Ein forensische Psychiater hat den Angeklagten im Geiselnahme-Prozess genau unter die Lupe genommen. Dem Gericht spricht er eine klare Empfehlung aus.
Die Prognose ist düster, das Rückfall-Risiko extrem hoch, und eine Entzugstherapie kaum erfolgversprechend: In dem Prozess wegen Geiselnahme und Körperverletzung vor der Großen Strafkammer des Hechinger Landgerichts hat am Donnerstag der forensische Psychiater sein Gutachten vorgetragen.
Zudem wurde eine der beiden Ex-Partnerinnen, mit denen der 35-jährige Angeklagte eine Dreiecksbeziehung hatte, per Video aus Duisburg zugeschaltet.
Bild einer traurigen Kindheit
Aus den Schilderungen des Angeklagten, der bereitwillig Angaben zu seiner Person machte, ergab sich das Bild einer traurigen Kindheit: Geboren in Santiago de Chile, seit der Geburt in einem Kinderheim, im Alter von sechs Jahren zusammen mit seiner Schwester, die er erst dann kennenlernte, von einer wohlhabenden deutschen Familie adoptiert.
Es hätte alles gut werden können, aber das wurde es nicht: Die Kindheit „als Ausländer in einem schwäbischen Dorf“ schildert er als „die Hölle“. Er wurde demnach gemobbt, begann sich zu prügeln, besuchte die Grundschule nur drei Jahre lang, wurde dann wegen Auffälligkeiten ins Heim gebracht, wo er auch wieder rausflog – er verließ die Förderschule ohne Abschluss.
Früher Kontakt mit Drogen
Mit 13 begann der Angeklagte laut seinen Angaben, Drogen zu nehmen, erst Gras, dann Stärkeres. Unter Drogen habe er sich stark gefühlt, habe keine Angst mehr gehabt, sei ein „anderer Mensch“ gewesen. Er arbeitete als Türsteher, wurde wiederholt straffällig, kam immer wieder vor Gericht. Und er kam in schlechte Gesellschaft, wurde Mitglied beim MC Cobra, erledigte mit 15 „kleine Sachen“ für den Club, stieg allmählich auf.
Nach der Haft, sagt der 35-Jährige, habe er nicht mehr zu den Rockern zurückgehen wollen. Sie hätten ihn bedroht, ihn mit einem Messer verletzt. Er habe Schutz gesucht bei anderen Clubs, zuletzt bei den „Criminals“. Verletzungen habe er viele, von Messern, einer Bierflasche gegen den Kopf, Schlägereien. Er selbst sei der „Petro“. Der „Peter“, das sei nicht er, sondern der, der die „schlimmen Sachen“ gemacht habe. Und der „Loco“, das sei der Rocker gewesen.
Woher kommt der Revolver?
Die 20-jährige Ex-Partnerin, mit der der Angeklagte laut eigenen Aussagen in Santiago de Chile einen Neuanfang versuchen wollte, bestätigte dies per Video-Vernehmung. Sie bestätigte auch den Vorfall im Keller des Hauses in Balingen.
Laut Anklage hatte der 35-Jährige dort einen 17-Jährigen festgehalten, drangsaliert, gewürgt, mit einem Revolver und einem Skalpell bedroht, bis jener versprach, „alles“ zu tun, was sein Peiniger von ihm verlangte. Das, sagte die Zeugin, habe sie nicht gesehen. Sie sei oben gewesen, bei dem Kumpel ihres Partners. Der Revolver in ihrer Tasche? Sie wisse nicht, wem er gehörte.
Psychiater empfiehlt Sicherungsverwahrung
Eine Entwicklungsstörung bescheinigt der forensische Psychiater, eine Störung des Sozialverhaltens, eine Intelligenzminderung, aber „keine Debilität“.
Dazu aber eine Persönlichkeitsstörung, kombiniert mit Polytoxikomanie, eine „paranoid-halluzinatorische Psychose“, er habe Stimmen gehört, Menschen gesehen, die gar nicht dort waren.
Schwer zu sagen, ob das, was er schilderte, tatsächlich so war – oder ob es nur in seinem Kopf so war. Das, was er getan habe, sei aber „eher normal psychologisch als psychotisch“. Der Beschuldigte sei eindeutig in der Lage gewesen, zu beurteilen, was er tat: „Die Steuerungsfähigkeit war gegeben.“ Sicherungsverwahrung sei zu empfehlen.
Die Verhandlung wird am Montag, 6. November, um 9 Uhr fortgesetzt. An diesem Tag soll auch das Urteil gesprochen werden.