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Fleisch ist in Deutschland ein reines Massenprodukt – Die Verbraucher haben oft keine Wahl.

Stuttgart - Pünktlich zum Sommeranfang am 21. Juni 2007 knallten bei den Funktionären der deutschen Agrarwirtschaft die Korken. Gerade hatte der Bundestag nach mehr als eineinhalb Jahren harter Partei-Auseinandersetzungen etwas ziemlich Sperriges beschlossen: das Gesetz zur Reduzierung und Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren. Viermal beschäftigte sich allein das Parlament mit der trockenen Materie. Insgesamt elfmal widmete sich der Bundesrat dem Sachverhalt.

Am Ende stand fest: Die deutsche Agrarlobby hatte einen entscheidenden Erfolg errungen. Bei Genehmigung und Kontrolle großer Ställe und Mastanlagen für Nutztiere schaut der Staat seit damals nicht mehr so genau hin. Die Meldeprozeduren würden nun „erheblich entbürokratisiert“, jubelte der CDU-Abgeordnete Reinhard Grindel aus Niedersachsen, einem der Stammländer der deutschen Tiermast, damals. Das eröffne der Landwirtschaft neue Entwicklungsmöglichkeiten. Und die Landwirtschaftskammer Rheinland-Pfalz nahm erfreut zur Kenntnis, dass durch das „Ja“ der Parlamentarier die Kontrollvorschriften auf „europarechtliche Mindestanforderungen“ heruntergeschraubt worden seien. Staatliche Prüfer können seit damals frei nach Gusto entscheiden, ob sie die Stallungen der Bauern genauer unter die Lupe nehmen.

Das Gesetz stellte nur den vorerst letzten Mosaikstein in einer ganzen Reihe von rechtlichen Veränderungen dar, die im vergangenen Jahrzehnt die Grundlage für eine gänzlich andere Vieh- und Fleischwirtschaft in Deutschland geschaffen haben. Das Motto dabei: Weg von kleinen Höfen mit einer überschaubaren Anzahl von Tieren und hin zu großen, oft Tausende Schweine oder Rinder umfassenden Zucht-, Mast- und Schlachtzentren.

Steaks, Buletten, Würstchen und Schnitzel stammen heute immer öfter aus Riesenbetrieben

Bereits in den Vorjahren war dieser Trend durch laxere Vorschriften zur Düngung, Unterbringung der Tiere oder zur Herkunft des Futters eingeläutet worden.

„Damals wurde der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft viel Boden entzogen, und die Industrie hielt endgültig Einzug ins Fleischgeschäft“, sagt Reinhild Benning, Leiterin Agrarpolitik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Steaks, Buletten, Würstchen und Schnitzel stammen heute immer öfter aus Riesenbetrieben, die in den Hochburgen der deutschen Fleischwirtschaft vor allem in Nord- und Ostdeutschland erzeugt werden.

Das war einmal anders. Bis in die 1990er Jahre hinein war das Geschäft der Züchter, Mäster und Schlachter noch ziemlich kleinteilig organisiert. Zwar waren die traditionellen Metzger schon damals auf dem Rückzug, kleinere Schlachthöfe gab es aber noch zuhauf. Diese wurden regional von Bauern beliefert, die wiederum ihre Ferkel oder Kälber auf dem eigenen Hof großzogen oder von Züchtern im nähren Radius erhielten. Der Nachteil des Systems: Man produzierte zu relativ hohen Kosten. Die Konkurrenz aus dem Ausland hatte im extrem preissensiblen Discounter-Geschäft oft die Nase vorn.

Milliardensubventionen flossen in die industrielle Fleischerzeugung und in Exportbeihilfen

Als Folge gerieten die hiesigen Verarbeitungsbetriebe ins Abseits. Als dann auch noch BSE und Gammelfleisch über die deutsche Fleischwirtschaft hereinbrachen, war die „depressive Branchenstimmung“, wie Marktbeobachter die damalige Lage beschreiben, komplett.

In ganz Deutschland machten Fleischunternehmen pleite oder wurden von ausländischen Wettbewerbern übernommen. Die Politik sollte es richten – und blieb nicht untätig. Lästiger Gesetzes-Ballast, der als Bremse beim Aufbau größerer Agrar-Einheiten wirkte, wurde über Bord geworfen. Zudem flossen Milliardensubventionen in die industrielle Fleischerzeugung und in Exportbeihilfen. Als Folge formierte sich die Branche neu.

