Lange mussten die Journalisten auf Guido Westerwell warten. Er wollte sichergehen, dass nicht alles noch viel schlimmer kommt. Foto: dpa

Grüne im Kretschmann-Glück - Getrübte Freude bei der SPD - Rückschlag für die Linke im Westen.

Berlin - Jetzt ist der historische Machtwechsel mit Winfried Kretschmann als erstem grünem Ministerpräsidenten da. Die Öko-Partei ist im Glück und feiert sich in Berlin. Und Guido Westerwelle? Noch bevor der Wahlabend so richtig beginnt, macht der FDP-Chef klar: Weichen will er nicht. Offen ist, ob das gelingt.

FDP

Regungslos, absolut regungslos sind die überwiegend jungen Liberalen, als die Hiobsbotschaften aus dem Südwesten und Rheinland-Pfalz um 18 Uhr über die Bildschirme in der FDP-Bundeszentrale gehen. Im Südwesten wurde das vorherige FDP-Ergebnis mehr als halbiert, in Rheinland-Pfalz sind die Liberalen aus dem Landtag geflogen, im Laufe des Abends stabilisiert sie sich weiter als außerparlamentarische Kraft. Den Anhängern ist binnen Minuten klar, dass die FDP der große Verlierer des Abends ist.

Und jetzt? Einer hat es ganz eilig: Schon eine halbe Stunde vor Schließung der Wahllokale - also bevor das Desaster auch nur publik ist - lässt die Parteispitze per Nachrichtenagentur mitteilen, dass ein Rücktritt von Guido Westerwelle an diesem Abend "unter keinen Umständen" zu erwarten ist. Sein Vize, Rainer Brüderle, meldet sich auch ganz schnell zu Wort. Schon um 18.10 Uhr und mit Leichenmiene. Auf die Journalisten-Frage, ob er Verantwortung übernehme für die Schlappe, legt er sich nicht fest. Er sagt, man müsse jetzt erst analysieren, und dann gelte es zu entscheiden. Er lässt offen, ob er später zurücktritt, Verantwortung übernimmt auch für die letzte atmosphärische Störung des Wahlkampfes, als per Protokoll des Industrieverbands BDI öffentlich wird, dass selbst er die Energiewende der Schwarz-Gelben nicht mit rationalen Motiven erklären kann. Westerwelle zögert lange, bis er herunterkommt und vor den Kameras zu seinen Anhängern spricht. Er will sichergehen, dass nicht alles noch viel schlimmer kommt und womöglich im Südwesten auch noch der Einzug ins Parlament verpatzt wurde. Als er dann kommt, eingerahmt von der Parteispitze, sagt er: "Selbstverständlich wird dieser Wahlabend an keinem Liberalen spurlos vorübergehen."

Westerwelle weiß: Sein Glück in der katastrophalen Lage ist der Brüderle-Patzer. Sein Stellvertreter hätte ihn womöglich beerben wollen, wenn die Liberalen ihren Chef davongejagt hätten. Weil Brüderle jetzt selbst in den Seilen hängt, braucht er von ihm keinen Tiefschlag mehr zu fürchten. Glaubt Westerwelle jedenfalls. "Allen ist klar, dass Montag im Parteivorstand hart mit so manchem ins Gericht gegangen wird, und zwar nicht nur mit Brüderle", sagt ein hochrangiger Liberaler am Sonntagabend.

Angezählt ist seit den verheerenden Landtagswahlergebnissen nicht nur der Mainzer FDP-Chef, auch die Südwest-FDP-Vorsitzende mit bundespolitischem Engagement ist unter Druck: Birgit Homburger. Sie muss im liberalen Stammland ein extrem schlechtes Ergebnis verantworten. Westerwelle hat also jede Menge Sündenböcke, wenn Köpfe rollen sollten.

Dass sie schnell rollen, ist zunächst einmal unwahrscheinlich. In fünf Wochen haben die Liberalen ihren Bundesparteitag in Rostock. Dass dabei die Karten der Führungsriege neu gemischt werden, deutete Generalsekretär Christian Lindner gestern Abend im TV bereits an: "Unter der Führung Guido Westerwelles wird es personelle Veränderungen geben." Zwei Nachwuchskräfte, die seit längerem parteiintern aufsteigen wollen, sollen sich gestern schon einmal unter vier Augen getroffen haben: Philipp Rösler, Chef der Niedersachsen-FDP, und Daniel Bahr, Chef der NRW-FDP. Sie werden erste Absprachen über die Zukunft der FDP getroffen haben. An ihnen läuft nichts mehr vorbei.

Grüne

Als die Mikrofone aus sind und Claudia Roth von der Bühne steigt, schlägt sich die Grünen-Chefin mit der flachen Hand aufs atemwogende Dekollete, schüttelt ungläubig den Kopf und schickt einen Stoßseufzer gen Himmel: "Mein Gott!" Es hat sie Nerven gekostet, das Bangen und Hoffen, ob "meine Schwaben den Paradigmenwechsel schaffen". Erwartungsgemäß dagegen ist das Ergebnis aus Rheinland-Pfalz, wo sich Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) nur mit den Grünen an der Macht halten kann.

An Roths Halskette baumelt ein großes grünes Herz nahe der Anti-Atomkraft-Nadel am Jackenrevers. Hinter ihr nähert sich Fraktionschef Jürgen Trittin, der sich mit dem Grünen Ampelmännchen im Knopfloch dekoriert hat. Und die Spitzenkandidatin für das Berliner Bürgermeisteramt, Renate Künast, irrlichtert zwischen den beiden Parteifreunden herum und mag sich gar nicht trennen von dem Jubelplakat, welches ihr angetragen wurde. Auf dem steht: "BaWü, Rheinland-Pfalz - Berlin." Jetzt fehlt also nur noch der Künast'sche Wahlsieg bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl im September. 

