Fans der japanischen Nationalmannschaft sammeln Müll in Tokio ein, nachdem sie beim Public Viewing das Spiel zwischen Japan und Belgien gesehen haben Foto: dpa/–

Bei der Fußball-WM in Katar erregen die japanische Mannschaft und ihre Fans Aufsehen, weil sie nach dem Spiel Kabine und Tribüne aufgeräumt hinterlassen. Was steckt dahinter?

Es war das Bild, das sogar diejenigen begeisterte, die sich für Fußball nicht begeistern können: Eine blitzblank geputzte Kabine, aufgenommen nicht vor dem Spiel, sondern danach, und das auch noch nach einem heroisch erkämpften Sieg, der viel Grund zum Feiern gegeben hatte. Bei der Fußball-WM der Männer hatte Japan sein erstes Gruppenspiel nach einem frühen Rückstand noch 2:1 gegen Deutschland gewonnen. Aber die Kabine sah eben nicht aus wie das Schlachtfeld nach einer Siegesfeier. Im Gegenteil.

Japanisches Alleinstellungsmerkmal

Das Foto, das die Putzkolonne im Gastgeberland Katar aufgenommen hatte, markierte insofern eine Sensation, weil sie offenbar ein japanisches Alleinstellungsmerkmal dokumentiert hat. Von keinem anderen Land wird berichtet, dass dessen Nationalmannschaft ihre Kabine derart geordnet hinterlässt. Neu sind die Bilder der Japaner in Katar aber auch nicht: Bei jeder Weltmeisterschaft sieht die japanische Kabine nach einem Spiel sehr ordentlich aus, nach jedem Spiel.

Wenn die von Leistungsträgern deutscher Bundesligisten geprägte japanische Mannschaft diesen Donnerstag gegen Spanien um den Einzug ins Achtelfinale kämpft, dürften die Putzkräfte der WM den Japanern die Daumen drücken. Sollten die Samurai Blue, wie sich die japanische Auswahl mit Bezug auf ihre blauen Trikots auch nennt, dagegen mit dem Ende der Gruppenphase aus dem Turnier ausscheiden, dürften sie zumindest ein letztes Mal die Welt mit ihrer Liebe zu Ordnung und Sauberkeit entzücken.

Regeltreue und Respekt

Teilweise geht es hier um eine Art von Patriotismus, die über das bloße Siegen hinausgeht. Denn der Wunsch, im Ausland einen positiven Eindruck von der eigenen Kultur zu hinterlassen, ist in Japan wohl stärker ausgeprägt als in vielen anderen Ländern. So prangen im japanischen Fußballmuseum in der Tokioter Innenstadt auch nicht nur mehrere Fußballtrophäen sowie Hinweise auf die WM 2002 im eigenen Land. Mit ebenso viel Stolz wird dort ausgestellt, dass japanische Mannschaften häufig den Fair-Play-Preis gewinnen. Die Botschaft: Japan steht für Regeltreue und Respekt.

Und etwas Ähnliches steckt hinter den ständig sauberen Kabinen nach der Nutzung durch japanische Athleten. Während im Vordergrund der Respekt gegenüber den Gastgebern steht, ist es zugleich kein Zufall, dass dieser nicht zuletzt in Ordnung und Sauberkeit ihren Ausdruck findet. Es handelt sich hierbei nämlich um wichtige Tugenden im ostasiatischen Land. So beobachtet man auch bei japanischen Fußballfans im In- und Ausland, wie sie die von ihnen besetzten Teile der Tribüne nach dem Spiel aufräumen, ehe sie das Stadion verlassen.

Sauberkeit schlägt sich im Straßenbild nieder

Ihren Ursprung hat dieser Zusammenhang vermutlich in der ursprünglichen japanischen Religion Shinto, die auf Sauberkeit viel Wert legt. Vorm Besuch in einem Schrein wäscht man sich die Hände, teils auch den Mund, um für den Besuch bei den Göttern, die die Schreine bewohnen, möglichst reinlich zu sein. Das japanische Wort „kirei“ bedeutet sowohl schön als auch sauber. Daher verwundert kaum, dass das Straßenbild japanischer Städte im Vergleich zu anderen Ländern meist sauber und ordentlich ist.

Praktisch niemand wirft seinen Müll auf den Boden, in größeren Städten kehren Putzkolonnen nächtlich die Straße. In der Schule lernt der Nachwuchs auch nicht nur Mathematik, japanische Schriftzeichen und Geschichte, sondern außerdem das korrekte Kehren des Bodens und andere Grundregeln des Putzens. Den eigenen Dreck zu entfernen gilt hier nicht vor allem als lästige Aufgabe, die man lieber anderen überlässt, sondern als Teil der eigenen Verantwortung.

Bei der WM in Russland gab es Nachahmer

So ist es in Japan kaum eine Schlagzeile wert, dass die heimische Nationalmannschaft im Ausland Kabinen säubert, obwohl es dafür eigens professionelles Personal gibt. Eher überrascht das begeisterte Feedback vom Fußball-Weltverband Fifa sowie Medien aus der ganzen Welt, wodurch sich schließlich auch offenbart, wie untypisch diese japanische Praxis ist. Wobei das nicht so bleiben muss: Als Japans Mannschaft und Fans bei der WM in Russland vor vier Jahren schon einmal positiv auffielen, fanden sie bald Nachahmer.

Zumindest von Fans aus Senegal, Uruguay und Saudi-Arabien wurde damals nach WM-Begegnungen berichtet, wie auch diese ihren Müll selbst wegräumten. Das könnte sich diesmal wiederholen. Je weiter Japan im Turnier in Katar kommt, desto mehr Menschen aus anderen Ländern könnten noch von sauberen Kabinen und Tribünen inspiriert werden.

Superstar des Aufräumens

Ordnungsliebe
 Die japanische Gesellschaft hat mit der Buchautorin Marie Kondo über die vergangenen Jahre eine Art Superstar des Aufräumens hervorbrachte. Kondo brachte die Ordnung und das Aufräumen mit einer Grundidee des Shinto zusammen.

Shinto
 Es geht um Wertschätzung für alles – nicht nur für Menschen, sondern auch für Gebrauchsgegenstände, die einem dienlich sind. Selbst Gegenstände verdienen demnach gute Behandlung. Kondo wurde damit weltberühmt, formulierte eigentlich aber eine japanische Banalität.