Auch im Kreis Calw ist das Wohl vieler Kinder gefährdet (Symbolfoto). Foto: Vennenbernd

Mögliche Kindswohlgefährdungen ganz bewusst auf die Tagesordnung genommen. Auch im Kreis gibt es schockierende Fälle.

Calw - Drei Jahre alt ist er geworden. Im Januar starb der kleine Alessio aus Kappel bei Lenzkirch. Wahrscheinlich wurde er von seinem Stiefvater zu Tode geprügelt. Ein Fall, der auch im Calwer Landratsamt Anlass zur Selbstprüfung gab.

Seit dem Tod des Jungen muss sich besonders das zuständige Jugendamt im Hochschwarzwald unangenehme Fragen und Kritik gefallen lassen. Der Calwer Landrat Helmut Riegger nahm in der jüngsten Sitzung des Jugendhilfeausschusses die Kollegen in Schutz: Man müsse darauf achten, dass nicht Menschen zu Tätern gemacht würden, "die das Beste für die Familien versuchen". Die "Vorgehensweise bei möglichen Kindswohlgefährdungen" habe man deshalb ganz bewusst auf die Tagesordnung genommen. Im Nachgang debattiere alle Welt darüber, wie die Behörde nun reagieren hätte müssen. "Über den Vater", gibt der Landrat zu bedenken, "spricht keiner".

Ein Fall wie der Alessios ist im Landkreis Calw noch nicht aktenkundig geworden. Trotzdem sind auch hier etliche traurige Fälle zu verzeichnen. "Wenn ich die ein oder andere Nachricht lese, dann tut mir’s weh", sagt Norbert Weiser, Leiter des Dezernats für Soziales, dem auch die Jugendhilfe zugeordnet ist. Die Situation habe sich verschärft, schildert Weiser seinen persönlichen Eindruck vom Umgang einiger Eltern mit ihren Kindern.

Wo die familiären, gesundheitlichen, wirtschaftlichen oder psychischen Verhältnisse nicht stimmen, ist erfahrungsgemäß schnell das Kindswohl in Gefahr. Fakt, das unterstreichen mehrere Mitglieder des Jugendhilfeausschusses, sei aber auch, dass die Gesellschaft in dieser Hinsicht sensibilisiert worden sei und vermehrt hinsehe. Traurigerweise auch durch spektakuläre und an Grausamkeit nur schwer zu überbietende Fälle wie den Alessios.

Als Norbert Schüle, Leiter der Jugendhilfe im Kreis, und Georg Pfeiffer, Leiter des Jugendhilfe-Regionalteams Nagold, aus ihrem Alltag erzählen, schaudert mancher im Saal. Wie bei dem Fall einer 15-Jährigen: Mit "Ich gehe heute raus" habe sie ihren Ansprechpartnern bei der Jugendhilfe signalisiert: Heute mache ich ernst, ich verlasse diese Familie. Bereits ab dem Grundschulalter war das Mädchen zuhause regelmäßig sexuell missbraucht worden. Zu dem Zeitpunkt, als die Schülerin sich als 14-Jährige erstmals an die Behörden wandte, mussten die zuständigen Mitarbeiter der Jugendhilfe Nagold sogar davon ausgehen, dass in den Jahren der Peinigungen nicht nur der Vater, sondern mehrere Männer sich regelmäßig an der Schülerin vergingen. Weitere anderthalb Jahre verblieb sie, begleitet von Jugendhilfe-Personal, in der Familie.

So bestürzend sich dieses Szenario darstellt: Erfolgt die Entfernung eines Kindes aus einem solchen Umfeld überstürzt, vergrößert das den Schaden sogar noch. Im Fall des Mädchens war nach anderthalb Jahren die Kraft vorhanden, die Familie zu verlassen.

Seit 1. Januar 2012 gibt es das Bundeskinderschutzgesetz. Damit soll der Kindswohlgefährdung von rechts wegen entgegengewirkt werden. Die Arbeit der Calwer Behörden ist hieb- und stichfest. Eine Durchleuchtung aller eigenen Arbeitsabläufe hat dieses Ergebnis erbracht. Diese Gewissheit ist, sollte es hart auf hart kommen, für die Behörde unabdingbar.

Es sei ihm wichtig, dass seine Mitarbeiter bei dieser Aufgabe in jeder Hinsicht von ihm genug Rückendeckung erfahren, sagt der Landrat. "Es geht darum, dass man reagiert. Dass wir das tun können, ist gut, dass wir das tun müssen, ist schlecht", so Weiser zu den Kompetenzen seines Dezernats. Man sei aber weise genug, zu sehen, dass man nicht alles verhindern könne, gibt Teamleiter Pfeiffer zu bedenken.