Roman Zitzelsberger sieht die IG Metall als Impulsgeber für Innovationen – gesteht aber, dass die Gewerkschaft mehr Druck hätte ausüben können. Foto: dpa

Die IG Metall sorgt sich, dass die Krise der Automobilindustrie auch zu Lasten der Beschäftigten geht. Bezirksleiter Roman Zitzelsberger wendet sich gegen eine öffentliche „Hysterie“. Von Politik und Herstellern verlangt er auf dem Gipfel am Mittwoch mehr Klarheit.

Stuttgart - Praktisch jeden Tag wächst die Verwirrung, was zur Beseitigung der Abgaskrise zu tun ist. Vom Diesel-Gipfel am Mittwoch fordert die Gewerkschaft einen „verbindlichen Zeitplan“.

Herr Zitzelsberger, welche Facette der desaströsen Lage der Automobilindustrie raubt Ihnen derzeit am ehesten den Schlaf: die Rückruf-Aktionen, der Kartellverdacht, die möglichen Fahrverbote oder das drohende Aus der Diesel-Technologie?
Mich besorgt, dass der Überblick verloren geht und dass man sich nicht auf das Wesentliche konzentriert. Es muss schnellstmöglich gelingen, eine Lösung für die Nachrüstung der Euro-5-Flotte auf die Reihe zu kriegen. Ferner muss man die EU-Behörde prüfen lassen, was an den Kartellvorwürfen dran ist. Dann müssen wir uns zügig auf die Zukunft des Automobils und der Mobilität konzentrieren. Momentan dominiert ein Sammelsurium von Spekulationen, Vorwürfen und berechtigten Kritiken – alles wird in einen Topf geworfen. Dies schafft große Verwirrung und Verunsicherung unter Kunden und Beschäftigten.
Halten Sie es für denkbar, dass die Hersteller trotz aller Compliance, also Regeltreue, seit Jahren gegen das Kartellrecht verstoßen, oder kann herauskommen, dass im Grunde nur harmlose Dinge abgesprochen wurden?
Wir kennen die Berichte über ein angeblich unzulässiges Zusammenwirken der Hersteller nur aus den Medien. Was an den Vorwürfen dran ist, prüft jetzt die EU-Kartellbehörde, und wir müssen das Ergebnis abwarten. Üblicherweise brauchen solche Prüfprozesse Jahre. Klar ist: Wenn sich herausstellt, dass man sich technologisch abgestimmt hat, um weniger umweltfreundliche Fahrzeuge auf den Markt zu bringen, wäre das eine Riesensauerei. Gleichwohl warne ich vor Vorverurteilungen: Dass in der Autobranche bei bestimmten Standards und Normen zusammengearbeitet wird, ist auch ein Markenzeichen dieser Industrie und hat manche technologische Innovation befördert. Nur müssen dabei die Grenzen gewahrt bleiben.
Werden Autoindustrie und Diesel-Technologie kampagnenartig schlecht geredet, wie VW-Chef Müller beklagt. Hat sie dies nicht selbst zu verantworten?
Bei der Aufklärung offensichtlicher Betrügereien im Softwareeinsatz oder überschrittener Grenzwerte hätte man mehr Gas geben können. Auch beim Thema Emissionen wäre es besser gewesen, nicht den Vorschriften hinterher zu rennen, sondern ihnen vorauszueilen. Aber was jetzt daraus entsteht, ist eine Hysterie, die sich insbesondere auf den Euro 5 konzentriert – technologische Fortschritte in der jüngsten Generation werden verkannt. Eine vollkommen irrige Annahme ist aus meiner Sicht, man müsse den Diesel nur verbieten, dann würden wir morgen alle emissionsfrei fahren. Der Transformationsprozess dauert sicher zwei Jahrzehnte. Da helfen ein Diesel-Bashing und Verbote nichts.
Die Politik hat lange eine große Nähe zur Autoindustrie, damit auch geringes Aufklärungsinteresse an den Tag gelegt – die Bundesumweltministerin spricht von „Kumpanei“. Ist das ein Grund für die Misere?
Die Erkenntnis, dass objektiv oder gar vorsätzlich manches falsch gelaufen ist, müsste zu einem wechselseitigen Lernprozess von Politik und Industrie führen. Dieser war viel zu langsam. Das Handeln hinkt dem öffentlichen Hype hinterher. Ein Beispiel: Das Urteil des Verwaltungsgerichts in Stuttgart macht im Wesentlichen deutlich, dass es die Politik nicht geschafft hat, rechtzeitig für Klarheit zu sorgen. Man hätte von vorneherein auf Bundes- wie auf Landesebene deutlich machen müssen, dass die Fahrzeuge schnellstmöglich nachgerüstet werden müssen, bevor man über Einfahrverbote redet. Wenn die Politik da eine klare Kante gezeigt hätte, hätte es dieses Urteil gar nicht gebraucht.

