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Am Anfang und am Ende der Bopserwaldstraße ist Rauschen. Unten bleibt der stetige Verkehrsstrom der Hohenheimer Straße zurück, oben tauchen die Besucher in den rauschenden Wald ein.

Am Anfang und am Ende der Bopserwaldstraße ist Rauschen. Unten bleibt der stetige Verkehrsstrom der Hohenheimer Straße mit seinem stetigen Lärmschschleier zurück, oben tauchen die Besucher in den rauschenden Wald ein. Wer dann noch ein paar Meter weiter läuft, den holt der Verkehrslärm wieder ein. Durch einen Lüftungsschacht ist die 60 Meter tiefer im Fels fahrende Stadtbahn zu hören. Begleitet wird dieses Rauschen von einem Schwall verbrauchter und streng riechender Luft.

Doch nicht nur das Rauschen bildet eine Klammer für die in zwei weit geschwungenen Serpentinen aus dem Talkessel strebende Bopserwaldstraße. Einen Rahmen bilden auch zwei antike Klassiker. Unter steht, inzwischen fast zugewachsen und von einem zerfledderten Schutzdach überdeckt, die Statue des Herkules, die einst den Eingang zum Park der Villa Weißenburg bewachte. Ganz oben, am letzten Haus der Straße mit der Nummer 94, hält Annemarie Wolfarth einen anderen Klassiker in Ehren. Vor dem Haus ihres Großvaters, in dem sie von 81 Jahren geboren wurde, deklamiert die resolute Dame Homers Ilias. Auf Altgriechisch sprudeln die Worte. Die Frau betont jeden Vers mit einer Armbewegung. Sie will, so scheint es, nicht enden. Das Hölderlin-Gymnasium klingt nach.

1903 baute Matthias Fröhlich, der Großvater von Annemarie Wolfarth, am Ende der Bopserwaldstraße und direkt am Waldrand das Kurhaus Waldheim. Der ehemalige Kutscher in gräflichen Diensten hatte damit und als "Hotelier und Restaurateur" aufs richtige Pferd gesetzt. Die Stuttgarter Bürger strömten damals bei jeder Gelegenheit aus dem schlecht durchlüfteten Talkessel hinauf in Richtung des Höhenluftkurorts Degerloch. Hinaus in die Natur, hieß das Motto. "Die Reformbewegung war der Beginn der Wellness-Welle", sagt Annemarie Wolfarth. Und im Kurhaus Waldheim klingelte die Kasse.

"Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs waren es goldene Jahre", weiß die 81-Jährige von ihrem Vater Willy. Vor dem Haus stauten sich die Pferdefuhrwerke, wohlhabende Bürgerinnen vergnügten sich im Winter beim Schlittenfahren. "In unserem Haus war sogar eine Rotkreuzstation für die Verletzten." Bis in die 30er Jahre pilgerten Tausende Besucher hier vorbei auf ihrem Weg zum Freilichttheater im Wald, wo regelmäßig Werke von Schiller aufgeführt wurden.

Doch auch hoheitliche Glanz fiel auf das Kurhaus Waldheim. König Wilhelm II. von Württemberg spazierte vor dem Ersten Weltkrieg mit seinen Hunden regelmäßig auf der geschotterten Straße vorbei. "Mein Vater und Onkel Emil liefen als Kinder hinaus, machten einen Diener und grüßten den König", erzählt Annemarie Wolfarth. Und der grüßte zurück: "Guten Morgen, Buben."

Doch nicht nur für die Oberschicht war die Bopserwaldstraße ein beliebter Treffpunkt. Auch die Bauern und Bäuerinnen der Filderorte kam hier regelmäßig durch. Auf schweren Rückentragen transportierten sie Gemüse, Eier und Geflügel auf den Markt in der Stadt. Keine 50 Meter vom Kurhaus Waldheim konnten sie auf einer steinernen Ruhbank ohne Mühe ihre Last abstellen und sich am nahen Brunnen mit Quellwasser erfrischen. Dann ging es über steile Stäffele auf dem kürzesten Weg hinunter in den Stadtkessel. Manch eine Bauersfrau lud sich hier zuvor noch ein paar Tüten mit Scheuersand auf. Der Abbau des Stubensandstein durchlöcherte damals den Untergrund wie einen Schweizer Käse. Nach der Wiederentdeckung dieser geheimnisvollen Unterwelt durch Nachbarjungs Ende der 70er Jahre sind die Eingänge zur Höhlenwelt längst zugemauert.

Mit der Nahversorgung sieht es in der Bopserwaldstraße inzwischen mehr als schlecht aus. Bis in die 80er Jahre gab es noch ein "Lädle in einer Garasch"', der sogar telefonisch bestellte Waren ins Haus lieferte, erinnert sich Annemarie Wolfarth. Doch seither muss jede Brezel, jeder Apfel und jedes Ei mit dem Auto geholt oder angeschleppt werden. Auch der öffentliche Nahverkehr macht um die Bopserwaldstraße einen großen Bogen - wenn man von der Stadtbahntrasse im tiefen Untergrund absieht.

Eine schlechte Wohngegend ist die Straße deshalb aber nicht. Im Gegenteil. Die Bopserwaldstraße ist, das merkt man auf Schritt und Tritt, eine von Stuttgarts besten Wohnlagen. Hier residiert das Konsulat von Monaco, hier glänzen Firmenschilder von Rechtsanwälten, Treuhändern, Notaren, Architekten und Steuerberatern. Ansonsten wird Diskretion groß geschrieben. An fast jedem zweiten Haus klebt neben der schweren Metalltür das neugierige Plexiglasauge einer Kamera, auf den Klingelschildern stehen statt Namen nur Initialen. Aushilfspostbote sind hier auf verlorenem Posten.

Der Architekturmix entlang der Straße ist groß. Jugendstilvillen mit aufwendigen Sandsteinfresken, ein Haus im Schweizer Landhausstil mit verglaster Balkonfront, eine Fassade aus poliertem Travertin, dazwischen, in den Lücken, die von Luftminen gerissen wurden, schlichte Einfamilienhäuschen, die inzwischen aber zunehmend postmodernen Neubauten mit großen Fensterfronten weichen. Deren Architektur und ihr Blick über die Talkessel sind zum Teil so spektakulär, dass sie sogar als Filmkulisse dienen. Ein Tatort mit Kommissar Richy Müller hat die Adresse Bopserwaldstraße.

Friedlicher geht es auf der Straße selbst zu. Kein Durchgangsverkehr stört. Dafür strampeln die Radler auf ihrem Weg auf die Filderhöhen hier gern durch und kommen mit jedem Tritt der guten Waldluft näher. Hinter dem ehemaligen Kurhaus Waldheim, das unterm Efeu mehr und mehr verschwindet, umfängt sie der kühle Wald. Und das Rauschen der Blätter.