Mentalcoach Ute Andrick hat in diesen Zeiten viele verängstigte Klienten. Foto: Andrick

Die Welt ist seit einem Jahr eine andere. Während manche in dieser Situation recht entspannt bleiben, nimmt es andere psychisch schwer mit. Mentalcoach Ute Andrick aus St. Georgen kennt einige solcher Menschen, die verzweifelt Hilfe bei ihr suchen.

St. Georgen - Die Folgen der Corona-Pandemie, sie sind auch psychischer Art – das zeichnet sich immer mehr ab. Ute Andrick kann davon ein Lied singen. Als Mentalcoach in der Bergstadt hat sie jede Menge Kontakt zu Menschen, die seit Beginn der Corona-Pandemie mental leiden.

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"Es gibt schon große Angstzustände", sagt Andrick. Sie berichtet von älteren Menschen, die sich davor fürchten, am Telefon offen zu reden – aus Angst, abgehört zu werden. "Das sind Traumata aus der Vergangenheit, die da hochkommen", sagt Andrick. Durch die strengen Corona-Regeln der Regierung würden diese getriggert.

"Es wird zu viel mit Angst regiert"

Andere ihrer Klienten trauten sich nicht mehr, aus dem Haus zu gehen. Auch das erlebe sie vor allem bei älteren Menschen. "Jüngere fassen das oft leichter auf. Aber bei den Älteren mit viel Lebenserfahrung kommt auch viel hoch – manchmal auch Wut und Zorn", sagt die Gesundheitsberaterin. Viele Menschen zögen sich zudem in Einsamkeit zurück. Das Problem dabei: Ihnen fehlten auch häufig die technischen Fähigkeiten, um mit Freunden und Familie wenigstens virtuell, etwa via Skype, Kontakt zu halten.

"Es wird zu viel mit Angst regiert", ist Andrick überzeugt. Das wirke sich auch auf die allgemeine Gesundheit aus: "Wenn Angst auf den Körper eingeht, dann geht auch das Immunsystem runter, die Seele leidet."

Die Gesundheitsberaterin, deren Kundschaft in ganz Baden-Württemberg verstreut ist, sieht aber auch regionale Unterschiede. "Hier im Schwarzwald sind die Leute noch ruhiger und gelassener", befindet sie. Auswärts sei die Verzweiflung unter ihren Klienten teils größer. "Manche rufen mich alle zwei bis drei Tage an", erzählt Andrick.

Jüngere Menschen haben andere Sorgen

Jüngere Menschen hätten derweil andere Sorgen: "Viele fürchten sich, ihre Arbeitsstelle zu verlieren", berichtet der Mentalcoach. "Was ist jetzt? Was kommt? Werde ich gekündigt?" Fragen wie diese verunsicherten viele. Manche nähmen es locker, manchen gehe es an die Substanz. "Das kommt auch auf die privaten Verhältnisse an", meint Andrick.

Für die Gesundheitsberaterin sind diese Befindlichkeiten nicht verwunderlich: "Man hört ja nur Negatives, es wird ausschließlich Angst verbreitet." Hier sieht sie auch die Medien in der Verantwortung: Statt nur über Todesfälle könnte man auch über Gesundungen berichten, findet Andrick. "Das heißt nicht, dass man das herunterspielt. Vielmehr solle man alles mit ruhigem Blick anschauen".

Einige ihrer Klienten kennt sie schon von früher. Manche meldeten sich, "um einfach mal mit jemandem sprechen zu können", um sich "zu erleichtern". "Ich versuche dann, den Leuten einen anderen Blickwinkel zu vermitteln", sagt Andrick.

Und was rät sie diesen Menschen? Spaziergänge in der Natur zu machen, die sozialen Kontakte über Telefon oder Skype weiterpflegen und "alles, was einem nicht gut tut, weglegen". Der wichtigste Rat sei hier: Die Zeitung beiseite schieben und den Fernseher auslassen. "Den Medienkonsum sollte man ganz stark herunterfahren, bis man wieder stabil ist", sagt Andrick. Das Motto sei hier: Positives tanken, bis man die Realität wieder ertragen könne. "Dann kann man irgendwann prüfen, ob man wieder davon hören oder lesen kann", erklärt der Mentalcoach.

Hilfreich könne auch ein Dankbarkeitstagebuch sein. Vor allem, "wenn man zu stark auf ein Problem fokussiert ist", erklärt Andrick. Hier sollte man sich täglich fragen: Wofür bin ich genau in diesem Moment dankbar? Die Antworten könnten dann lauten: Ich bin dankbar dafür, dass ich lebe, dass ich laufen kann, dass ich mich selbst versorgen kann, dass ich eine wunderbare Familie habe, so die Gesundheitsberaterin.

Lach-Yoga um auf andere Gedanken zu kommen

Ein probates Mittel, um die Hilfesuchenden wieder auf andere Gedanken zu bringen, ist Lach-Yoga. "Das praktizieren wir am Telefon, damit die Menschen mit ihren Gedanken einmal wieder ganz woanders hinkommen." Auf dem Programm stehen auch sogenannte Tanz-Therapien, welche ebenfalls via Telefon und Skype möglich sind. Hierbei mache man gemeinsam Körperübungen, lache zusammen. "Damit man sich wieder frei fühlen und einfach loslassen kann", erläutert Andrick. Es gelte, sich Lebensanker zu suchen, die Halt geben und glücklich machten.

Auch Meditationen und Atemübungen führe sie mit ihrer Kundschaft durch. "Man sollte sich Positivem widmen, um Kraft zu schöpfen", sagt Andrick. Das könne etwa das Anschauen von Bilderalben sein. "Ablenken und achtsam sein" laute hier die Devise. Wichtig sei auch: So viel wie möglich an die frische Luft gehen.

Ängstlichen Menschen rät sie dazu, sich Hilfe zu holen, "sich zu outen". Ob telefonisch oder persönlich – das sei egal. "Hauptsache, den Ruf rausgeben: Ich brauche Hilfe", sagt die Gesundheitsberaterin. Im Notfall könne man auch eine Telefonseelsorge anrufen.

Großer Risikofaktor für Herzkrankheiten

Dass dies wichtig ist, davon ist Andrick überzeugt. "Das Leben ist wie ein Mobile", meint sie. Wenn die Psyche leide, ließen auch körperliche Symptome nicht auf sich warten. "Das kann bis hin zu einem Erschöpfungszustand gehen und oftmals fehlt nur noch ein kleiner Schritt zum Burnout", warnt Andrick.

Diverse Studien deuteten zudem darauf hin, dass psychosozialer Stress ein großer Risikofaktor für Herzkrankheiten sei. "Wir gehen davon aus, dass die Herzinfarkte in etwa zehn Jahren stark zunehmen werden", erklärt die Gesundheitsberaterin. Denn einem Herzinfarkt gingen zehn bis 15 Jahre voraus, bis er in Erscheinung trete.

Aber: "Nicht jeder entwickelt angesichts der Anspannung zwingend ein Burnout-Syndrom", betont sie. Klassische Stresssymptome seien beispielsweise Aggressionen, Angstgefühle, innere Unruhe, Reizbarkeit und Schlafstörungen.

Andrick rät dazu, bei Bedarf rechtzeitig einen Arzt aufzusuchen und erklärt: "Die Grenzen zwischen den ganz normalen Belastungssymptomen und dem Beginn einer Depression oder eines Burnouts sind fließend und erfordern professionelles Fingerspitzengefühl."

Ein seelisches Gleichgewicht – das scheint gerade in diesen Zeiten von großer Bedeutung zu sein.