AfD-Landtagsabgeordneter Klaus Dürr (rechts) begrüßte seinen Fraktionschef Jörg Meuthen (links) in der Alten Seminarturnhalle Nagold. Foto: Fritsch

Bundesvorsitzender weiß, was Anhänger bei Auftritt in Nagold hören wollen. Kritiker bleiben draußen.

Nagold - Jörg Meuthen, Bundesvorsitzender und Fraktionschef der AfD im baden-württembergischen Landtag, ist von Parteifreunden und Sympathisanten bei seinem Auftritt in der Nagolder Seminarturnhalle gefeiert worden. Potenzielle Kritiker wurden bei der Versammlung erst gar nicht eingelassen.

Die breitschultrig im Halleneingang stehenden Security-Leute waren für die Selektion zuständig. Wer ein AfD-Parteibuch bei sich trug, wurde durchgewunken. Ansonsten wurde selektiert. Zwar war die Veranstaltung, zu der Klaus Dürr, seit 100 Tagen AfD-Landtagsabgeordneter für den Kreis Calw, geladen hatte, öffentlich und damit für Interessierte zugänglich. Wer interessiert ist und wer nicht, entschieden indes die schwarz gewandten Sicherheitsleute mit gestrengem Blick: "Wir müssen nicht, wir können." Und rechtfertigen müsse man sich sowieso nicht.

Die Gruppe von jungen Antifa-Leuten, die sich – unabhängig von der SPD-Gegendemo um die Ecke – vor der Seminarturnhalle versammelt hatte und um Einlass bat, fiel bei dieser Gesichtskontrolle gleich durch und setzte sich trotzig auf die Hallentreppe: "voll gemütlich". Was wiederum die Polizei auf den Plan rief, die darin eine verbotene Gegendemonstration sah.

Während die Security lautstark zum "Strafantrag wegen Hausfriedensbruch" ausholte, beschwor der stellvertretende Nagolder Revierleiter Erhard Schulz mit einer Eselsgeduld die friedlich mit Musik wie in besten Hippiezeiten demonstrierenden Jugendlichen, ihre roten Fahnen herzugeben und sich zur Seite zu trollen.

Einer jungen Muslimin erging’s nicht besser. Irritiert drehten sich die Sicherheitsleute sofort hilfesuchend nach den Verantwortlichen um, als sie das Kopftuch der Frau wahrnahmen. Aber ihr selbst gemaltes Plakat "Hass für keinen. Liebe für alle" reichte, um ihr die Tür zu weisen – mit der geradezu poetischen Begründung: Liebe sei sowieso wie ein Schmetterling, "der fliegt gleich wieder weg."

Meuthen zieht alle Register

Drinnen im Saal erlebten währendessen nahezu 200 Zuhörer vornehmlich gesetzteren Alters einen – von einer kritischen Nachfrage abgesehen – weitgehend störungsfreien Abend.

AfD-Chef Meuthen, ein geschliffener Rhetoriker, zog in seiner über einstündigen Rede alle Register, gab sich mal als besorgter Patriot, dann als mitleidender Familienvater oder gar als einfühlsamer Psychologe. Die Sorgen der Bürger um die innere Sicherheit, um Überfremdung und den Wohlstandsverlust sind der Nährboden der AfD. Und Meuthen weiß diesen Nährboden zu düngen. Er wird in dem beschaulichen Nagold, das sich seiner niedrigen Kriminalitätsrate rühmt, das Bild eines Ohnmachtsstaates zeichnen mit "No-go-Areas", in die sich die Polizei nicht mehr reintraue und, von Beifall umbrandet, Gesetz und Ordnung einfordern. Meuthen glaubt zu wissen, was die "kleinen Bürger wie uns" umtreibt und erzählt die Geschichte, von der er erst dieser Tage in Minden erfahren hat. Eine 16-Jährige sei dort von einem 19-jährigen Asylbewerber vergewaltigt worden, sagt er und schiebt den Nachsatz hinterher: "Wir lesen das jeden Tag." Nun weiß gewiss auch Meuthen, dass nicht jeden Tag in Deutschland eine 16-Jährige von einem Fremden vergewaltigt wird, aber so bleibt der Satz unkommentiert im Raum stehen. Als alternativer Fakt.

Meuthen holt die große Keule raus und keilt gegen alle: gegen die Kanzlerin, die Deutschland zu einem "Refugee-Importweltmeister" gemacht habe und damit für den "Bevölkerungsaustausch" verantwortlich sei. Das sei freilich ein "böses Wort", befindet Meuthen, aber er sagt es, mit Bedacht. Wie alle seine Attacken immer eine Gratwanderung sind zwischen Polemik und Demagogie.

Am liebsten knöpft er sich den SPD-Chef Martin Schulz vor, für ihn ein "EU-Apparatschik und Möchtegernmessias". Der Satz von Schulz – "Was die Flüchtlinge uns bringen, ist wertvoller als Gold" – ist für Meuthen eine Steilvorlage. Wer so etwas sage, meint der AfD-Chef unter johlendem Beifall, habe "von dem aktuellen Goldkurs wenig Ahnung". Meuthens Rechnung ist Kalkül, wenn er sagt, jeder Flüchtling bringe dem Staat "80 000 Euro minus" ein. Und schiebt gleich hinterher, dass Flüchtlinge elfmal krimineller seien. "Fakten schwarz auf weiß", sagt er. Deutschland werde so abgeschafft, derweil der "Sozialismus durch die Hintertür" anklopfe.

Der AfD-Chef sieht sich überall von "linken Weltverschlechtern" umgeben, verschworen mit den "journalistischen Dummschwätzern aus dem politisch-medialen Komplex". Und die "geistigen Brandstifter" seien überall. Dazu zählt Meuthen auch die beiden großen Kirchen, die sich doch bittschön’ aus der Politik raushalten sollten.

Ja, die politische Korrektheit gehöre auf den Müllhaufen der Geschichte, pflichtet Meuthen in Nagold seiner neuen Co-Chefin Alice Weidel bei. Dass diese daraufhin von einem Journalisten als "Nazi-Schlampe" tituliert wurde, sei – sagt Meuthen sichtbar entrüstet – denn doch "abgrundtief schäbig." "Als ob sie "Nazis oder sowas" seien.

Merkel aus dem Kanzleramt zu holen, sei oberstes Ziel, schwört der Parteichef die Anhänger in Nagold ein. "2017 werden wir es nicht schaffen, aber 2021. Wir brauchen einen langen Atem. Aber es wird noch schlimmer werden, als es eh schon ist."

Man habe ja die sozialen Medien: "Wir wissen schon, was wir da tun."

Als Meuthen schließlich – "in tiefer Sorge um unsere Heimat, um unser Vaterland, um Deutschland" – für Unterstützung der AfD wirbt, applaudieren die meisten Zuschauer, teils stehend, ergriffen.

Die jungen Leute von heute, die in den Augen von Meuthen "unpolitischer sind als wir es waren", harren währendessen draußen vor der Seminarturnhalle zweieinhalb Stunden aus und boten sich den aus dem Saal strömenden Zuhörern engagiert für einen Diskurs über "Vielfalt und Toleranz" im Land an und hielten stumm das Plakat in die Höhe: "Nagold bleibt weltoffen."