Der 32-Jährige soll sich Geld aus der Marktkasse genommen haben, deshalb musste er sich vor Gericht verantworten. (Symbolfoto) Foto: Warmuth

Prozess vor Amtsgericht Horb: Internes Chaos und Diebstahl kosten 32-Jährigen im Kreis Freudenstadt den Job.

Horb - Das war ein ganz spezieller Fall für Richter Albrecht Trick: Hat Alexander K. (32, Name geändert) das Chaos in einem Markt im Kreis Freudenstadt ausgenutzt und Geld in die eigene Tasche gesteckt? Oder hat das interne Chaos ihm den Job gekostet?

Der ungelernte 32-jährige Mann hat schon Markterfahrung. War als Verkäufer und Kassierer eingesetzt. Doch jetzt sitzt er auf der Anklagebank und weint: "Ich liege 18 Stunden im Bett. Ich habe eine Depression. Meine Beziehung ist kaputtgegangen. Meine Ex-Frau ist mit einem anderen Mann schwanger, Herr Richter!" Wirft die Brille hin und reibt sich die Augen.

"Überfordert von allen Seiten"

Doch was soll Alexander verbrochen haben? Die Staatsanwältin klagt ihn wegen eines "besonders schweren Fall des Diebstahls" an. Der Kassierer soll fünfmal in die Kasse gegriffen haben. Und mit fingierten Retouren insgesamt 638,90 Euro eingesteckt haben.

Stimmt das? Der Angeklagte: "Wir waren in diesem Zeitraum nur vier Mitarbeiter im Markt. Teilweise hatten wir 300 bis 400 Kunden. Ein Teil der Kollegen hatte Frühschicht, die anderen kamen später. Weil eine Kollegin davon noch eine chronische Krankheit hatte und länger nicht da war, war ich teilweise ganz allein. Du bist überfordert von allen Seiten! Kunden, die Beratung haben wollen. Kassieren. Regale auffüllen. Dazu hatten wir noch einen Paketshop – ich kann niemand raten, so einen Markt zu schmeißen!"

Stress führte zum "Retouren-Chaos"

Und das führte auch zum "Retouren-Chaos", so der Kassierer: "Eigentlich gilt bei Retouren das vier Augen-Prinzip. Du bereitest die Rückgabe im Kassen-Computer vor, dann rufst du einen Kollegen, und der muss mit seiner Karte oder PIN die Retoure freigeben. Ich habe dann jedes Mal den Namen der Kollegen gerufen und ›Retoure‹ – doch das hat nie funktioniert. Meine Kollegen haben mir deshalb – weil wir so knapp besetzt waren – ihre Karte einfach gegeben."

Dann der 18. Oktober 2019. Der Tag, an dem Alexander seinen Job verlor. Der Verkäufer und Kassierer: "Der Marktleiter knallte mir die Liste für den Marktcheck auf den Tisch, sagte: Alexander, ausführen. Die Chefin macht Druck. Ich bin wie ein Blöder durch den Markt gelaufen, habe die Regale sauber gemacht, die Paletten von den Notausgängen weggeräumt. Als letzter Punkt auf der Liste stand ›Bestandskontrolle". Das habe ich gecheckt. Bei den Autobatterien gab es zwei zuviel. Die einzige Möglichkeit, um das im System wieder gerade zu biegen – ich nehme die Batterien als Retoure raus. Nehme das Geld und bringe es dem Marktleiter."

Fristlose Kündigung

Der Angeklagte weiter: "Ich habe den Kollegen überall gesucht. Auf dem Klo, im Lager, im Markt. Und nicht gefunden. Deshalb habe ich das Geld in der Tasche behalten."

Kurze Zeit später ruft ihn der Marktleiter. Die Chefin ist am Telefon. Er reicht den Hörer weiter. Der Kassierer erzählt: "Sie sagte mir, ich hätte sie gerade beklaut. Sie beklauen mich seit Monaten." Der Marktleiter spricht ihm die fristlose Kündigung aus – er geht.

