt. Wer sehen will, was es andersherum bedeuten würde, könne sich ganz aktuell die Diskussionen rund um die Stadt Göppingen anschauen – die keinen MEX sondern die S-Bahn wollen.

Aber das allerwichtigste Argument für den MEX ab und bis Nagold: "Die Planungen laufen", sind vom Land finanziert. Sie werden noch im August, wie Nagolds ÖPNV-Beauftragter Christopher Knall zeigt, in einem "Finanzierungsvertrag" (der Planung) mit der DB Regio münden, die im Auftrag der Stadt Nagold die konkrete Ausführungsplanung durchführen wird. Das heiße ausdrücklich nicht, dass der MEX für Nagold auch wirklich verbindlich kommt – mahnt der OB zur Achtsamkeit. Aber wenn man eine fertige Planung haben wird, sei die Wahrscheinlichkeit "schon extrem groß", dass man später auch die Umsetzung (vom Bund und Land finanziert) bekommt. Weshalb es keinen Zweifel daran geben dürfe, "dass Nagold den MEX will". Weil es einfach die "genialste" und beste Lösung sei.

(ahk). Es gibt noch ein Argument, das für den MEX als Bahn-Anbindung Nagolds an die Region Stuttgart spricht: Die notwendige Elektrifizierung der Trasse von Hochdorf nach Nagold könnte später einmal auch ein "Türöffner“ für eine komplette Elektrifizierung der Nagoldtalbahn und eine ebenfalls umstiegsfreie Anbindung des Kreises Calw an die Region Karlsruhe sein. Aktuell sei das Nagoldtal "die letzte Diesel-Insel" in Nordbaden und dem Nordschwarzwald, so Bahn-Experte Ulrich Grosse. "Ansonsten sind hier alle Strecken elektrifiziert." Auch diese Zukunftsperspektive würde allein mit dem MEX ab/bis Nagold eine echte Chance bekommen.