Die drei größten Schlachter töten Hälfte aller deutschen Schweine

„Heute ist die deutsche Fleischwirtschaft durchaus wettbewerbsfähig“, sagt Achim Spiller, Agrarexperte an der Universität Göttingen. Die Zahl der Unternehmen sei aber deutlich zurückgegangen. Allein die drei größten Schweine-Schlachter – Tönnies, Vion und Westfleisch – töten mittlerweile die Hälfte aller deutschen Schweine. In den zehn größten Betrieben springen 75 Prozent aller Tiere über die Klinge. Tönnies – der Branchenprimus der deutschen Schweineschlachtung – macht allein einem Viertel der Sauen den Garaus. Wiesenhof und Rothkötter haben im schnell wachsenden Geflügelmarkt eine ähnliche Stellung.

Und der Konzentrationsprozess geht weiter. Ende 2010 griff sich Europas größter Schweineschlachter Danish Crown die damalige Nummer vier in Deutschland – D&S Fleisch aus Oldenburg – und investiert seither kräftig. Der niederländische Schlachtkonzern Vion, der mittlerweile vor allem in Süddeutschland verankert ist, ging jahrelang ebenfalls auf Einkaufstour und verleibte sich Branchengrößen wie Moksel oder Südfleisch ein.

Angezogen wurden die Fleisch-Multis durch den politisch gewollten Richtungswechsel, der Großbetrieben immense Entfaltungsmöglichkeiten bot. Zudem lockten Billiglöhne die Multis ins Land. Untersuchungen zufolge arbeiten nur zehn Prozent des Schlachthauspersonals zu Tarifkonditionen. Der Rest sind Billigarbeitskräfte. Nirgends sonst in Europa finden die Agrarkonzerne so günstige Produktionsbedingungen. „Was die Löhne angeht, ist Deutschland das China der Fleischproduktion“, sagt Benning.

Die plötzliche Attraktivität des deutschen Fleischgeschäfts hatte aber auch Nachteile. Überkapazitäten schmälern heute überall die Gewinnspannen. Spiller schätzt, dass für einen Schlachthof von hundert Euro Umsatz nur ein Euro Gewinn bleibt. „Das ist ein Massenmarkt“, sagt der Agrarökonom. Nur wer Millionen Tiere schlachte, könne ökonomisch überleben.

Die anfängliche Euphorie der Bauern über die neuen Partner im Schlachtgeschäft ist denn mittlerweile auch verflogen. Die wenigen verbliebenen Schlachtkonzerne haben die Landwirte zusehends in der Hand. Über sogenannte Hauspreise – eine Art Zwangspreis für jedes Schlachttier – haben sie die traditionelle im Konsens erzielte Preisfindung abgelöst. Zulasten der Landwirte. An einem Schwein, das etwa 100 Tage gemästet werden muss, verdient ein kleiner Landwirtschaftsbetrieb normalerweise noch zwischen sechs und zehn Euro. Im Moment legt er sogar drauf. Rentabel wird das Geschäft allenfalls durch industrielle Mast, mit noch mehr Schlachtvieh.

Und so dreht sich das Rad immer weiter. Die Schlachtzahlen im klar dominierenden Schweinemarkt werden immer höher, die Gewinnspannen aber schmelzen zusammen. Längst ist Deutschland bei Rind, Schwein und Hähnchen nicht mehr nur Selbstversorger, sondern exportiert, um seine Überschüsse loszuwerden. „Die Krisenanfälligkeit des Systems steigt“, konstatiert Benning.

Und die Tiere? Über die Auswirkungen des Systemwechsels in der Fleischwirtschaft wird hart gestritten. Während Tier- und Umweltaktivisten sich stetig verschlechternde Zustände beklagen und immer wieder Missstände in einzelnen Betrieben zutage fördern, sehen andere Fachleute eher Vorteile. Ihr Argument: Wenige, große Schlachtereien können besser überwacht werden als viele kleine. Fachmann Spiller hält sich mit einer Meinung zurück: Ob Großbetriebe eher positiv oder eher negativ auf das Wohl der Tiere wirken, sei eine der offenen Flanken der Wissenschaft. „Das ist einfach noch nicht gut genug untersucht.“