Vereinsamung und hoher Medienkonsum während der Pandemie haben Folgen für die Psyche von Kindern und Jugendliche (Symbolfoto) Foto: New Africa - adobe.stock.com

Die Jugendpsychotherapeutin Julia Kurz hat zu den Auswirkungen von Corona-Lockdown und Isolation besorgniserregende Beobachtungen gemacht.

Empfingen - Die Notfälle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen sind alarmierend, so der Ärztliche Direktor Tobias Renner. Auch Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Julia Kurz hat keine besseren Nachrichten. Geht es unserem Nachwuchs wirklich so schlecht?

Seit diesem Jahr hat die Psychotherapeutin in Empfingen ihr Lager mit einer eigenen Praxis aufgeschlagen, davor war sie unter anderem in der Tübinger Universitätsklinik angestellt. Wie hat sie den Start in Empfingen erlebt? "Sehr gut, ich wurde in der Gemeinde gut aufgenommen und habe tolle Räumlichkeiten gefunden", so Kurz. Und die Patienten, wurde sie in ihrer Praxis bereits überrannt? Leider ja, so Kurz.

Keine Werbung, trotzdem volle Praxis

Keine Werbung habe sie gemacht und trotzdem fanden selbst Patienten aus dem Raum Villingen-Schwenningen in ihre Praxis. Der jüngste ist vier Jahre, die älteste sei eine junge Dame Anfang 20. Ob Kurz noch Kapazitäten hat? "Leider nein", so die Psychotherapeutin. Ihre Warteliste sei mittlerweile bestimmt drei bis sechs Monate lang.

Die meisten ihrer Patienten haben mit Depressionen oder Angststörungen zu kämpfen. Was sie aber besonders beobachte: Immer mehr junge Mädchen kommen mit Essstörungen in ihre Praxis. Dafür sei unter anderem auch die Corona-Pandemie verantwortlich: "Die Jugendlichen waren vollkommen auf sich gestellt, ein stabiles Netz gab es nicht mehr. Das brauchen sie aber: Orientierung."

Da sie sich diese nicht mehr von ihrer "peer group", also Gleichaltrigen holen konnten, die jungen Menschen gleichzeitig durch ein selbstauferlegtes hohes Verantwortungsgefühl, ihr Umfeld zu schützen auf Freundschaften, Partner und einem altersentsprechenden Umgang verzichtet haben, kam diese Orientierung von Social Media – mit schlechten Folgen für die mentale Gesundheit der Heranwachsenden.

Social Media vermittelt nicht nur positives

"Auf Social Media sieht man ständig Bilder von idealen Körpern, die sich die Jugendlichen dann als Vorbild nehmen und in eine Essstörung rutschen", sorgt sich Kurz. Die Isolation zusammen mit der überschüssigen Zeit habe viel Spielraum für eigene Gedanken und Beurteilungen gelassen – eine hohe Gefahr für einen negativen Gedanken-Sumpf.

Dennoch betont Kurz: Social Media ist nicht grundsätzlich schädlich, die Dosis mache das Gift: "Die Jugendlichen brauchen zusätzlich zur Online-Welt Raum für andere soziale Tätigkeiten und Hobbys. Ein Umstand, der durch die Pandemie ebenfalls wegfiel", sagt Kurz.

Eltern müssen Vorbilder sein

Die Eltern sind für die Prävention von mentalen Krankheiten und Essstörungen essenziell, mahnt die Psychotherapeutin: "Wir Eltern kommen als Rollenbilder ins Spiel. Wenn wir ständig an uns herum meckern, wie wir aussehen oder dass wir dringend abnehmen müssten, dann denken sich unsere Kinder: ›Oh, wenn die das betrifft, dann mich vielleicht auch‹ und die Spirale beginnt."

Sollten Eltern eine Verhaltensänderung bei ihrem Kind bemerken, dass sich dieses übermäßig zurückzieht oder Freizeitaktivitäten nicht mehr nachgeht, ist Sensibilität und Fürsorge gefragt: "Am besten in Ich-Botschaften signalisieren: Hey, ich mache mir gerade Sorgen um dich", rät Kurz.

Das wichtigste sei immer, nachzufragen, ein Ohr für die Jugendlichen zu haben und mit sich selbst respektvoll umzugehen, plädiert die Expertin.