„Technologie ist alt, aber nicht veraltet“

Nun scheint die Politik, sogar der CSU-Bundesverkehrsminister, die Geduld zu verlieren. Sind Zulassungsverbote wie beim Porsche Cayenne die richtige Reaktion?
Es ist kaum noch auseinanderzuhalten, wer was aufgedeckt hat, welche Reaktion angemessen und was dem Wahlkampf geschuldet ist. Entscheidend ist, die Agenda deutlich zu machen: Der Diesel-Gipfel hat die Aufgabe, verlässlich zu verabreden, wie es konkret weiter geht. Wenn die Nachrüstung der Euro-5-Dieselmotoren verbindlich gelöst wird, hätte man einen wichtigen Teil der Probleme der Vergangenheit in den Griff bekommen. Um die Emissionen gerade bei Stickoxiden zu senken, braucht es einen verbindlichen Zeitplan. Wenn die Überprüfung ergibt, dass es nicht funktioniert hat, kann man sich über andere Dinge Gedanken machen.
Reichen Software-Updates bei den Motoren aus, um das Vertrauen zurückzugewinnen und Fahrverbote zu verhindern?
Nach dem Gipfel muss besprochen werden, wie der Austausch der Fahrzeuge Euro 1 bis Euro 4 beschleunigt werden kann. Da geht es zunächst um die Fahrzeuge im kommunalen Einsatz, im Taxigewerbe oder im öffentlichen Personennahverkehr. Zweitens muss es um eine bessere Verkehrssteuerung gehen – und drittens um das, was wir in Baden-Württemberg begonnen haben: um die Frage, wie wir mit allen relevanten Akteuren den Transformationsprozess begleiten – wie wir dabei unsere Innovationen nach vorne bringen und die Strukturen der Automobilindustrie erhalten.
Inwieweit ist die IG Metall für Fahrverbote mit Hilfe einer blauen Plakette?
Zunächst mal muss die Nachrüstung der Euro-5-Fahrzeuge zu geringeren Stickoxidausstößen führen. Sollten dennoch Einfahrregulierungen nötig sein, sehen wir in einer bundesweiten blauen Plakette eine Lösung – inklusive einer Einfahrgenehmigung für nachgerüstete Euro-5-Fahrzeuge.
Kann es eine Zukunft mit einer veralteten Diesel-Technologie geben?
Die Technologie ist alt, aber nicht veraltet. Das Ende des Diesels sehe ich nicht. Tatsächlich hat sie in jeder Phase bewiesen, dass sie noch optimiert werden kann. Und wenn wir die CO2-Ziele erreichen wollen, wird es nicht ohne Diesel funktionieren. Selbst wenn wir morgen alle elektroangetriebene Autos fahren würden, wäre beim CO2-Ausstoß nichts gewonnen. Die Batterieherstellung ist so energieintensiv, dass wir dann deutlich höhere CO2-Emissionen hätten.
Herrscht bei Bosch schon Panik?
Bis der Baden-Württemberger panisch wird, braucht es schon viel. Insofern erlebe ich eher eine große Unruhe statt Panik – nicht nur bei Bosch, sondern bei allen, die am Diesel hängen. Die Herstellung eines Dieselmotors ist nun mal beschäftigungsintensiver als bei einem Otto-Motor.
Wie sehr kann der Umbau der Industrie zu Lasten der Beschäftigung gehen?
Bei allen Risiken bin ich zuversichtlich, dass wir es schaffen, aus dieser Krise Chancen herauszuziehen. Das heißt aber, dass wir ganz schnell die Probleme lösen müssen. Da darf es jetzt im Wahlkampfgetöse auch kein Schwarze-Peter-Spiel zwischen Industrie und Politik geben.

„Die IG Metall hätte intensiver bohren müssen“

Uwe Hück wirft dem Audi-Management vor, Porsche ausgetrickst zu haben. Zerlegt man sich in der Autoindustrie nun selbst?
Das wäre natürlich fatal. Richtig ist, die Dinge auf der Arbeitnehmerseite gemeinschaftlich und solidarisch zu lösen. Aufgabe der IG Metall ist es, dass die Betriebsräte der Automobil- und Zuliefererindustrie an einem Strang ziehen. Das werden sie mit Sicherheit sehr rasch auch tun.
Die IG Metall verbindet Politik und Unternehmen. Ist sie mit sich im Reinen, was Aufklärungsdrang und Fortschritt angeht?
Grundsätzlich ja. Wobei es nichts gibt, was nicht auch wir besser machen könnten. Wir haben vor über 25 Jahren mit viel Aufwand Kongresse zum Thema Auto, Umwelt und Verkehr veranstaltet – das Thema dann aber nicht konsequent genug nachverfolgt.
Warum nicht?
Wir wollten mit einem großen Entwurf Anfang der 90er Jahre einen Anstoß geben, doch wurden die Dinge nur zum Teil aufgegriffen. Selbstkritisch muss man sagen: Vielleicht hätten wir noch intensiver bohren müssen. In der Rolle würde ich uns auch heute sehen: Dass wir mit Nachdruck für einen Dreiklang von ökologischer Verantwortung, nachhaltiger Industrie und sicheren Arbeitsplätzen sorgen. Da gibt es bei uns eine hohe Übereinstimmung, denn die Beschäftigten erleben eine Konfusion. Jede schlechte Nachricht aus der Automobilindustrie schlägt gerade in Baden-Württemberg große Wellen. Unter den Betriebsräten, Vertrauensleuten und Beschäftigten ist keiner gelassen. Alle sind hoch angespannt und befürchten nachhaltig negative Auswirkungen auf die Industrie. Wir bräuchten aber einen Optimismus auf einer soliden Basis – also die Zuversicht, dass die deutsche Automobilindustrie noch in 15, 20 Jahren das Maß aller Dinge ist.
Hat der ökonomische und beschäftigungsbezogene Erfolg der vergangenen Jahre alle Akteure – auch die IG Metall – geblendet und von einer Erneuerung abgehalten?
In Phasen großen Erfolges besteht immer das größte Risiko, sich nicht ausreichend mit der Zukunft zu beschäftigen. Man glaubt, dass es ewig so weiter geht, statt einfach mal zehn Jahre weiter zu denken. Dies haben wir zwar immer wieder versucht und mit unserer Initiative Zukunft Auto Baden-Württemberg auch ganz gut angestoßen. Wir sind Impulsgeber, aber auch Mitgefangene in einer Phase der Hochkonjunktur. Insoweit haben Sie recht: Erfolg macht immer ein Stückchen blind für Risiken. Daraus muss man lernen.