Denis Scheck mit seinem Lebenselixier im Rücken: Literatur Foto: Szymanski

Einen Kritikerpapst kann es nach Marcel Reich-Ranicki wohl nicht mehr geben, aber mit Denis Scheck hat der derzeit wohl namhafteste Vertreter der Zunft seine Visitenkarte bei den Albstädter Literaturtagen abgegeben.

Albstadt-Ebingen - Denis Scheck lächelt, zieht gelegentlich die Augenbrauen hoch, hebt kaum die Stimme, selbst bei Sottisen gegen Schriftsteller, vor deren Werken er warnt. Etwa denen von Sebastian Fitzek: "Die fügen dem Gehirn einen irreparablen Schaden zu." Die Zuhörer in der Ebinger Festhalle reagieren amüsiert.

Denis Scheck ist Übersetzer, Kochbuchschreiber und Moderator von TV-Sendungen wie "Druckfrisch" und "Lesenswert" – vor allem aber ist er bekennender "Handlungsreisender in Sachen Literatur". Und bekennender Schwabe, mithin fleißig: Er liest drei oder vier Bücher pro Woche und ist 180 Tage im Jahr im Land unterwegs, meistens im Zug. Und in Sachen Literatur, die seit seinen Jugendtagen sein große Leidenschaft, wenn nicht Obsession ist.

"Ein frivoles Unternehmen"

Die Literaturtage Albstadt sind ihm nicht unvertraut; er war schon einmal zu Gast; drei Jahre ist das her. Genau wie damals liest der ingeniöse, freundliche, dabei aber stets zur Provokation bis an die Schmerzgrenze aufgelegte Scheck aus dem vor zwei Jahren erschienen Nachlagewerk "Schecks Kanon", seiner 456 Seiten starken Kompilation der 100 Werke, die er für die wichtigsten der Weltliteratur hält. Zwei Jahre Zeit hatte er sich seinerzeit genommen, um die Auswahl zu treffen – ein durchaus "frivoles" Unternehmen, wie das Vorwort konzediert.

Heute wäre die "Blechtrommel" dabei

Hat er die richtigen Entscheidungen getroffen? Das wollte ein Zuhörer in der kurzen Fragerunde wissen. "Ich würde heute Günter Grass‘ ›Blechtrommel" mit hineinnehmen – und Martin Walser auch." Die bedeutendsten Autoren scheinen indes vertreten zu sein; Denis Scheck schlägt jeden Abend ein anderes Kapitel auf. In Albstadt waren es unter anderem die über Werke von Hemingway, Kafka, Jane Austen – und Robert Gernhardt, den nur Ahnungslose als humoristisches Leichtgewicht abtun werden und von dem – unter anderem – der ermutigende Vers "Ums Buch ist mir nicht bange./ Das Buch hält sich noch lange" stammt.

35 Millionen lesen nicht

Sieht Denis Schenk das auch so? Seine Argumente dafür, Bücher zu lesen, sind gleichermaßen komisch und eindringlich – und ganz bestimmt unwiderlegbar. Lesend bannt der Mensch seine Todesangst bannen, lesend therapiert er seinen Narzissmus, lesend entschleunigt er das Leben. Und lesend nimmt er eine Auszeit vom Alltag – ganz klar, sagt Denis Scheck, Literatur sei eskapistisch, auch wenn das hierzulande nicht alle wahrhaben wollten. 35 Millionen Deutsche gönnen sich diese Auszeit nicht. "Nicht lesen ist wie sich nicht waschen", kommentiert Scheck dieses Faktum. "Mit beidem komme ich nicht zurecht."

Von Astrid Lindgren bis Hypatia

Themenwechsel: Gibt es noch immer zu wenig Frauen im Literaturbetrieb? Scheck bejaht und bekennt, das er das nicht gut finde – und doch gebe es Werke von Autorinnen, die man nicht gelesen habe müsse, beispielsweise "Transit" von Anna Seghers. An anderen führe kein Weg vorbei: "Kafkas Tagebücher oder Samuel Becketts ›Warten auf Godot‹ können die ganze Weltsicht verändern." Gleichwohl räumt Scheck ein, dass das Kanon-Spiel "eine sehr heikle Angelegenheit" sei und dass manche Entscheidung geeignet ist Widerspruch zu provozieren. Gehören Astrid Lindgrens "Karlsson vom Dach", Joanne K. Rowlings "Harry Potter" oder J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe" zum Kanon? Ja, sagt Schecks, und lässt seine Auswahl mit Lindgren beginnen und mit der antiken Philosophin Hypatia aus Alexandria enden. Sie nahm es sich im vierten Jahrhundert heraus, wissenschaftliche Erkenntnisse zur Mathematik und Astronomie zu verbreiten und wurde dafür von frommen, christlichen Männern gelyncht. "Hypatia steht für alle anderen Autorinnen, die es nicht in den Kanon geschafft haben."

Kontrastprogramm Socken

Zwei Dinge sind zum Schluss noch zu klären: Kochbuch und Socken. Lesen und Schreiben, sagt Scheck, seien eher unsinnliche Tätigkeiten; er kompensiere das mit Kochen – "Schecks kulinarischer Kompass" heißt das einschlägige Werk. Und die ungleichen und oft ziemlich farbenfrohen Socken? Sie sind Schecks Markenzeichen und das Kontrastprogramm zum meist bürograuen Anzug; er bezieht sie von einer italienischen Firma. Auf seinen Reisen provoziert er damit immer wieder Diskussionen – darüber könnte er doch mal selbst eine Kurzgeschichte schreiben. Wie wär’s?