IG-Metall-Chef Zitzelsberger macht sich Sorgen, dass die E-Mobilität die Gewerkschaften unter Druck setzt, soziale Kürzungen zu vereinbaren. Er pocht allerdings auf Mindeststandards, die für alle Firmen gelten. Foto: dpa

Für ein E-Auto werden 200 Teile benötigt, für einen Verbrennungsmotor 1400. Das setzt die Gewerkschaften stark unter Druck. Die IG Metall will diesem Druck nicht nachgeben und drängt aber auf soziale Mindeststandards.

Stuttgart - Herr Zitzelsberger, Daimler kündigt Milliardeninvestitionen in die Elektromobilität an, will in seinem großen Motorenwerk Untertürkheim aber nur wenige Arbeitsplätze dafür schaffen. Plant die Autoindustrie die Elektromobilität bereits ohne die Stammbelegschaften?
Das kann ich mir nicht vorstellen, denn wir würden uns auf die Hinterbeine stellen, wenn wir den Eindruck hätten, die heutigen Mannschaften blieben bei der Elektromobilität auf der Strecke. Allerdings werden die Karten durch den Technologiewandel in der Tat neu gemischt. Manch ein Anbieter, der nun in der Autobranche auf den Plan tritt, hat beispielsweise bereits lange Erfahrung mit dem Elektromotor. Unternehmen, die solche Kompetenzen erst aufbauen müssen, haben es da schwerer.
Je mehr solcher Firmen die Autobranche für sich entdecken, desto stärker können die Hersteller ihre eigenen Mitarbeiter unter Druck setzen. Können Sie dem etwas entgegensetzen?
Die Gefahr ist groß, dass durch diese Entwicklung versucht wird, soziale Standards in der Autobranche zu senken – sei es, indem die Hersteller rechtliche Einheiten gründen, mit denen sie sich der Tarifbindung und der Mitbestimmung entziehen, oder indem Akteure neu aufs Spielfeld kommen, die ihre Mitarbeiter schlechter entlohnen. Dafür muss man noch nicht einmal nach China gehen, solche Firmen gibt es auch in Baden-Württemberg.
Wie aber wollen Sie auf soziale Standards pochen, wenn Arbeitgeber links und rechts Möglichkeiten haben, diese zu umgehen?
Wir dringen darauf, dass es nicht zum Wettlauf um die niedrigsten Sozialstandards kommt, sondern Mindeststandards gelten, die von allen eingehalten werden müssen. Eine Minimalanforderung sind dabei die Bindung an einen Tarifvertrag und die Existenz eines Betriebsrats.
Auch Autozulieferer, die bisher ganz auf Benzin- und Dieselmotoren spezialisiert waren, setzen jetzt auf die Elektromobilität. Droht zwischen den Belegschaften von Herstellern und von Zulieferern ein Verdrängungswettbewerb um Arbeitsplätze?
Viele Zulieferer setzen jetzt bei der Elektromobilität den Fuß in die Tür, weil das Risiko angesichts der bisher noch geringen Stückzahlen gering ist. Aber klar ist, dass die ausdifferenzierte Aufgabenteilung zwischen Herstellern, Zulieferern und Unterzulieferern kräftig durcheinandergerät. Diese Verschiebung bereitet uns Sorgen, und wir müssen darauf achten, dass die Beschäftigten dabei nicht unter die Räder kommen.
Autohersteller lassen die Wertschöpfung immer weiter zersplittern. Erhöht das nicht die Anfälligkeit der Produktion?
Die Lieferketten sind bereits heute sehr angespannt. Es gibt Unternehmen, die regelmäßig Teile per Hubschrauber ausliefern müssen, um in letzter Minute Produktionsausfälle zu verhindern. Die Einsparungen durch diese Art der Produktion sind aber scheinbar so groß, dass sich selbst dieser Aufwand rechnet. Produktionsausfälle wie im vergangenen Jahr bei VW zeigen allerdings, dass heute ein einzelner Zulieferer die gesamte Produktion lahmlegen kann.
Diese Anfälligkeit erhöht aber zugleich die Möglichkeiten der Gewerkschaften, ihren Forderungen durch Störungen der Produktion Nachdruck zu verleihen. Wenn der Betriebsrat wie jetzt in Untertürkheim Überstunden verweigert, fallen in Sindelfingen sofort ganze Schichten aus.
