1000 Kommunen in Deutschland haben sich für mehr Freiheit bei Tempo 30 eingesetzt. Was hält man in Baden-Württemberg nun von den vom Bund geplanten neuen Regeln?
Die Ampelkoalition hat ein umfangreiches Reformpaket zum Straßenverkehrsgesetz auf den Weg gebracht – unter der Maßgabe, den Verkehr sozialverträglicher und ökologischer zu machen. Eines der größten Reizthemen war die Frage, inwieweit den Kommunen mehr Spielraum ermöglicht werden soll, über Tempo 30 auf ihrem Gebiet zu entscheiden.
Die mit aktuell fast 1000 Mitgliedern größte kommunale Politikinitiative der vergangenen Jahre, hat sich massiv dafür eingesetzt. Bisher müssen für Tempo 30 viele Kriterien und Voraussetzungen erfüllt sein – es gibt diese Möglichkeit etwa im Umfeld von Schulen und Krankenhäusern. In Stuttgart, das ebenfalls Teil dieser Initiative ist, geht es zurzeit um nächtliche Tempolimits.
Doch wie sehen bei dem Thema bisher politisch besonders aktive Kommunen im Land den Ampel-Kompromiss? Den gewünschten Freiraum gibt es jedenfalls nicht. Doch auch Städte wie Freiburg, das einer der Gründer der Städteinitiative war, oder Ludwigsburg, können mit den Lockerungen leben. „Es ist ein Schritt in die richtige Richtung – auch wenn wir uns mehr gewünscht hätten“, sagt der Freiburger Baubürgermeister Martin Haag. Zumindest die Mobilisierung durch die kommunale Initiative sieht er als großen Erfolg: „Wir hätten damals nie gedacht, dass wir einen solchen Zulauf bekommen.“ Die Kommunen hätten dazu beigetragen, dass eine gewisse Sachlichkeit in die Debatte Einzug gehalten habe.
Nun soll es beispielsweise leichter werden, entlang von Schul- oder Radwegen solche Limits zu festzusetzen. Eine weitere Neuregelung betrifft die Tatsache, dass rund um schutzwürdige Bereiche wie Kindergärten oder Schulen nun längere Straßenabschnitte eine Tempobeschränkung bekommen können.
Einige Meter machen den Unterschied
Dass es nun 500 statt 300 Meter sind, macht laut Matthias Knobloch, Fachbereichsleiter für nachhaltige Mobilität in Ludwigsburg Stadt, rein pragmatisch schon einen Unterschied. Durch die Extra-Meter werde der aktuelle Flickenteppich an Tempobegrenzungen zumindest reduziert. „Da muss man jetzt von Stadt zu Stadt schauen. Wir in Ludwigsburg werden sehr viel von dem umsetzen können, was wir vorhaben.“ Der Freiburger Baubürgermeister bedauert allerdings, dass es immer noch Begründungen im Einzelfall braucht: „Es wäre doch besser, gleich logische, zusammenhängende Gebiete zu betrachten. Dann ließe sich das Konzept leichter erschließen.“
Bürokratischer Aufwand
Kritisch sieht Knobloch, dass den Kommunen weiterhin etwa vorangehende Lärmmessungen aufgebürdet würden . „Wir wissen doch schon an jeder Straße, wo wir das Tempo reduzieren wollen, wie Ergebnisse dieser Messung ausgehen wird“, sagt er: „Das ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Verwaltung.“ Und auch Haag pflichtet dem bei: „Wir reden doch alle über Bürokratieabbau – und angesichts des Personalmangels in den Kommunen könnten wir uns viel Arbeit ersparen.“
Baden-Württemberg macht weiter Druck
Auch Landesverkehrsminister Winfried Hermann ist nicht ganz zufrieden: „Die Novelle, wie von der Bundesregierung beabsichtigt, geht in die richtige Richtung, wenngleich sie die Forderungen von tausend Kommunen nicht voll erfüllt“, sagt er. Nun würden die Länder versuchen, über den Bundesrat noch einen weiteren Entscheidungsspielraum zu beschließen. Für die tägliche Praxis ist jenseits des Gesetzes die Straßenverkehrsordnung entscheidend. Hier setzt die Verkehrsministerkonferenz darauf, dass man die Möglichkeiten im Verlaufe des weiteren Verfahrens am Ende doch noch erweitert und flexibler definiert.
Dass das Thema in den vergangenen Monaten zum Symbol geworden sei, sieht Martin Haag gelassen: „Mobilität ist ein emotionales Thema. Das war schon immer so. Das können sie nie rein rational debattieren.“