Folge war fristlose Kündigung

Was sagt die zuständige Geschäftsführerin? Heike T. (33): "In meinem Büro kann ich mit meinem Laptop alle Kassenvorgänge überprüfen. Mir ist aufgefallen, dass es an dem Tag eine Retoure für zwei Autobatterien gegeben hat. Als Rückgabegrund war Eigenbedarf des Marktes angegeben. Da wir aber dort keine Geräte haben, die Batterien brauchen, habe ich sofort den Marktleiter angerufen. Er holte mir Alexander ans Telefon. Er sprach leise, stotterte. Er sagte mir, ich müsse seine Situation verstehen. Er renoviert gerade zwei Häuser. Da wusste ich, was los ist. Ich habe ihm gesagt: Ich zeige dich nicht an, wenn Du mir das Geld zurückzahlst, was Du mir gestohlen hast. Und kündigte ihm sofort."

Dann recherchiert sie alle Retouren, die ihr komisch vorkamen. Wertet dazu die Videos aus. Ergebnis, so T.: "Immer war er allein an der Kasse. Ohne Kunde. Keine Ware ist zu sehen. Kurze Zeit später nimmt er das Geld raus."

Vier-Augen-Prinzip nicht immer eingehalten

Alexander hält dagegen: "Ich habe für meine Familie natürlich für den Hausbau Sachen gekauft. Mein Vater hat dann bei Sachen, die nicht funktionierten, mich angerufen. Ich habe ihm gesagt: Er soll die Waren ins Retourenregal hinten reinlegen. Die Tür ist immer offen. Die wurden dann später einsortiert. Wenn die Sägeblätter oder Bohrer die Eigenmarke waren, wurden sie gleich in die Tonne geworfen." Das bestätigt auch Alexanders Vater.

Stimmt das? Sowohl der aktuelle Marktleiter als auch sein Vorgänger bestätigen das "Retouren-Chaos". Und: Das Vier-Augen-Prinzip wurde nicht immer eingehalten. Der jetzige Markleiter: "Die Bestände kontrollieren – das ist Aufgabe des Marktleiters. Das stand auch auf der Checkliste deutlich. Als mich die Chefin damals angerufen hatte, bin ich auf Alexander an der Kasse zugegangen. Er war nervös. Ich bat ihn, die Kasse zu schließen. Er zog die Lade raus. Zog links das Handy aus der Tasche und legte 175 Euro auf die Lade. Sagte: Er weiß nicht, ob er einen Fehler gemacht hat. Er hätte das Geld wieder in die Kasse gelegt, wenn die nicht stimmt. Es wäre nicht aufgefallen, wenn er die Autobatterien nicht auf Eigenbedarf des Marktes abgeschrieben hätte."

Richter sieht Diebstahl

Dann ist die Beweisaufnahme rum. Alexanders Verteidigerin Rosetta Venturino-Weschenmoser: "Man muss die Gesamtsituation verstehen: Er hatte den Auftrag, den Marktcheck zu machen. In dem Stress wusste er nicht, was er machen sollte. Er hat in der Retoure der Batterien keine Straftat gesehen. Und die 175 Euro hat er sofort zurückgezahlt! Die angezweifelten Retouren vor diesem Zeitraum sind nicht nachgewiesen – da gibt es nur Lichtbilder."

Dann zieht sich Richter Trick kurz zum Urteil zurück. Verkündet es um 15.37 Uhr: Wegen der Tat am 18. Oktober ist Alexander des Diebstahls schuldig. Strafe: 30 Tagessätze à 10 Euro.

Richter Trick: "Ich habe kein Zweifel daran, dass die Tat am 18. Oktober nicht nur aus Versehen oder durch einen Fehler passiert ist. Das ist Quatsch. Sie haben versucht, 175 Euro in die eigene Tasche zu wirtschaften. Als Sie in Flagranti erwischt wurden, stotterten und stammelten sie vor sich hin. Da hat man Sie beim Klauen erwischt – kein Zweifel!"

In den ersten vier Fällen habe der Angeklagte vorschriftswidrig retourniert. Trick: "Es ist möglich, dass die Familie diese Waren gekauft und diese so zurückgegeben wurden!"