Wenn Lieferketten reißen, dann meist nicht wegen der Gewerkschaften, sondern weil Zulieferer ausfallen oder ihre Lieferungen ausbleiben. Wir treffen jedes Mal eine sehr schwierige Abwägung, bevor wir auf diese Weise in die Abläufe eingreifen, denn es liegt natürlich nicht in unserem Interesse, die Wertschöpfung zu stören. Diese Entscheidung haben sich auch unsere Kollegen in Untertürkheim nicht leicht gemacht.
Was wird mit dem Technologiewandel eigentlich auf das Kraftfahrzeughandwerk zukommen? Müssen sich die Beschäftigten Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen?
Wartung und Reparatur sind beim E-Auto noch viel stärker digitalisiert als beim Auto mit Verbrennungsmotor. Der Mechaniker hat es gar nicht mehr mit Zylinderkopfdichtungen und öligen Wannen zu tun, sondern muss nur noch ein Diagnosesystem anschließen, um sofort zu wissen, wo er ansetzen muss. Das ist zwar heute schon so, nimmt aber beim E-Auto noch mal zu. Falls in Zukunft alles auf das batterieelektrische Auto hinausläuft, braucht man daher deutlich weniger Kfz-Mechaniker und Mechatroniker. Setzen sich dagegen auch andere Technologien durch wie etwa die Brennstoffzelle oder der Verbrennungsmotor, der mit synthetischen, klimaneutralen Kraftstoffen fährt, könnte sogar zusätzliche Beschäftigung entstehen.
Der Diesel sollte wegen seines geringen Verbrauchs das Leben des Verbrennungsmotors verlängern – und damit auch Arbeitsplätze sichern, die an ihm hängen. Lässt er sich angesichts der Skandale um hohe Stickoxidwerte noch retten?
Was wir ganz schnell brauchen, ist ein Ende der Unsicherheit. Deshalb müssen Diesel der Euro-5-Norm jetzt so nachgerüstet werden, dass Euro-5-Fahrzeuge von Fahrverboten befreit werden können und die Besitzer nicht länger im Ungewissen gehalten werden.
Die Autoindustrie hat diese Möglichkeit, ihren Kunden Fahrverbote zu ersparen, aber nicht gerade begeistert angenommen. Erst hieß es, die Nachrüstung alter Autos sei nicht möglich; erst als tatsächlich Fahrverbote beschlossen wurden, ging plötzlich doch etwas.
Ich habe diese Haltung nie verstanden. Dass man beim Einbau von einem Aggregat zur Harnstoff-Nachbehandlung zurückhaltend war, konnte ich noch nachvollziehen – denn das wäre ein Riesenaufwand gewesen, den vermutlich viele Kunden nicht eingegangen wären. Dass man aber auch bei der Umstellung der Software so defensiv war, ist für mich unverständlich. Allerdings trägt nicht nur die Autoindustrie Verantwortung, sondern auch der Bundesverkehrsminister.
Warum?
Er hat sich bei dem ganzen Thema sehr schlafmützig verhalten. Von Anfang an hätte er das Signal aussenden müssen, dass die Autohersteller die Schadstoffwerte auf der Straße in Ordnung bringen müssen und dass man gemeinsam eine Lösung sucht. Die Blaue Plakette wäre eine klare Messlatte gewesen, die festlegt, wer weiter in Umweltzonen einfahren darf und wer nicht. Doch Dobrindt hat sich lieber mit der Ausländermaut beschäftigt als mit den wirklich wichtigen Themen.
Beschleunigt die Diesel-Debatte den Wandel in Richtung Elektromobilität?
Sie verleiht diesem Wandel zwar zusätzlichen Schwung, doch ich warne vor dem Glauben, dass morgen alle Welt mit dem Elektroauto fahren wird, denn dazu gehören nicht nur die Fahrzeuge, sondern auch der Ausbau der Lademöglichkeiten. Wenn man sieht, wie verhalten der Ausbau der Infrastruktur beim schnellen Internet bisher läuft, habe ich Zweifel, dass der Ausbau der Infrastruktur fürs schnelle Laden zügig genug gelingt. Die Autos werden kommen, doch die Lademöglichkeiten können für den Start der Elektromobilität noch zum Hemmschuh werden.