Aber was heißt schon fehlen, an diesem Abend, wo so viel erreicht scheint. Den Machtwechsel in Stuttgart feiert die Grünen-Bundeszentrale als Politikwechsel: "Endlich kann auch in Baden-Württemberg die Zukunft beginnen", ruft Roth, "nach Fünf, Acht - nach 58 Jahren CDU!" Und dann dieser "Kretsch", wie sie Winfried Kretschmann hier nennen: "Kretsch wird der erste grüne Ministerpräsident, ich fass' es nicht", sagt Künast grienend. Sie weiß sehr wohl, wie sie Kretsch hier in Berlin oft belächelt haben wegen seiner Langmut und seiner irgendwie doch so ungrünen schwäbischen Biederkeit. Tempi passati. Der 62-Jährige ist der Superstar des Abends; egal wie knapp das Ergebnis ausfällt.

Kann die Bundespartei also doch was vom Sigmaringer Ethiklehrer lernen? "Wir werden ihn schon stärker in die Bundespartei einbinden", deutet Roth an. "Kretsch hat einen Politikstil, den kann keiner kopieren", sagt Künast, die quirlige, forsche, ungeduldige - der gewissermaßen weibliche Anti-Kretsch. Ob Künast im Berlin-Wahlkampf derart stark polarisieren wird wie ihr Parteifreund in Baden-Württemberg? "In Berlin zählen Jobs und die Wirtschaft", weiß sie: "Wir müssen angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und der Verschuldung der öffentlichen Haushalte gute Konzepte vorlegen. Polarisieren werden wir hier nur über die Haltung zur Atomfrage." Polen will nur 100 Kilometer von der Berliner Stadtgrenze entfernt einen Atommeiler bauen. "Wir wissen, dass das Thema hier in der Stadt hochkochen wird und wir zeigen müssen, dass nicht nur die Grünen eine Anti-Atom-Partei sind", sagt der alte Parteihaudegen und Ex-Generalsekretär Klaus-Uwe Benneter.

Große Enttäuschung bei der Linken

SPD
 

Die SPD freilich ahnt, was auf sie in der kommenden Auseinandersetzung mit den immer stärker werdenden Grünen zukommt. Klar sind sie hier im Willy-Brandt-Haus enttäuscht über das schlechte Wahlergebnis von Nils Schmid in Stuttgart. Lange hatten sie den jungen Genossen politisch nicht ernsthaft auf dem Schirm. Je näher der Wahltermin rückte, umso strategischer boten sie ihm jede Unterstützung an - erst recht, als klar war, dass er an der Seite des Grünen Kretschmann das neue, junge Gesicht der SPD in der neuen, jungen baden-württembergischen Regierung sein würde. Dem dagegen alten Fahrensmann der Mainzer Sozialdemokratie zollen sie im Berliner Willy-Brandt-Haus gebotenen Respekt, obwohl Kurt Beck die absolute Mehrheit verlor. "Aber er bleibt, und darüber freuen wir uns", sagt Parteichef Sigmar Gabriel, der sich immer um ein gutes Verhältnis zu Beck bemüht - seit der Pfälzer vor mehr als einem Jahr von der Parteispitze geputscht worden war. "Wir haben unsere drei Wahlziele erreicht", sagt Gabriel am Ende eines langen Wahltags: "Die Südwest-CDU in die Opposition geschickt, an der Seite der Grünen den Einstieg in die Regierung geschafft und die Linkspartei in Rheinland-Pfalz rausgeworfen."

Linke

Große Enttäuschung bei der Linken: Aus dem Einzug in die Parlamente von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wird nun erst einmal nichts. Bei den Landtagswahlen scheitert die Partei jeweils klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Für die Linke, die 2007 aus der Fusion von PDS sowie Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit hervorging, ist dies ein Rückschlag bei der Etablierung im Westen. Bundesgeschäftsführerin Caren Lay räumt ein: "Wir haben unsere Wahlziele nicht erreicht." Möglicherweise flammen nun innerparteiliche Konflikte bei der Linken wieder stärker auf. Bislang war das Wahljahr 2011 für die Linke relativ gut gelaufen.

Zum Jahreswechsel haben die umstrittenen Kommunismus-Äußerungen von Parteichefin Gesine Lötzsch für Wirbel gesorgt. Auch ihr Co-Vorsitzender Klaus Ernst stand wiederholt in der innerparteilichen Kritik. Doch trotz dieser hausgemachten Probleme klappte im Februar der angestrebte Wiedereinzug in die Hamburger Bürgerschaft - die Erleichterung darüber war vielen Linken anzumerken. In Sachsen-Anhalt verlor die Partei am 20. März zwar im Vergleich zur Landtagswahl vor fünf Jahren leicht an Stimmen, kam aber immer noch auf 23,7 Prozent.

Im Osten ist die Partei schon lange eine ernstzunehmende Größe, im Westen aber eher eine politische Randerscheinung. Hätte ein Einzug in die Parlamente von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg geklappt, hätte der Linken auf ihrer politischen Landkarte nur noch der Landtag von Bayern gefehlt. Wahrscheinlich tritt in der Partei nun auch wieder die Debatte über die Frage, ob mit Lötzsch und Ernst die richtigen Leute am Steuer sind, deutlicher zutage.